"Da werden euch die wilden Tiere anfallen, und ihr habt schlechte Waffen."
Das war jedenfalls nur auf den Busch geklopft. Vielleicht war es gut für uns, wenn ich ihn vom Gegen- teile überzeugte, trotzdem dies auch das Gelüste, unsere Waffen zu besitzen, in gefährlicher Weise erregen konnte. Darum sagte ich: "Wir haben sehr gute Waffen!"
"Das glaube ich nicht!" lautete seine Antwort.
"Oh, wir haben Waffen, von denen eine einzige ge- nügt, um euch alle zu töten!"
Er lachte und sagte dann: "Du hast ein sehr großes Maul. Zeige mir einmal eine solche Waffe!"
Ich nahm einen meiner Revolver heraus und fragte den Kurden: "Siehst du dieses kleine Ding?" -- Dann rief ich meinen Diener herbei und befahl ihm: "Brich einen Ast von jenem Strauche, mache die Blätter weg bis auf sechs und halte ihn empor. Ich will danach schießen!"
Er that es, und da nun die anderen Kurden merkten, um was es sich handelte, so kamen sie näher heran. Ich nahm mein Pferd auf die weiteste Distanz zurück und zielte. Die sechs Schüsse wurden schnell hintereinander abgegeben, und dann reichte Halef dem Kurden den Zweig hin.
"Katera Chodeh *)," rief er; "sie sind alle sechs ge- troffen, die Blätter!"
"Das ist nicht schwer," prahlte ich; "das kann bei den Tschermaki ein jedes Kind. Aber das Wunder besteht darin, daß man mit diesem kleinen Ding so schnell und immerfort schießen kann, ohne zu laden."
Er gab den Zweig seinen Leuten, und während sie ihn betrachteten, nahm ich sechs Patronen heraus und lud
*) Um Gottes willen.
„Da werden euch die wilden Tiere anfallen, und ihr habt ſchlechte Waffen.“
Das war jedenfalls nur auf den Buſch geklopft. Vielleicht war es gut für uns, wenn ich ihn vom Gegen- teile überzeugte, trotzdem dies auch das Gelüſte, unſere Waffen zu beſitzen, in gefährlicher Weiſe erregen konnte. Darum ſagte ich: „Wir haben ſehr gute Waffen!“
„Das glaube ich nicht!“ lautete ſeine Antwort.
„Oh, wir haben Waffen, von denen eine einzige ge- nügt, um euch alle zu töten!“
Er lachte und ſagte dann: „Du haſt ein ſehr großes Maul. Zeige mir einmal eine ſolche Waffe!“
Ich nahm einen meiner Revolver heraus und fragte den Kurden: „Siehſt du dieſes kleine Ding?“ — Dann rief ich meinen Diener herbei und befahl ihm: „Brich einen Aſt von jenem Strauche, mache die Blätter weg bis auf ſechs und halte ihn empor. Ich will danach ſchießen!“
Er that es, und da nun die anderen Kurden merkten, um was es ſich handelte, ſo kamen ſie näher heran. Ich nahm mein Pferd auf die weiteſte Diſtanz zurück und zielte. Die ſechs Schüſſe wurden ſchnell hintereinander abgegeben, und dann reichte Halef dem Kurden den Zweig hin.
„Katera Chodeh *),“ rief er; „ſie ſind alle ſechs ge- troffen, die Blätter!“
„Das iſt nicht ſchwer,“ prahlte ich; „das kann bei den Tſchermaki ein jedes Kind. Aber das Wunder beſteht darin, daß man mit dieſem kleinen Ding ſo ſchnell und immerfort ſchießen kann, ohne zu laden.“
Er gab den Zweig ſeinen Leuten, und während ſie ihn betrachteten, nahm ich ſechs Patronen heraus und lud
*) Um Gottes willen.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0393"n="379"/><p>„Da werden euch die wilden Tiere anfallen, und ihr<lb/>
habt ſchlechte Waffen.“</p><lb/><p>Das war jedenfalls nur auf den Buſch geklopft.<lb/>
Vielleicht war es gut für uns, wenn ich ihn vom Gegen-<lb/>
teile überzeugte, trotzdem dies auch das Gelüſte, unſere<lb/>
Waffen zu beſitzen, in gefährlicher Weiſe erregen konnte.<lb/>
Darum ſagte ich: „Wir haben ſehr gute Waffen!“</p><lb/><p>„Das glaube ich nicht!“ lautete ſeine Antwort.</p><lb/><p>„Oh, wir haben Waffen, von denen eine einzige ge-<lb/>
nügt, um euch alle zu töten!“</p><lb/><p>Er lachte und ſagte dann: „Du haſt ein ſehr großes<lb/>
Maul. Zeige mir einmal eine ſolche Waffe!“</p><lb/><p>Ich nahm einen meiner Revolver heraus und fragte<lb/>
den Kurden: „Siehſt du dieſes kleine Ding?“— Dann<lb/>
rief ich meinen Diener herbei und befahl ihm: „Brich<lb/>
einen Aſt von jenem Strauche, mache die Blätter weg<lb/>
bis auf ſechs und halte ihn empor. Ich will danach<lb/>ſchießen!“</p><lb/><p>Er that es, und da nun die anderen Kurden merkten,<lb/>
um was es ſich handelte, ſo kamen ſie näher heran. Ich<lb/>
nahm mein Pferd auf die weiteſte Diſtanz zurück und<lb/>
zielte. Die ſechs Schüſſe wurden ſchnell hintereinander<lb/>
abgegeben, und dann reichte Halef dem Kurden den<lb/>
Zweig hin.</p><lb/><p>„Katera Chodeh <noteplace="foot"n="*)">Um Gottes willen.</note>,“ rief er; „ſie ſind alle ſechs ge-<lb/>
troffen, die Blätter!“</p><lb/><p>„Das iſt nicht ſchwer,“ prahlte ich; „das kann bei<lb/>
den Tſchermaki ein jedes Kind. Aber das Wunder beſteht<lb/>
darin, daß man mit dieſem kleinen Ding ſo ſchnell und<lb/>
immerfort ſchießen kann, ohne zu laden.“</p><lb/><p>Er gab den Zweig ſeinen Leuten, und während ſie<lb/>
ihn betrachteten, nahm ich ſechs Patronen heraus und lud<lb/></p></div></body></text></TEI>
[379/0393]
„Da werden euch die wilden Tiere anfallen, und ihr
habt ſchlechte Waffen.“
Das war jedenfalls nur auf den Buſch geklopft.
Vielleicht war es gut für uns, wenn ich ihn vom Gegen-
teile überzeugte, trotzdem dies auch das Gelüſte, unſere
Waffen zu beſitzen, in gefährlicher Weiſe erregen konnte.
Darum ſagte ich: „Wir haben ſehr gute Waffen!“
„Das glaube ich nicht!“ lautete ſeine Antwort.
„Oh, wir haben Waffen, von denen eine einzige ge-
nügt, um euch alle zu töten!“
Er lachte und ſagte dann: „Du haſt ein ſehr großes
Maul. Zeige mir einmal eine ſolche Waffe!“
Ich nahm einen meiner Revolver heraus und fragte
den Kurden: „Siehſt du dieſes kleine Ding?“ — Dann
rief ich meinen Diener herbei und befahl ihm: „Brich
einen Aſt von jenem Strauche, mache die Blätter weg
bis auf ſechs und halte ihn empor. Ich will danach
ſchießen!“
Er that es, und da nun die anderen Kurden merkten,
um was es ſich handelte, ſo kamen ſie näher heran. Ich
nahm mein Pferd auf die weiteſte Diſtanz zurück und
zielte. Die ſechs Schüſſe wurden ſchnell hintereinander
abgegeben, und dann reichte Halef dem Kurden den
Zweig hin.
„Katera Chodeh *),“ rief er; „ſie ſind alle ſechs ge-
troffen, die Blätter!“
„Das iſt nicht ſchwer,“ prahlte ich; „das kann bei
den Tſchermaki ein jedes Kind. Aber das Wunder beſteht
darin, daß man mit dieſem kleinen Ding ſo ſchnell und
immerfort ſchießen kann, ohne zu laden.“
Er gab den Zweig ſeinen Leuten, und während ſie
ihn betrachteten, nahm ich ſechs Patronen heraus und lud
*) Um Gottes willen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/393>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.