wieder den Revolver hinter dem Halse des Pferdes, ohne daß er es bemerkte.
"Was hast du noch für Waffen?" fragte er nun.
"Siehst du jenen Tu *)? Paß auf!"
Ich stieg ab und legte den Henry-Stutzen an. Einer, zwei, drei, fünf, acht, elf Schüsse krachten. Die Kurden erhoben bei einem jeden neuen Schusse einen Ausruf des höchsten Erstaunens und nun setzte ich das Gewehr wieder ab.
"Geht hin und seht euch den Baum an!"
Alle eilten hin, und die meisten sprangen, um gut sehen zu können, vom Pferde. Ich erhielt somit Zeit zu neuem Laden. Dasselbe Experiment mit demselben Stutzen hatte mich einst bei den Comanchen in Respekt gesetzt, und auch jetzt erwartete ich eine ähnliche Wirkung mit Zu- versicht. Da kam der Anführer wieder auf mich zu und rief:
"Chodih **), alle elf Kugeln stecken im Baume, eine unter der andern!"
Daß er mich jetzt mit ,Herr' anredete, schien ein gutes Zeichen zu sein.
"Du kennst nun einige von unsern Waffen," sagte ich, "und wirst mir glauben, daß wir uns vor euren wilden Tieren nicht fürchten."
"Zeige uns die andern Waffen auch!"
"Dazu habe ich keine Zeit. Die Sonne ist hinab, und wir müssen weiter."
"Warte noch ein wenig!"
Er ritt wieder zu seinen Leuten und verhandelte mit ihnen. Dann kehrte er zurück und erklärte: "Ihr dürft bei uns bleiben!"
wieder den Revolver hinter dem Halſe des Pferdes, ohne daß er es bemerkte.
„Was haſt du noch für Waffen?“ fragte er nun.
„Siehſt du jenen Tu *)? Paß auf!“
Ich ſtieg ab und legte den Henry-Stutzen an. Einer, zwei, drei, fünf, acht, elf Schüſſe krachten. Die Kurden erhoben bei einem jeden neuen Schuſſe einen Ausruf des höchſten Erſtaunens und nun ſetzte ich das Gewehr wieder ab.
„Geht hin und ſeht euch den Baum an!“
Alle eilten hin, und die meiſten ſprangen, um gut ſehen zu können, vom Pferde. Ich erhielt ſomit Zeit zu neuem Laden. Dasſelbe Experiment mit demſelben Stutzen hatte mich einſt bei den Comanchen in Reſpekt geſetzt, und auch jetzt erwartete ich eine ähnliche Wirkung mit Zu- verſicht. Da kam der Anführer wieder auf mich zu und rief:
„Chodih **), alle elf Kugeln ſtecken im Baume, eine unter der andern!“
Daß er mich jetzt mit ‚Herr‘ anredete, ſchien ein gutes Zeichen zu ſein.
„Du kennſt nun einige von unſern Waffen,“ ſagte ich, „und wirſt mir glauben, daß wir uns vor euren wilden Tieren nicht fürchten.“
„Zeige uns die andern Waffen auch!“
„Dazu habe ich keine Zeit. Die Sonne iſt hinab, und wir müſſen weiter.“
„Warte noch ein wenig!“
Er ritt wieder zu ſeinen Leuten und verhandelte mit ihnen. Dann kehrte er zurück und erklärte: „Ihr dürft bei uns bleiben!“
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wieder den Revolver hinter dem Halſe des Pferdes, ohne
daß er es bemerkte.
„Was haſt du noch für Waffen?“ fragte er nun.
„Siehſt du jenen Tu *)? Paß auf!“
Ich ſtieg ab und legte den Henry-Stutzen an. Einer,
zwei, drei, fünf, acht, elf Schüſſe krachten. Die Kurden
erhoben bei einem jeden neuen Schuſſe einen Ausruf des
höchſten Erſtaunens und nun ſetzte ich das Gewehr wieder ab.
„Geht hin und ſeht euch den Baum an!“
Alle eilten hin, und die meiſten ſprangen, um gut
ſehen zu können, vom Pferde. Ich erhielt ſomit Zeit zu
neuem Laden. Dasſelbe Experiment mit demſelben Stutzen
hatte mich einſt bei den Comanchen in Reſpekt geſetzt, und
auch jetzt erwartete ich eine ähnliche Wirkung mit Zu-
verſicht. Da kam der Anführer wieder auf mich zu und rief:
„Chodih **), alle elf Kugeln ſtecken im Baume, eine
unter der andern!“
Daß er mich jetzt mit ‚Herr‘ anredete, ſchien ein gutes
Zeichen zu ſein.
„Du kennſt nun einige von unſern Waffen,“ ſagte
ich, „und wirſt mir glauben, daß wir uns vor euren
wilden Tieren nicht fürchten.“
„Zeige uns die andern Waffen auch!“
„Dazu habe ich keine Zeit. Die Sonne iſt hinab,
und wir müſſen weiter.“
„Warte noch ein wenig!“
Er ritt wieder zu ſeinen Leuten und verhandelte mit
ihnen. Dann kehrte er zurück und erklärte: „Ihr dürft
bei uns bleiben!“
„Wir geben weder unſere Waffen noch unſere Pferde
ab,“ erwiderte ich.
„Das ſollt ihr auch nicht. Ihr ſeid fünf Männer,
*) Maulbeerbaum.
**) Herr, Gebieter.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/394>, abgerufen am 25.11.2024.
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