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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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"Pst, leise!" mahnte ich.

Auch die andern waren aufgewacht und lauschten.

"Werde nachsehen," meinte der Engländer.

Er erhob sich und schlich hinaus. Es dauerte wohl
fünf Minuten, bis er zurückkam.

"Sehr schön! Yes! Ausgezeichnet! War oben. Da
liegt ein Kerl und über ihm der Hund. Wagt nicht, zu
reden oder sich zu rühren. Und unten auf der Gasse viel
Kurden. Sprechen auch nicht."

"So lange der Hund nicht lauter wird, sind wir in
Sicherheit. Aber wenn sie mehrere Leitern anlegen, so
müssen wir hinauf."

Wir lauschten wieder eine lange Zeit. Da erscholl
ein fürchterlicher Schrei -- es war ein Todesschrei, daran
war gar nicht zu zweifeln -- und sofort ein zweiter und
gleich darauf wieder das laute, Sieg verkündende Bellen
des Hundes.

Jetzt konnte es gefährlich werden. Wir erhoben uns.
Ich rief Halef zu mir; denn seiner war ich am sicher-
sten. Wir traten leise hinaus auf den Flur und stiegen
die Leiter empor auf das Dach. Ein menschlicher Körper
lag auf demselben. Ich untersuchte ihn; er war tot; der
Hund hatte ihm das Genick zermalmt. Wo dieser sich
jetzt befand, verriet mir ein leiser, leiser Ton, mit dem
er mich bewillkommnete. Vielleicht fünf Schritte von dem
Toten lag ein zweiter Körper, und auf demselben hatte
sich der Hund ausgestreckt. Eine einzige Bewegung brachte
dem unter ihm liegenden Menschen den sicheren Tod.

Wenn ich die Augen recht anstrengte, sah ich unten
allerdings viele Leute stehen. Es war kein Zweifel, daß
sich das ganze Dorf beteiligt hatte, den Pferdediebstahl
oder gar noch etwas anderes auszuführen. Der erste, wel-
cher das Dach erstiegen hatte, war von dem Hunde nieder-

„Pſt, leiſe!“ mahnte ich.

Auch die andern waren aufgewacht und lauſchten.

„Werde nachſehen,“ meinte der Engländer.

Er erhob ſich und ſchlich hinaus. Es dauerte wohl
fünf Minuten, bis er zurückkam.

„Sehr ſchön! Yes! Ausgezeichnet! War oben. Da
liegt ein Kerl und über ihm der Hund. Wagt nicht, zu
reden oder ſich zu rühren. Und unten auf der Gaſſe viel
Kurden. Sprechen auch nicht.“

„So lange der Hund nicht lauter wird, ſind wir in
Sicherheit. Aber wenn ſie mehrere Leitern anlegen, ſo
müſſen wir hinauf.“

Wir lauſchten wieder eine lange Zeit. Da erſcholl
ein fürchterlicher Schrei — es war ein Todesſchrei, daran
war gar nicht zu zweifeln — und ſofort ein zweiter und
gleich darauf wieder das laute, Sieg verkündende Bellen
des Hundes.

Jetzt konnte es gefährlich werden. Wir erhoben uns.
Ich rief Halef zu mir; denn ſeiner war ich am ſicher-
ſten. Wir traten leiſe hinaus auf den Flur und ſtiegen
die Leiter empor auf das Dach. Ein menſchlicher Körper
lag auf demſelben. Ich unterſuchte ihn; er war tot; der
Hund hatte ihm das Genick zermalmt. Wo dieſer ſich
jetzt befand, verriet mir ein leiſer, leiſer Ton, mit dem
er mich bewillkommnete. Vielleicht fünf Schritte von dem
Toten lag ein zweiter Körper, und auf demſelben hatte
ſich der Hund ausgeſtreckt. Eine einzige Bewegung brachte
dem unter ihm liegenden Menſchen den ſicheren Tod.

Wenn ich die Augen recht anſtrengte, ſah ich unten
allerdings viele Leute ſtehen. Es war kein Zweifel, daß
ſich das ganze Dorf beteiligt hatte, den Pferdediebſtahl
oder gar noch etwas anderes auszuführen. Der erſte, wel-
cher das Dach erſtiegen hatte, war von dem Hunde nieder-

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[391/0405] „Pſt, leiſe!“ mahnte ich. Auch die andern waren aufgewacht und lauſchten. „Werde nachſehen,“ meinte der Engländer. Er erhob ſich und ſchlich hinaus. Es dauerte wohl fünf Minuten, bis er zurückkam. „Sehr ſchön! Yes! Ausgezeichnet! War oben. Da liegt ein Kerl und über ihm der Hund. Wagt nicht, zu reden oder ſich zu rühren. Und unten auf der Gaſſe viel Kurden. Sprechen auch nicht.“ „So lange der Hund nicht lauter wird, ſind wir in Sicherheit. Aber wenn ſie mehrere Leitern anlegen, ſo müſſen wir hinauf.“ Wir lauſchten wieder eine lange Zeit. Da erſcholl ein fürchterlicher Schrei — es war ein Todesſchrei, daran war gar nicht zu zweifeln — und ſofort ein zweiter und gleich darauf wieder das laute, Sieg verkündende Bellen des Hundes. Jetzt konnte es gefährlich werden. Wir erhoben uns. Ich rief Halef zu mir; denn ſeiner war ich am ſicher- ſten. Wir traten leiſe hinaus auf den Flur und ſtiegen die Leiter empor auf das Dach. Ein menſchlicher Körper lag auf demſelben. Ich unterſuchte ihn; er war tot; der Hund hatte ihm das Genick zermalmt. Wo dieſer ſich jetzt befand, verriet mir ein leiſer, leiſer Ton, mit dem er mich bewillkommnete. Vielleicht fünf Schritte von dem Toten lag ein zweiter Körper, und auf demſelben hatte ſich der Hund ausgeſtreckt. Eine einzige Bewegung brachte dem unter ihm liegenden Menſchen den ſicheren Tod. Wenn ich die Augen recht anſtrengte, ſah ich unten allerdings viele Leute ſtehen. Es war kein Zweifel, daß ſich das ganze Dorf beteiligt hatte, den Pferdediebſtahl oder gar noch etwas anderes auszuführen. Der erſte, wel- cher das Dach erſtiegen hatte, war von dem Hunde nieder-

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/405>, abgerufen am 26.11.2024.