Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

die Speisen nicht für alle langten, und so erhielten die
,Trollgäste' ein lebendiges Schaf, welches sie sich gleich
selbst zubereiteten. Der eine machte ein Loch in die Erde;
andere holten Steine und Holz zur Feuerung herbei.
Derjenige, welchen die Wahl getroffen hatte, ergriff das
Schaf, schnitt ihm die Kehle durch und hing es mit den
zusammengebundenen Vorderbeinen an einen Balkenpflock
auf. Die Eingeweide wurden nicht herausgenommen, son-
dern der Kurde nahm einen Mund voll Wasser, hielt die
Lippen an . . . . des Tieres und blies das Wasser hinein.
Er fuhr in dieser possierlichen Beschäftigung so lange fort,
bis die Eingeweide vollständig aufgebläht und nach oben
hinaus ausgespült waren. Dann wurden die Gedärme in
so viele Stücke zerschnitten, als Männer von dem Schafe
essen sollten; auch das Fleisch des Schafes wurde in eben
so viele Teile zerlegt. Nun wickelte ein jeder sein Stück
Darm um sein Fleisch und legte dieses Präparat in das
mit den Steinen ausgekleidete Loch, über welches ein Feuer
angemacht wurde. Schon nach kurzer Zeit ward dasselbe
hinweggenommen, und die halbgaren Stücke gingen zwi-
schen den Zähnen der Kurden ihrer nützlichen Bestimmung
entgegen.

Nach dem Essen zeigte uns der Bey seinen Stall.
Es befanden sich in demselben über zwanzig Pferde, doch
war unter ihnen nur ein Schimmel, der einer besonderen
Aufmerksamkeit würdig war. Dann gab es Kampfspiele
und Lieder, zu denen ein zweisaitiges Tambur *) die Be-
gleitung wimmerte, und endlich wurden von einem Manne
Märchen und Geschichten erzählt, Geschichten, Tschiroka:
Baka ki mir -- vom sterbenden Frosch; Gur bu schevan
-- der Wolf als Hirt; Schyeri kal -- der alte Löwe;
Ruvi u bizin -- der Fuchs und die Ziege.

*) Guitarre.

die Speiſen nicht für alle langten, und ſo erhielten die
‚Trollgäſte‘ ein lebendiges Schaf, welches ſie ſich gleich
ſelbſt zubereiteten. Der eine machte ein Loch in die Erde;
andere holten Steine und Holz zur Feuerung herbei.
Derjenige, welchen die Wahl getroffen hatte, ergriff das
Schaf, ſchnitt ihm die Kehle durch und hing es mit den
zuſammengebundenen Vorderbeinen an einen Balkenpflock
auf. Die Eingeweide wurden nicht herausgenommen, ſon-
dern der Kurde nahm einen Mund voll Waſſer, hielt die
Lippen an . . . . des Tieres und blies das Waſſer hinein.
Er fuhr in dieſer poſſierlichen Beſchäftigung ſo lange fort,
bis die Eingeweide vollſtändig aufgebläht und nach oben
hinaus ausgeſpült waren. Dann wurden die Gedärme in
ſo viele Stücke zerſchnitten, als Männer von dem Schafe
eſſen ſollten; auch das Fleiſch des Schafes wurde in eben
ſo viele Teile zerlegt. Nun wickelte ein jeder ſein Stück
Darm um ſein Fleiſch und legte dieſes Präparat in das
mit den Steinen ausgekleidete Loch, über welches ein Feuer
angemacht wurde. Schon nach kurzer Zeit ward dasſelbe
hinweggenommen, und die halbgaren Stücke gingen zwi-
ſchen den Zähnen der Kurden ihrer nützlichen Beſtimmung
entgegen.

Nach dem Eſſen zeigte uns der Bey ſeinen Stall.
Es befanden ſich in demſelben über zwanzig Pferde, doch
war unter ihnen nur ein Schimmel, der einer beſonderen
Aufmerkſamkeit würdig war. Dann gab es Kampfſpiele
und Lieder, zu denen ein zweiſaitiges Tambur *) die Be-
gleitung wimmerte, und endlich wurden von einem Manne
Märchen und Geſchichten erzählt, Geſchichten, Tſchiroka:
Baka ki mir — vom ſterbenden Froſch; Gur bu ſchevan
— der Wolf als Hirt; Schyeri kal — der alte Löwe;
Ruvi u bizin — der Fuchs und die Ziege.

*) Guitarre.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0451" n="437"/>
die Spei&#x017F;en nicht für alle langten, und &#x017F;o erhielten die<lb/>
&#x201A;Trollgä&#x017F;te&#x2018; ein lebendiges Schaf, welches &#x017F;ie &#x017F;ich gleich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zubereiteten. Der eine machte ein Loch in die Erde;<lb/>
andere holten Steine und Holz zur Feuerung herbei.<lb/>
Derjenige, welchen die Wahl getroffen hatte, ergriff das<lb/>
Schaf, &#x017F;chnitt ihm die Kehle durch und hing es mit den<lb/>
zu&#x017F;ammengebundenen Vorderbeinen an einen Balkenpflock<lb/>
auf. Die Eingeweide wurden nicht herausgenommen, &#x017F;on-<lb/>
dern der Kurde nahm einen Mund voll Wa&#x017F;&#x017F;er, hielt die<lb/>
Lippen an . . . . des Tieres und blies das Wa&#x017F;&#x017F;er hinein.<lb/>
Er fuhr in die&#x017F;er po&#x017F;&#x017F;ierlichen Be&#x017F;chäftigung &#x017F;o lange fort,<lb/>
bis die Eingeweide voll&#x017F;tändig aufgebläht und nach oben<lb/>
hinaus ausge&#x017F;pült waren. Dann wurden die Gedärme in<lb/>
&#x017F;o viele Stücke zer&#x017F;chnitten, als Männer von dem Schafe<lb/>
e&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollten; auch das Flei&#x017F;ch des Schafes wurde in eben<lb/>
&#x017F;o viele Teile zerlegt. Nun wickelte ein jeder &#x017F;ein Stück<lb/>
Darm um &#x017F;ein Flei&#x017F;ch und legte die&#x017F;es Präparat in das<lb/>
mit den Steinen ausgekleidete Loch, über welches ein Feuer<lb/>
angemacht wurde. Schon nach kurzer Zeit ward das&#x017F;elbe<lb/>
hinweggenommen, und die halbgaren Stücke gingen zwi-<lb/>
&#x017F;chen den Zähnen der Kurden ihrer nützlichen Be&#x017F;timmung<lb/>
entgegen.</p><lb/>
        <p>Nach dem E&#x017F;&#x017F;en zeigte uns der Bey &#x017F;einen Stall.<lb/>
Es befanden &#x017F;ich in dem&#x017F;elben über zwanzig Pferde, doch<lb/>
war unter ihnen nur ein Schimmel, der einer be&#x017F;onderen<lb/>
Aufmerk&#x017F;amkeit würdig war. Dann gab es Kampf&#x017F;piele<lb/>
und Lieder, zu denen ein zwei&#x017F;aitiges Tambur <note place="foot" n="*)">Guitarre.</note> die Be-<lb/>
gleitung wimmerte, und endlich wurden von einem Manne<lb/>
Märchen und Ge&#x017F;chichten erzählt, Ge&#x017F;chichten, T&#x017F;chiroka:<lb/>
Baka ki mir &#x2014; vom &#x017F;terbenden Fro&#x017F;ch; Gur bu &#x017F;chevan<lb/>
&#x2014; der Wolf als Hirt; Schyeri kal &#x2014; der alte Löwe;<lb/>
Ruvi u bizin &#x2014; der Fuchs und die Ziege.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[437/0451] die Speiſen nicht für alle langten, und ſo erhielten die ‚Trollgäſte‘ ein lebendiges Schaf, welches ſie ſich gleich ſelbſt zubereiteten. Der eine machte ein Loch in die Erde; andere holten Steine und Holz zur Feuerung herbei. Derjenige, welchen die Wahl getroffen hatte, ergriff das Schaf, ſchnitt ihm die Kehle durch und hing es mit den zuſammengebundenen Vorderbeinen an einen Balkenpflock auf. Die Eingeweide wurden nicht herausgenommen, ſon- dern der Kurde nahm einen Mund voll Waſſer, hielt die Lippen an . . . . des Tieres und blies das Waſſer hinein. Er fuhr in dieſer poſſierlichen Beſchäftigung ſo lange fort, bis die Eingeweide vollſtändig aufgebläht und nach oben hinaus ausgeſpült waren. Dann wurden die Gedärme in ſo viele Stücke zerſchnitten, als Männer von dem Schafe eſſen ſollten; auch das Fleiſch des Schafes wurde in eben ſo viele Teile zerlegt. Nun wickelte ein jeder ſein Stück Darm um ſein Fleiſch und legte dieſes Präparat in das mit den Steinen ausgekleidete Loch, über welches ein Feuer angemacht wurde. Schon nach kurzer Zeit ward dasſelbe hinweggenommen, und die halbgaren Stücke gingen zwi- ſchen den Zähnen der Kurden ihrer nützlichen Beſtimmung entgegen. Nach dem Eſſen zeigte uns der Bey ſeinen Stall. Es befanden ſich in demſelben über zwanzig Pferde, doch war unter ihnen nur ein Schimmel, der einer beſonderen Aufmerkſamkeit würdig war. Dann gab es Kampfſpiele und Lieder, zu denen ein zweiſaitiges Tambur *) die Be- gleitung wimmerte, und endlich wurden von einem Manne Märchen und Geſchichten erzählt, Geſchichten, Tſchiroka: Baka ki mir — vom ſterbenden Froſch; Gur bu ſchevan — der Wolf als Hirt; Schyeri kal — der alte Löwe; Ruvi u bizin — der Fuchs und die Ziege. *) Guitarre.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/451
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/451>, abgerufen am 23.12.2024.