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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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"Diese Hacke ist zu schwach, Sir. Vielleicht ist im
Hofe ein Werkzeug zu finden. Kommt heraus!"

Ich teilte den anderen den Plan des Engländers
mit, und sie begleiteten uns. Ich stieg auf die Mauer
und sah, daß man dieser Seite des Hauses gar keine Be-
achtung geschenkt habe; denn nirgends war ein Mensch
zu sehen. Die Kurden nahmen jedenfalls an, daß wir der
Pferde wegen das Haus nur durch den vorderen Eingang
verlassen könnten, und daß sie infolgedessen nur diesen
zu blockieren brauchten, um uns in der Falle zu fangen.

"Hier!" hörte ich Lindsay rufen. "Hier ist etwas,
Sir!"

Das Ding, welches er triumphierend in die Höhe hob,
glich einem an seiner Spitze mit Eisen beschlagenen Hebe-
baume und war ganz geeignet, ein Stück der alten Mauer
in Bresche zu legen.

"Das geht! Nun haben wir dafür zu sorgen, daß
wir ungestört arbeiten können und bei den Schützen da
drüben keinen Verdacht erwecken. Halef mag die Pferde
in den Hof schaffen; Amad legt sich auf das Dach, um
Wache zu halten, damit niemand bemerkt, was wir hier
thun. Ich und Lindsay werfen die Mauer um, und
Mohammed mag zuweilen durch das Fenster einen Schuß
abgeben, damit sie denken, daß wir uns alle in der Stube
befinden. Gelingt es uns, auf diese Weise hinauszukom-
men, so brauchen wir doch darum noch keine ehrlose Flucht
zu ergreifen, sondern wir reiten in Parade an ihnen vor-
über. Sie werden vor Erstaunen ganz sicher das Schießen
vergessen."

Diese Arbeitsteilung bewährte sich ganz vortrefflich.
Halef beschäftigte sich mit den Pferden; der Haddedihn
hielt in aller Gemütsruhe seine Schießübungen, und der
Engländer bohrte energisch an der Mauer herum. Es

„Dieſe Hacke iſt zu ſchwach, Sir. Vielleicht iſt im
Hofe ein Werkzeug zu finden. Kommt heraus!“

Ich teilte den anderen den Plan des Engländers
mit, und ſie begleiteten uns. Ich ſtieg auf die Mauer
und ſah, daß man dieſer Seite des Hauſes gar keine Be-
achtung geſchenkt habe; denn nirgends war ein Menſch
zu ſehen. Die Kurden nahmen jedenfalls an, daß wir der
Pferde wegen das Haus nur durch den vorderen Eingang
verlaſſen könnten, und daß ſie infolgedeſſen nur dieſen
zu blockieren brauchten, um uns in der Falle zu fangen.

„Hier!“ hörte ich Lindſay rufen. „Hier iſt etwas,
Sir!“

Das Ding, welches er triumphierend in die Höhe hob,
glich einem an ſeiner Spitze mit Eiſen beſchlagenen Hebe-
baume und war ganz geeignet, ein Stück der alten Mauer
in Breſche zu legen.

„Das geht! Nun haben wir dafür zu ſorgen, daß
wir ungeſtört arbeiten können und bei den Schützen da
drüben keinen Verdacht erwecken. Halef mag die Pferde
in den Hof ſchaffen; Amad legt ſich auf das Dach, um
Wache zu halten, damit niemand bemerkt, was wir hier
thun. Ich und Lindſay werfen die Mauer um, und
Mohammed mag zuweilen durch das Fenſter einen Schuß
abgeben, damit ſie denken, daß wir uns alle in der Stube
befinden. Gelingt es uns, auf dieſe Weiſe hinauszukom-
men, ſo brauchen wir doch darum noch keine ehrloſe Flucht
zu ergreifen, ſondern wir reiten in Parade an ihnen vor-
über. Sie werden vor Erſtaunen ganz ſicher das Schießen
vergeſſen.“

Dieſe Arbeitsteilung bewährte ſich ganz vortrefflich.
Halef beſchäftigte ſich mit den Pferden; der Haddedihn
hielt in aller Gemütsruhe ſeine Schießübungen, und der
Engländer bohrte energiſch an der Mauer herum. Es

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[410/0424] „Dieſe Hacke iſt zu ſchwach, Sir. Vielleicht iſt im Hofe ein Werkzeug zu finden. Kommt heraus!“ Ich teilte den anderen den Plan des Engländers mit, und ſie begleiteten uns. Ich ſtieg auf die Mauer und ſah, daß man dieſer Seite des Hauſes gar keine Be- achtung geſchenkt habe; denn nirgends war ein Menſch zu ſehen. Die Kurden nahmen jedenfalls an, daß wir der Pferde wegen das Haus nur durch den vorderen Eingang verlaſſen könnten, und daß ſie infolgedeſſen nur dieſen zu blockieren brauchten, um uns in der Falle zu fangen. „Hier!“ hörte ich Lindſay rufen. „Hier iſt etwas, Sir!“ Das Ding, welches er triumphierend in die Höhe hob, glich einem an ſeiner Spitze mit Eiſen beſchlagenen Hebe- baume und war ganz geeignet, ein Stück der alten Mauer in Breſche zu legen. „Das geht! Nun haben wir dafür zu ſorgen, daß wir ungeſtört arbeiten können und bei den Schützen da drüben keinen Verdacht erwecken. Halef mag die Pferde in den Hof ſchaffen; Amad legt ſich auf das Dach, um Wache zu halten, damit niemand bemerkt, was wir hier thun. Ich und Lindſay werfen die Mauer um, und Mohammed mag zuweilen durch das Fenſter einen Schuß abgeben, damit ſie denken, daß wir uns alle in der Stube befinden. Gelingt es uns, auf dieſe Weiſe hinauszukom- men, ſo brauchen wir doch darum noch keine ehrloſe Flucht zu ergreifen, ſondern wir reiten in Parade an ihnen vor- über. Sie werden vor Erſtaunen ganz ſicher das Schießen vergeſſen.“ Dieſe Arbeitsteilung bewährte ſich ganz vortrefflich. Halef beſchäftigte ſich mit den Pferden; der Haddedihn hielt in aller Gemütsruhe ſeine Schießübungen, und der Engländer bohrte energiſch an der Mauer herum. Es

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/424>, abgerufen am 25.11.2024.