Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

nicht in den Urwäldern Amerikas, und die guten Leute,
welche ich vor mir hatte, schienen nicht die mindeste Ahnung
zu haben, daß es irgend einem Menschenkinde einfallen
könne, sie zu belauschen."

So avancierte ich immer weiter, bis ich einen Baum
erreichte, dessen Wurzeln so zahlreiche Schößlinge getrieben
hatte, daß ich hinter denselben ein recht leidliches Versteck
zu finden hoffte. Wünschenswert war dies besonders des-
halb, weil ganz in der Nähe des Baumes zwei Männer
saßen, auf die ich es abgesehen hatte, zwei türkische Offiziere.

Mit einiger Vorsicht gelang es mir, mich hinter den
Schößlingen häuslich niederzulassen, und nun konnte ich
die Scene vollständig überblicken.

Draußen vor dem kleinen Gehölze standen -- vier
Gebirgskanonen oder vielmehr zwei Kanonen und zwei
Haubitzen, und am Saume des Gehölzes waren ungefähr
zwanzig Maultiere angebunden, die zum Transporte
dieser Geschütze erforderlich gewesen waren. Man braucht
zu einem Geschütze gewöhnlich vier bis fünf Maultiere;
eins muß das Rohr, eins die Lafette und zwei bis vier
müssen die Munitionskästen tragen.

Die Kanoniere hatten es sich bequem gemacht; sie
lagen auf dem Boden ausgestreckt und plauderten leise
miteinander. Die beiden Offiziere aber wünschten Kaffee
zu trinken und ihren Tschibuk zu rauchen; darum war
ein Feuer gemacht worden, über welchem ein kleiner Kessel
auf zwei Steinen stand. Der eine der beiden Helden war
ein Hauptmann und der andere ein Lieutenant. Der
Hauptmann hatte ein recht biederes Aussehen; er kam
mir grade so vor, als sei er eigentlich ein urgemütlicher,
dicker deutscher Bäckermeister, der auf einem Liebhaber-
theater den wilden Türken spielen soll und sich dazu für
anderthalbe Mark vom Maskenverleiher das Kostüm ge-

nicht in den Urwäldern Amerikas, und die guten Leute,
welche ich vor mir hatte, ſchienen nicht die mindeſte Ahnung
zu haben, daß es irgend einem Menſchenkinde einfallen
könne, ſie zu belauſchen.“

So avancierte ich immer weiter, bis ich einen Baum
erreichte, deſſen Wurzeln ſo zahlreiche Schößlinge getrieben
hatte, daß ich hinter denſelben ein recht leidliches Verſteck
zu finden hoffte. Wünſchenswert war dies beſonders des-
halb, weil ganz in der Nähe des Baumes zwei Männer
ſaßen, auf die ich es abgeſehen hatte, zwei türkiſche Offiziere.

Mit einiger Vorſicht gelang es mir, mich hinter den
Schößlingen häuslich niederzulaſſen, und nun konnte ich
die Scene vollſtändig überblicken.

Draußen vor dem kleinen Gehölze ſtanden — vier
Gebirgskanonen oder vielmehr zwei Kanonen und zwei
Haubitzen, und am Saume des Gehölzes waren ungefähr
zwanzig Maultiere angebunden, die zum Transporte
dieſer Geſchütze erforderlich geweſen waren. Man braucht
zu einem Geſchütze gewöhnlich vier bis fünf Maultiere;
eins muß das Rohr, eins die Lafette und zwei bis vier
müſſen die Munitionskäſten tragen.

Die Kanoniere hatten es ſich bequem gemacht; ſie
lagen auf dem Boden ausgeſtreckt und plauderten leiſe
miteinander. Die beiden Offiziere aber wünſchten Kaffee
zu trinken und ihren Tſchibuk zu rauchen; darum war
ein Feuer gemacht worden, über welchem ein kleiner Keſſel
auf zwei Steinen ſtand. Der eine der beiden Helden war
ein Hauptmann und der andere ein Lieutenant. Der
Hauptmann hatte ein recht biederes Ausſehen; er kam
mir grade ſo vor, als ſei er eigentlich ein urgemütlicher,
dicker deutſcher Bäckermeiſter, der auf einem Liebhaber-
theater den wilden Türken ſpielen ſoll und ſich dazu für
anderthalbe Mark vom Maskenverleiher das Koſtüm ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0037" n="23"/>
nicht in den Urwäldern Amerikas, und die guten Leute,<lb/>
welche ich vor mir hatte, &#x017F;chienen nicht die minde&#x017F;te Ahnung<lb/>
zu haben, daß es irgend einem Men&#x017F;chenkinde einfallen<lb/>
könne, &#x017F;ie zu belau&#x017F;chen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>So avancierte ich immer weiter, bis ich einen Baum<lb/>
erreichte, de&#x017F;&#x017F;en Wurzeln &#x017F;o zahlreiche Schößlinge getrieben<lb/>
hatte, daß ich hinter den&#x017F;elben ein recht leidliches Ver&#x017F;teck<lb/>
zu finden hoffte. Wün&#x017F;chenswert war dies be&#x017F;onders des-<lb/>
halb, weil ganz in der Nähe des Baumes zwei Männer<lb/>
&#x017F;aßen, auf die ich es abge&#x017F;ehen hatte, zwei türki&#x017F;che Offiziere.</p><lb/>
        <p>Mit einiger Vor&#x017F;icht gelang es mir, mich hinter den<lb/>
Schößlingen häuslich niederzula&#x017F;&#x017F;en, und nun konnte ich<lb/>
die Scene voll&#x017F;tändig überblicken.</p><lb/>
        <p>Draußen vor dem kleinen Gehölze &#x017F;tanden &#x2014; vier<lb/>
Gebirgskanonen oder vielmehr zwei Kanonen und zwei<lb/>
Haubitzen, und am Saume des Gehölzes waren ungefähr<lb/>
zwanzig Maultiere angebunden, die zum Transporte<lb/>
die&#x017F;er Ge&#x017F;chütze erforderlich gewe&#x017F;en waren. Man braucht<lb/>
zu einem Ge&#x017F;chütze gewöhnlich vier bis fünf Maultiere;<lb/>
eins muß das Rohr, eins die Lafette und zwei bis vier<lb/>&#x017F;&#x017F;en die Munitionskä&#x017F;ten tragen.</p><lb/>
        <p>Die Kanoniere hatten es &#x017F;ich bequem gemacht; &#x017F;ie<lb/>
lagen auf dem Boden ausge&#x017F;treckt und plauderten lei&#x017F;e<lb/>
miteinander. Die beiden Offiziere aber wün&#x017F;chten Kaffee<lb/>
zu trinken und ihren T&#x017F;chibuk zu rauchen; darum war<lb/>
ein Feuer gemacht worden, über welchem ein kleiner Ke&#x017F;&#x017F;el<lb/>
auf zwei Steinen &#x017F;tand. Der eine der beiden Helden war<lb/>
ein Hauptmann und der andere ein Lieutenant. Der<lb/>
Hauptmann hatte ein recht biederes Aus&#x017F;ehen; er kam<lb/>
mir grade &#x017F;o vor, als &#x017F;ei er eigentlich ein urgemütlicher,<lb/>
dicker deut&#x017F;cher Bäckermei&#x017F;ter, der auf einem Liebhaber-<lb/>
theater den wilden Türken &#x017F;pielen &#x017F;oll und &#x017F;ich dazu für<lb/>
anderthalbe Mark vom Maskenverleiher das Ko&#x017F;tüm ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0037] nicht in den Urwäldern Amerikas, und die guten Leute, welche ich vor mir hatte, ſchienen nicht die mindeſte Ahnung zu haben, daß es irgend einem Menſchenkinde einfallen könne, ſie zu belauſchen.“ So avancierte ich immer weiter, bis ich einen Baum erreichte, deſſen Wurzeln ſo zahlreiche Schößlinge getrieben hatte, daß ich hinter denſelben ein recht leidliches Verſteck zu finden hoffte. Wünſchenswert war dies beſonders des- halb, weil ganz in der Nähe des Baumes zwei Männer ſaßen, auf die ich es abgeſehen hatte, zwei türkiſche Offiziere. Mit einiger Vorſicht gelang es mir, mich hinter den Schößlingen häuslich niederzulaſſen, und nun konnte ich die Scene vollſtändig überblicken. Draußen vor dem kleinen Gehölze ſtanden — vier Gebirgskanonen oder vielmehr zwei Kanonen und zwei Haubitzen, und am Saume des Gehölzes waren ungefähr zwanzig Maultiere angebunden, die zum Transporte dieſer Geſchütze erforderlich geweſen waren. Man braucht zu einem Geſchütze gewöhnlich vier bis fünf Maultiere; eins muß das Rohr, eins die Lafette und zwei bis vier müſſen die Munitionskäſten tragen. Die Kanoniere hatten es ſich bequem gemacht; ſie lagen auf dem Boden ausgeſtreckt und plauderten leiſe miteinander. Die beiden Offiziere aber wünſchten Kaffee zu trinken und ihren Tſchibuk zu rauchen; darum war ein Feuer gemacht worden, über welchem ein kleiner Keſſel auf zwei Steinen ſtand. Der eine der beiden Helden war ein Hauptmann und der andere ein Lieutenant. Der Hauptmann hatte ein recht biederes Ausſehen; er kam mir grade ſo vor, als ſei er eigentlich ein urgemütlicher, dicker deutſcher Bäckermeiſter, der auf einem Liebhaber- theater den wilden Türken ſpielen ſoll und ſich dazu für anderthalbe Mark vom Maskenverleiher das Koſtüm ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/37
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/37>, abgerufen am 23.12.2024.