"Zunächst unsern Weg fortsetzen und, wenn sie uns daran hindern sollten, verhandeln."
Ich sagte das alles auch den übrigen, und sie gaben mir recht, obgleich kein Feigling unter ihnen war. Diese Kurden gehörten sicher nicht alle zum Dorfe, das keine solche Anzahl erwachsener Krieger haben konnte; sie waren jedenfalls aus irgend einem Grunde hier zusammengekommen, und es schien, daß sie sich in einer sehr kriegerischen Stimmung befänden. Sie lösten jetzt den Kreis auf und bildeten nun einen scheinbar ungeordneten Haufen, der sich nicht von der Stelle bewegte und unsern Entschluß ab- zuwarten schien.
"Sie wollen uns den Weg versperren," meinte Mo- hammed, der Häuptling der Haddedihn.
"Es scheint so," stimmte ich ihm bei. "Also gebraucht die Waffen nicht, so lange wir uns nicht in wirklicher Lebensgefahr befinden!"
"Wir wollen deshalb einen weiten Kreis um das Dorf herum reiten," schlug mein kleiner arabischer Diener Halef vor.
"Das müssen wir auch. Kommt!"
Wir schwenkten in einem Bogen ab, aber sogleich setzten sich die Kurden auch in Bewegung, und der An- führer kam wieder auf mich zugeritten.
"Wo willst du hin?" fragte er.
"Nach Gumri," antwortete ich mit Nachdruck.
Meine Antwort mochte dem Kurdenanführer nicht nach Wunsch sein, und er entgegnete:
"Es ist zu weit, und die Nacht bricht ein. Ihr werdet Gumri nicht erreichen."
"Wir werden andere Dörfer finden oder im Freien schlafen."
„Was aber thun?“ fragte er.
„Zunächſt unſern Weg fortſetzen und, wenn ſie uns daran hindern ſollten, verhandeln.“
Ich ſagte das alles auch den übrigen, und ſie gaben mir recht, obgleich kein Feigling unter ihnen war. Dieſe Kurden gehörten ſicher nicht alle zum Dorfe, das keine ſolche Anzahl erwachſener Krieger haben konnte; ſie waren jedenfalls aus irgend einem Grunde hier zuſammengekommen, und es ſchien, daß ſie ſich in einer ſehr kriegeriſchen Stimmung befänden. Sie löſten jetzt den Kreis auf und bildeten nun einen ſcheinbar ungeordneten Haufen, der ſich nicht von der Stelle bewegte und unſern Entſchluß ab- zuwarten ſchien.
„Sie wollen uns den Weg verſperren,“ meinte Mo- hammed, der Häuptling der Haddedihn.
„Es ſcheint ſo,“ ſtimmte ich ihm bei. „Alſo gebraucht die Waffen nicht, ſo lange wir uns nicht in wirklicher Lebensgefahr befinden!“
„Wir wollen deshalb einen weiten Kreis um das Dorf herum reiten,“ ſchlug mein kleiner arabiſcher Diener Halef vor.
„Das müſſen wir auch. Kommt!“
Wir ſchwenkten in einem Bogen ab, aber ſogleich ſetzten ſich die Kurden auch in Bewegung, und der An- führer kam wieder auf mich zugeritten.
„Wo willſt du hin?“ fragte er.
„Nach Gumri,“ antwortete ich mit Nachdruck.
Meine Antwort mochte dem Kurdenanführer nicht nach Wunſch ſein, und er entgegnete:
„Es iſt zu weit, und die Nacht bricht ein. Ihr werdet Gumri nicht erreichen.“
„Wir werden andere Dörfer finden oder im Freien ſchlafen.“
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„Was aber thun?“ fragte er.
„Zunächſt unſern Weg fortſetzen und, wenn ſie uns
daran hindern ſollten, verhandeln.“
Ich ſagte das alles auch den übrigen, und ſie gaben
mir recht, obgleich kein Feigling unter ihnen war. Dieſe
Kurden gehörten ſicher nicht alle zum Dorfe, das keine
ſolche Anzahl erwachſener Krieger haben konnte; ſie waren
jedenfalls aus irgend einem Grunde hier zuſammengekommen,
und es ſchien, daß ſie ſich in einer ſehr kriegeriſchen
Stimmung befänden. Sie löſten jetzt den Kreis auf und
bildeten nun einen ſcheinbar ungeordneten Haufen, der ſich
nicht von der Stelle bewegte und unſern Entſchluß ab-
zuwarten ſchien.
„Sie wollen uns den Weg verſperren,“ meinte Mo-
hammed, der Häuptling der Haddedihn.
„Es ſcheint ſo,“ ſtimmte ich ihm bei. „Alſo gebraucht
die Waffen nicht, ſo lange wir uns nicht in wirklicher
Lebensgefahr befinden!“
„Wir wollen deshalb einen weiten Kreis um das
Dorf herum reiten,“ ſchlug mein kleiner arabiſcher Diener
Halef vor.
„Das müſſen wir auch. Kommt!“
Wir ſchwenkten in einem Bogen ab, aber ſogleich
ſetzten ſich die Kurden auch in Bewegung, und der An-
führer kam wieder auf mich zugeritten.
„Wo willſt du hin?“ fragte er.
„Nach Gumri,“ antwortete ich mit Nachdruck.
Meine Antwort mochte dem Kurdenanführer nicht
nach Wunſch ſein, und er entgegnete:
„Es iſt zu weit, und die Nacht bricht ein. Ihr
werdet Gumri nicht erreichen.“
„Wir werden andere Dörfer finden oder im Freien
ſchlafen.“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/392>, abgerufen am 25.11.2024.
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