"Sicher! Sehr sicher! -- Fragt ihn einmal, den Schlingel!"
Verhielt es sich so, dann war allerdings die Sorge des Nezanum um diesen Menschen sehr begründet; aber dann lag auch ein ganz außerordentlicher Bruch der Gast- freundschaft vor.
"Wer bist du?" fragte ich den Gefangenen.
"Ein Kurde," antwortete er.
"Aus welchem Ort?"
"Aus Mia."
"Du lügst!"
"Herr, ich sage die Wahrheit!"
"Du bist aus diesem Dorfe!"
Er zögerte nur einen Augenblick, aber es war genug, um mir zu verraten, daß ich recht hatte.
"Ich bin aus Mia!" wiederholte er.
"Was thust du hier so weit von deiner Heimat?"
"Ich bin als Bote des Nezanum von Mia hier."
"Ich glaube, du kennst den Nezanum von Mia nicht so gut wie den hiesigen; denn du bist der Sohn des letzteren!"
Jetzt erschrak er förmlich, obgleich er sich Mühe gab, dies nicht merken zu lassen.
"Wer hat dir diese Lüge gesagt?" fragte er.
"Ich lasse mich nicht belügen -- weder von dir noch von anderen. Ich werde bereits in der Frühe wissen, wer du bist, und dann giebt es keine Gnade, falls du mich betrogen hast!"
Er blickte verlegen vor sich nieder. Ich mußte ihm zu Hilfe kommen: "Wie du dich verhältst, so wirst du behandelt. Bist du aufrichtig, so will ich dir verzeihen, weil du zu jung warst, um dir alles vorher zu überlegen.
„Wahrhaftig! Sollte es ſein Sohn ſein?“
„Sicher! Sehr ſicher! — Fragt ihn einmal, den Schlingel!“
Verhielt es ſich ſo, dann war allerdings die Sorge des Nezanum um dieſen Menſchen ſehr begründet; aber dann lag auch ein ganz außerordentlicher Bruch der Gaſt- freundſchaft vor.
„Wer biſt du?“ fragte ich den Gefangenen.
„Ein Kurde,“ antwortete er.
„Aus welchem Ort?“
„Aus Mia.“
„Du lügſt!“
„Herr, ich ſage die Wahrheit!“
„Du biſt aus dieſem Dorfe!“
Er zögerte nur einen Augenblick, aber es war genug, um mir zu verraten, daß ich recht hatte.
„Ich bin aus Mia!“ wiederholte er.
„Was thuſt du hier ſo weit von deiner Heimat?“
„Ich bin als Bote des Nezanum von Mia hier.“
„Ich glaube, du kennſt den Nezanum von Mia nicht ſo gut wie den hieſigen; denn du biſt der Sohn des letzteren!“
Jetzt erſchrak er förmlich, obgleich er ſich Mühe gab, dies nicht merken zu laſſen.
„Wer hat dir dieſe Lüge geſagt?“ fragte er.
„Ich laſſe mich nicht belügen — weder von dir noch von anderen. Ich werde bereits in der Frühe wiſſen, wer du biſt, und dann giebt es keine Gnade, falls du mich betrogen haſt!“
Er blickte verlegen vor ſich nieder. Ich mußte ihm zu Hilfe kommen: „Wie du dich verhältſt, ſo wirſt du behandelt. Biſt du aufrichtig, ſo will ich dir verzeihen, weil du zu jung warſt, um dir alles vorher zu überlegen.
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„Wahrhaftig! Sollte es ſein Sohn ſein?“
„Sicher! Sehr ſicher! — Fragt ihn einmal, den
Schlingel!“
Verhielt es ſich ſo, dann war allerdings die Sorge
des Nezanum um dieſen Menſchen ſehr begründet; aber
dann lag auch ein ganz außerordentlicher Bruch der Gaſt-
freundſchaft vor.
„Wer biſt du?“ fragte ich den Gefangenen.
„Ein Kurde,“ antwortete er.
„Aus welchem Ort?“
„Aus Mia.“
„Du lügſt!“
„Herr, ich ſage die Wahrheit!“
„Du biſt aus dieſem Dorfe!“
Er zögerte nur einen Augenblick, aber es war genug,
um mir zu verraten, daß ich recht hatte.
„Ich bin aus Mia!“ wiederholte er.
„Was thuſt du hier ſo weit von deiner Heimat?“
„Ich bin als Bote des Nezanum von Mia hier.“
„Ich glaube, du kennſt den Nezanum von Mia nicht
ſo gut wie den hieſigen; denn du biſt der Sohn des
letzteren!“
Jetzt erſchrak er förmlich, obgleich er ſich Mühe gab,
dies nicht merken zu laſſen.
„Wer hat dir dieſe Lüge geſagt?“ fragte er.
„Ich laſſe mich nicht belügen — weder von dir
noch von anderen. Ich werde bereits in der Frühe wiſſen,
wer du biſt, und dann giebt es keine Gnade, falls du
mich betrogen haſt!“
Er blickte verlegen vor ſich nieder. Ich mußte ihm
zu Hilfe kommen: „Wie du dich verhältſt, ſo wirſt du
behandelt. Biſt du aufrichtig, ſo will ich dir verzeihen,
weil du zu jung warſt, um dir alles vorher zu überlegen.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/414>, abgerufen am 26.11.2024.
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