Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Wir werden sie töten!"

"Morgen früh gleich!"

"Natürlich, das versteht sich!"

Ich hatte nun genug gesehen und gehört; darum zog
ich mich zurück, erst langsam und vorsichtig, dann aber
rascher. Ich erhob mich dabei sogar von der Erde, wor-
über Halef sich nicht wenig wunderte, als ich bei ihm
ankam.

"Wer ist es, Sihdi?"

"Artilleristen. Komm; wir haben keine Zeit!"

"Gehen wir aufrecht?"

"Ja."

Wir erreichten bald unsere Pferde, stiegen auf und
kehrten zurück. Die Strecke nach Scheik Adi wurde jetzt
natürlich viel schneller zurückgelegt, als vorhin. Wir
fanden dort noch dasselbe rege Leben.

Ich hörte, daß Ali Bey sich beim Heiligtum befinde,
und traf ihn mit dem Mir Scheik Khan in dem inneren
Hofe desselben. Er kam mir erwartungsvoll entgegen und
führte mich zum Khan.

"Was hast du gesehen?" fragte er.

"Kanonen!"

"Oh!" machte er erschrocken. "Wie viele?"

"Vier kleine Gebirgskanonen."

"Welchen Zweck haben sie?"

"Scheik Adi soll damit zusammengeschossen werden.
Während die Infanteristen von Baadri und Kaloni an-
greifen, soll die Artillerie jedenfalls da unten am Wasser
spielen. Der Plan ist nicht schlecht, denn von dort aus
läßt sich das ganze Thal bestreichen. Es handelte sich
nur darum, die Geschütze unbemerkt über die Höhen zu
bringen; dies ist gelungen; man hat sich der Maultiere
bedient, mit deren Hilfe die Kanonen in einer Stunde

„Wir werden ſie töten!“

„Morgen früh gleich!“

„Natürlich, das verſteht ſich!“

Ich hatte nun genug geſehen und gehört; darum zog
ich mich zurück, erſt langſam und vorſichtig, dann aber
raſcher. Ich erhob mich dabei ſogar von der Erde, wor-
über Halef ſich nicht wenig wunderte, als ich bei ihm
ankam.

„Wer iſt es, Sihdi?“

„Artilleriſten. Komm; wir haben keine Zeit!“

„Gehen wir aufrecht?“

„Ja.“

Wir erreichten bald unſere Pferde, ſtiegen auf und
kehrten zurück. Die Strecke nach Scheik Adi wurde jetzt
natürlich viel ſchneller zurückgelegt, als vorhin. Wir
fanden dort noch dasſelbe rege Leben.

Ich hörte, daß Ali Bey ſich beim Heiligtum befinde,
und traf ihn mit dem Mir Scheik Khan in dem inneren
Hofe desſelben. Er kam mir erwartungsvoll entgegen und
führte mich zum Khan.

„Was haſt du geſehen?“ fragte er.

„Kanonen!“

„Oh!“ machte er erſchrocken. „Wie viele?“

„Vier kleine Gebirgskanonen.“

„Welchen Zweck haben ſie?“

„Scheik Adi ſoll damit zuſammengeſchoſſen werden.
Während die Infanteriſten von Baadri und Kaloni an-
greifen, ſoll die Artillerie jedenfalls da unten am Waſſer
ſpielen. Der Plan iſt nicht ſchlecht, denn von dort aus
läßt ſich das ganze Thal beſtreichen. Es handelte ſich
nur darum, die Geſchütze unbemerkt über die Höhen zu
bringen; dies iſt gelungen; man hat ſich der Maultiere
bedient, mit deren Hilfe die Kanonen in einer Stunde

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0039" n="25"/>
        <p>&#x201E;Wir werden &#x017F;ie töten!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Morgen früh gleich!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Natürlich, das ver&#x017F;teht &#x017F;ich!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich hatte nun genug ge&#x017F;ehen und gehört; darum zog<lb/>
ich mich zurück, er&#x017F;t lang&#x017F;am und vor&#x017F;ichtig, dann aber<lb/>
ra&#x017F;cher. Ich erhob mich dabei &#x017F;ogar von der Erde, wor-<lb/>
über Halef &#x017F;ich nicht wenig wunderte, als ich bei ihm<lb/>
ankam.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wer i&#x017F;t es, Sihdi?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Artilleri&#x017F;ten. Komm; wir haben keine Zeit!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gehen wir aufrecht?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wir erreichten bald un&#x017F;ere Pferde, &#x017F;tiegen auf und<lb/>
kehrten zurück. Die Strecke nach Scheik Adi wurde jetzt<lb/>
natürlich viel &#x017F;chneller zurückgelegt, als vorhin. Wir<lb/>
fanden dort noch das&#x017F;elbe rege Leben.</p><lb/>
        <p>Ich hörte, daß Ali Bey &#x017F;ich beim Heiligtum befinde,<lb/>
und traf ihn mit dem Mir Scheik Khan in dem inneren<lb/>
Hofe des&#x017F;elben. Er kam mir erwartungsvoll entgegen und<lb/>
führte mich zum Khan.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was ha&#x017F;t du ge&#x017F;ehen?&#x201C; fragte er.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Kanonen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Oh!&#x201C; machte er er&#x017F;chrocken. &#x201E;Wie viele?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Vier kleine Gebirgskanonen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Welchen Zweck haben &#x017F;ie?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Scheik Adi &#x017F;oll damit zu&#x017F;ammenge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en werden.<lb/>
Während die Infanteri&#x017F;ten von Baadri und Kaloni an-<lb/>
greifen, &#x017F;oll die Artillerie jedenfalls da unten am Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
&#x017F;pielen. Der Plan i&#x017F;t nicht &#x017F;chlecht, denn von dort aus<lb/>
läßt &#x017F;ich das ganze Thal be&#x017F;treichen. Es handelte &#x017F;ich<lb/>
nur darum, die Ge&#x017F;chütze unbemerkt über die Höhen zu<lb/>
bringen; dies i&#x017F;t gelungen; man hat &#x017F;ich der Maultiere<lb/>
bedient, mit deren Hilfe die Kanonen in einer Stunde<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0039] „Wir werden ſie töten!“ „Morgen früh gleich!“ „Natürlich, das verſteht ſich!“ Ich hatte nun genug geſehen und gehört; darum zog ich mich zurück, erſt langſam und vorſichtig, dann aber raſcher. Ich erhob mich dabei ſogar von der Erde, wor- über Halef ſich nicht wenig wunderte, als ich bei ihm ankam. „Wer iſt es, Sihdi?“ „Artilleriſten. Komm; wir haben keine Zeit!“ „Gehen wir aufrecht?“ „Ja.“ Wir erreichten bald unſere Pferde, ſtiegen auf und kehrten zurück. Die Strecke nach Scheik Adi wurde jetzt natürlich viel ſchneller zurückgelegt, als vorhin. Wir fanden dort noch dasſelbe rege Leben. Ich hörte, daß Ali Bey ſich beim Heiligtum befinde, und traf ihn mit dem Mir Scheik Khan in dem inneren Hofe desſelben. Er kam mir erwartungsvoll entgegen und führte mich zum Khan. „Was haſt du geſehen?“ fragte er. „Kanonen!“ „Oh!“ machte er erſchrocken. „Wie viele?“ „Vier kleine Gebirgskanonen.“ „Welchen Zweck haben ſie?“ „Scheik Adi ſoll damit zuſammengeſchoſſen werden. Während die Infanteriſten von Baadri und Kaloni an- greifen, ſoll die Artillerie jedenfalls da unten am Waſſer ſpielen. Der Plan iſt nicht ſchlecht, denn von dort aus läßt ſich das ganze Thal beſtreichen. Es handelte ſich nur darum, die Geſchütze unbemerkt über die Höhen zu bringen; dies iſt gelungen; man hat ſich der Maultiere bedient, mit deren Hilfe die Kanonen in einer Stunde

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/39
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/39>, abgerufen am 22.12.2024.