galt dabei, das Zerstören der Mauer nicht oben, wo es sehr leicht geworden wäre, zu beginnen; denn das hätte uns verraten können. Wir mußten von innen und unten arbeiten, damit man unsere Absicht erst dann bemerken könnte, wenn einige kräftige Stöße genügten, das Werk zu vollenden.
Endlich hatten wir den ersten, großen Stein heraus, und nun folgten die anderen Steine bald nach. Als wir fast zu Ende waren, wurden die beiden Haddedihn ge- rufen. Ein jeder stellte sich an sein Pferd. Master Lindsay ergriff den Hebebaum zum letzten Stoße.
"Jetzt alles umrennen! Yes!"
Er nahm einen Anlauf, stürzte vorwärts und prallte mit solcher Wucht an die Mauer, daß er niederstürzte; aber die letzten Steine prasselten auch zu Boden. Nun wurde in dem Schutt noch ein wenig Bahn gebrochen, dann stiegen wir auf die Pferde. Ein tüchtiger Satz brachte uns über das Geröll hinweg und durch die Bresche hinaus ins Freie. Die Not war zu Ende, noch ehe sie begonnen hatte, und wir verließen eine Herberge, ohne die Rechnung berichtigen zu müssen.
"Wohin jetzt?" fragte Lindsay.
"Im langsamen Trab um die Ecke des Hauses herum und dann im Schritt durch das Dorf. Reitet Ihr voran!"
Er that es. Ihm folgten die drei Araber, und ich machte den Schluß. Wir kamen zwischen unserer ver- lassenen Wohnung und den beiden Häusern, aus denen man auf uns geschossen hatte, hindurch, und meine Vor- aussetzung traf wirklich ein: -- es fiel kein einziger Schuß auf uns. Aber wir waren noch gar nicht weit gekommen, so erhoben sich hinter uns laute Rufe. Jetzt gaben wir den Pferden die Sporen und jagten zum Dorfe hinaus.
Hier sahen wir, daß die sämtlichen Pferde des Dorfes
galt dabei, das Zerſtören der Mauer nicht oben, wo es ſehr leicht geworden wäre, zu beginnen; denn das hätte uns verraten können. Wir mußten von innen und unten arbeiten, damit man unſere Abſicht erſt dann bemerken könnte, wenn einige kräftige Stöße genügten, das Werk zu vollenden.
Endlich hatten wir den erſten, großen Stein heraus, und nun folgten die anderen Steine bald nach. Als wir faſt zu Ende waren, wurden die beiden Haddedihn ge- rufen. Ein jeder ſtellte ſich an ſein Pferd. Maſter Lindſay ergriff den Hebebaum zum letzten Stoße.
„Jetzt alles umrennen! Yes!“
Er nahm einen Anlauf, ſtürzte vorwärts und prallte mit ſolcher Wucht an die Mauer, daß er niederſtürzte; aber die letzten Steine praſſelten auch zu Boden. Nun wurde in dem Schutt noch ein wenig Bahn gebrochen, dann ſtiegen wir auf die Pferde. Ein tüchtiger Satz brachte uns über das Geröll hinweg und durch die Breſche hinaus ins Freie. Die Not war zu Ende, noch ehe ſie begonnen hatte, und wir verließen eine Herberge, ohne die Rechnung berichtigen zu müſſen.
„Wohin jetzt?“ fragte Lindſay.
„Im langſamen Trab um die Ecke des Hauſes herum und dann im Schritt durch das Dorf. Reitet Ihr voran!“
Er that es. Ihm folgten die drei Araber, und ich machte den Schluß. Wir kamen zwiſchen unſerer ver- laſſenen Wohnung und den beiden Häuſern, aus denen man auf uns geſchoſſen hatte, hindurch, und meine Vor- ausſetzung traf wirklich ein: — es fiel kein einziger Schuß auf uns. Aber wir waren noch gar nicht weit gekommen, ſo erhoben ſich hinter uns laute Rufe. Jetzt gaben wir den Pferden die Sporen und jagten zum Dorfe hinaus.
Hier ſahen wir, daß die ſämtlichen Pferde des Dorfes
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galt dabei, das Zerſtören der Mauer nicht oben, wo es
ſehr leicht geworden wäre, zu beginnen; denn das hätte
uns verraten können. Wir mußten von innen und unten
arbeiten, damit man unſere Abſicht erſt dann bemerken
könnte, wenn einige kräftige Stöße genügten, das Werk
zu vollenden.
Endlich hatten wir den erſten, großen Stein heraus,
und nun folgten die anderen Steine bald nach. Als wir
faſt zu Ende waren, wurden die beiden Haddedihn ge-
rufen. Ein jeder ſtellte ſich an ſein Pferd. Maſter Lindſay
ergriff den Hebebaum zum letzten Stoße.
„Jetzt alles umrennen! Yes!“
Er nahm einen Anlauf, ſtürzte vorwärts und prallte
mit ſolcher Wucht an die Mauer, daß er niederſtürzte;
aber die letzten Steine praſſelten auch zu Boden. Nun
wurde in dem Schutt noch ein wenig Bahn gebrochen,
dann ſtiegen wir auf die Pferde. Ein tüchtiger Satz
brachte uns über das Geröll hinweg und durch die Breſche
hinaus ins Freie. Die Not war zu Ende, noch ehe ſie
begonnen hatte, und wir verließen eine Herberge, ohne die
Rechnung berichtigen zu müſſen.
„Wohin jetzt?“ fragte Lindſay.
„Im langſamen Trab um die Ecke des Hauſes herum
und dann im Schritt durch das Dorf. Reitet Ihr voran!“
Er that es. Ihm folgten die drei Araber, und ich
machte den Schluß. Wir kamen zwiſchen unſerer ver-
laſſenen Wohnung und den beiden Häuſern, aus denen
man auf uns geſchoſſen hatte, hindurch, und meine Vor-
ausſetzung traf wirklich ein: — es fiel kein einziger Schuß
auf uns. Aber wir waren noch gar nicht weit gekommen,
ſo erhoben ſich hinter uns laute Rufe. Jetzt gaben wir
den Pferden die Sporen und jagten zum Dorfe hinaus.
Hier ſahen wir, daß die ſämtlichen Pferde des Dorfes
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/425>, abgerufen am 25.11.2024.
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