"Es geht mich sehr viel an, denn das Blut ist in meinem Dorfe geflossen, und die Anverwandten des Toten werden die Rechenschaft auch von mir und von allen meinen Leuten fordern. Gieb beide heraus!"
"Nur den Toten!"
"Schweig!" rief er nun laut, während wir bisher ziemlich leise gesprochen hatten. "Ich befehle es dir aber- mals. Und wenn du nicht gehorchest, so werde ich mir Gehorsam zu verschaffen wissen!"
"Wie wirst du das machen?"
"Die Leiter liegt noch am Hause. Ich laß meine Leute heraufkommen; sie werden dich wohl zwingen!"
"Du vergissest dabei die Hauptsache: -- unten be- finden sich vier Männer, die sich vor keinem Menschen fürchten, und hier oben bin ich mit meinem Hunde."
"Auch ich bin oben!"
"Du würdest sofort unten sein. Paß auf!"
Ehe er es vermuten konnte, faßte ich ihn unter dem rechten Arm und beim linken Oberschenkel und hob ihn empor.
"Chodih!" brüllte er.
Ich ließ ihn wieder nieder.
"Was hätte mich gehindert, dich hinabzuwerfen? Nun gehe und sage deinen Männern, was du gehört hast!"
"Du giebst diesen Mann nicht heraus?"
"Einstweilen noch nicht!"
"So behalte auch den Toten. Du wirst ihn bezahlen müssen!"
Er stieg nicht wieder in das Innere des Hauses, sondern gleich an der Leiter hinab, welche an der Außen- seite desselben lehnte.
"Und sage deinen Leuten," rief ich ihm noch zu, "daß sie fortgehen und diese Leiter mitnehmen sollen. Ich
„Es geht mich ſehr viel an, denn das Blut iſt in meinem Dorfe gefloſſen, und die Anverwandten des Toten werden die Rechenſchaft auch von mir und von allen meinen Leuten fordern. Gieb beide heraus!“
„Nur den Toten!“
„Schweig!“ rief er nun laut, während wir bisher ziemlich leiſe geſprochen hatten. „Ich befehle es dir aber- mals. Und wenn du nicht gehorcheſt, ſo werde ich mir Gehorſam zu verſchaffen wiſſen!“
„Wie wirſt du das machen?“
„Die Leiter liegt noch am Hauſe. Ich laß meine Leute heraufkommen; ſie werden dich wohl zwingen!“
„Du vergiſſeſt dabei die Hauptſache: — unten be- finden ſich vier Männer, die ſich vor keinem Menſchen fürchten, und hier oben bin ich mit meinem Hunde.“
„Auch ich bin oben!“
„Du würdeſt ſofort unten ſein. Paß auf!“
Ehe er es vermuten konnte, faßte ich ihn unter dem rechten Arm und beim linken Oberſchenkel und hob ihn empor.
„Chodih!“ brüllte er.
Ich ließ ihn wieder nieder.
„Was hätte mich gehindert, dich hinabzuwerfen? Nun gehe und ſage deinen Männern, was du gehört haſt!“
„Du giebſt dieſen Mann nicht heraus?“
„Einſtweilen noch nicht!“
„So behalte auch den Toten. Du wirſt ihn bezahlen müſſen!“
Er ſtieg nicht wieder in das Innere des Hauſes, ſondern gleich an der Leiter hinab, welche an der Außen- ſeite desſelben lehnte.
„Und ſage deinen Leuten,“ rief ich ihm noch zu, „daß ſie fortgehen und dieſe Leiter mitnehmen ſollen. Ich
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„Es geht mich ſehr viel an, denn das Blut iſt in
meinem Dorfe gefloſſen, und die Anverwandten des Toten
werden die Rechenſchaft auch von mir und von allen
meinen Leuten fordern. Gieb beide heraus!“
„Nur den Toten!“
„Schweig!“ rief er nun laut, während wir bisher
ziemlich leiſe geſprochen hatten. „Ich befehle es dir aber-
mals. Und wenn du nicht gehorcheſt, ſo werde ich mir
Gehorſam zu verſchaffen wiſſen!“
„Wie wirſt du das machen?“
„Die Leiter liegt noch am Hauſe. Ich laß meine
Leute heraufkommen; ſie werden dich wohl zwingen!“
„Du vergiſſeſt dabei die Hauptſache: — unten be-
finden ſich vier Männer, die ſich vor keinem Menſchen
fürchten, und hier oben bin ich mit meinem Hunde.“
„Auch ich bin oben!“
„Du würdeſt ſofort unten ſein. Paß auf!“
Ehe er es vermuten konnte, faßte ich ihn unter dem
rechten Arm und beim linken Oberſchenkel und hob ihn
empor.
„Chodih!“ brüllte er.
Ich ließ ihn wieder nieder.
„Was hätte mich gehindert, dich hinabzuwerfen? Nun
gehe und ſage deinen Männern, was du gehört haſt!“
„Du giebſt dieſen Mann nicht heraus?“
„Einſtweilen noch nicht!“
„So behalte auch den Toten. Du wirſt ihn bezahlen
müſſen!“
Er ſtieg nicht wieder in das Innere des Hauſes,
ſondern gleich an der Leiter hinab, welche an der Außen-
ſeite desſelben lehnte.
„Und ſage deinen Leuten,“ rief ich ihm noch zu,
„daß ſie fortgehen und dieſe Leiter mitnehmen ſollen. Ich
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/412>, abgerufen am 26.11.2024.
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