Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Warum?"

"Dazu gehört ein Mann, welcher Mut und Klug-
heit besitzt, und mit diesen beiden Eigenschaften hat dich
Allah in seiner Weisheit verschont."

"Du willst mich verhöhnen? Siehe zu, wie weit du
mit deiner eignen Klugheit kommst! Legt die Thüre an
und schiebt die Riegel vor!"

Jetzt zog ich eine der Pistolen.

"Laßt die Thüre liegen, das rate ich euch!"

Die braven Arnauten blieben sehr verlegen stehen.

"Greift zu, ihr Hunde!" gebot er drohend.

"Laßt euch nicht erschießen, ihr Leute!" sagte ich,
indem ich die Hähne spannte.

"Wage es, zu schießen!" rief der Mutesselim.

"Wagen? O, Mutesselim, das ist ja gar kein Wag-
nis. Mit diesen Leuten werde ich ganz gut auskommen,
und du bist der erste, den meine Kugel trifft!"

Die Wirkung war eigentümlich, denn der kühne Held
von Amadijah verschwand sofort von der Thüröffnung.
Aber seine Stimme ertönte:

"Schließt ihn ein, ihr Schurken!"

"Thut es nicht, ihr Männer, denn ich werde den,
der diese Thüre zu schließen wagt, ganz sicher in die
Dschehennah schicken!"

"So schießt ihr wieder!" ertönte es von der Seite her.

"Mutesselim, vergiß nicht, wer ich bin! Eine Ver-
letzung meiner Person würde dich deinen Kopf kosten."

"Wollt ihr gehorchen, ihr Buben! Oder soll ich es
sein, der euch erschießt? Selim Agha, greif zu!"

Der Neffe des Schwagers von der Schwester des
Enkelsohnes der Mutter von der Stiefschwester der ,Myrte'
war dem Beispiele seines Vorgesetzten gefolgt und hatte
sich in der Entfernung an die Mauer gedrückt. Er befand

„Warum?“

„Dazu gehört ein Mann, welcher Mut und Klug-
heit beſitzt, und mit dieſen beiden Eigenſchaften hat dich
Allah in ſeiner Weisheit verſchont.“

„Du willſt mich verhöhnen? Siehe zu, wie weit du
mit deiner eignen Klugheit kommſt! Legt die Thüre an
und ſchiebt die Riegel vor!“

Jetzt zog ich eine der Piſtolen.

„Laßt die Thüre liegen, das rate ich euch!“

Die braven Arnauten blieben ſehr verlegen ſtehen.

„Greift zu, ihr Hunde!“ gebot er drohend.

„Laßt euch nicht erſchießen, ihr Leute!“ ſagte ich,
indem ich die Hähne ſpannte.

„Wage es, zu ſchießen!“ rief der Muteſſelim.

„Wagen? O, Muteſſelim, das iſt ja gar kein Wag-
nis. Mit dieſen Leuten werde ich ganz gut auskommen,
und du biſt der erſte, den meine Kugel trifft!“

Die Wirkung war eigentümlich, denn der kühne Held
von Amadijah verſchwand ſofort von der Thüröffnung.
Aber ſeine Stimme ertönte:

„Schließt ihn ein, ihr Schurken!“

„Thut es nicht, ihr Männer, denn ich werde den,
der dieſe Thüre zu ſchließen wagt, ganz ſicher in die
Dſchehennah ſchicken!“

„So ſchießt ihr wieder!“ ertönte es von der Seite her.

„Muteſſelim, vergiß nicht, wer ich bin! Eine Ver-
letzung meiner Perſon würde dich deinen Kopf koſten.“

„Wollt ihr gehorchen, ihr Buben! Oder ſoll ich es
ſein, der euch erſchießt? Selim Agha, greif zu!“

Der Neffe des Schwagers von der Schweſter des
Enkelſohnes der Mutter von der Stiefſchweſter der ‚Myrte‘
war dem Beiſpiele ſeines Vorgeſetzten gefolgt und hatte
ſich in der Entfernung an die Mauer gedrückt. Er befand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0357" n="343"/>
        <p>&#x201E;Warum?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Dazu gehört ein Mann, welcher Mut und Klug-<lb/>
heit be&#x017F;itzt, und mit die&#x017F;en beiden Eigen&#x017F;chaften hat dich<lb/>
Allah in &#x017F;einer Weisheit ver&#x017F;chont.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du will&#x017F;t mich verhöhnen? Siehe zu, wie weit du<lb/>
mit deiner eignen Klugheit komm&#x017F;t! Legt die Thüre an<lb/>
und &#x017F;chiebt die Riegel vor!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Jetzt zog ich eine der Pi&#x017F;tolen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Laßt die Thüre liegen, das rate ich euch!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die braven Arnauten blieben &#x017F;ehr verlegen &#x017F;tehen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Greift zu, ihr Hunde!&#x201C; gebot er drohend.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Laßt euch nicht er&#x017F;chießen, ihr Leute!&#x201C; &#x017F;agte ich,<lb/>
indem ich die Hähne &#x017F;pannte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wage es, zu &#x017F;chießen!&#x201C; rief der Mute&#x017F;&#x017F;elim.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wagen? O, Mute&#x017F;&#x017F;elim, das i&#x017F;t ja gar kein Wag-<lb/>
nis. Mit die&#x017F;en Leuten werde ich ganz gut auskommen,<lb/>
und du bi&#x017F;t der er&#x017F;te, den meine Kugel trifft!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Wirkung war eigentümlich, denn der kühne Held<lb/>
von Amadijah ver&#x017F;chwand &#x017F;ofort von der Thüröffnung.<lb/>
Aber &#x017F;eine Stimme ertönte:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schließt ihn ein, ihr Schurken!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Thut es nicht, ihr Männer, denn ich werde den,<lb/>
der die&#x017F;e Thüre zu &#x017F;chließen wagt, ganz &#x017F;icher in die<lb/>
D&#x017F;chehennah &#x017F;chicken!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So &#x017F;chießt ihr wieder!&#x201C; ertönte es von der Seite her.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mute&#x017F;&#x017F;elim, vergiß nicht, wer ich bin! Eine Ver-<lb/>
letzung meiner Per&#x017F;on würde dich deinen Kopf ko&#x017F;ten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wollt ihr gehorchen, ihr Buben! Oder &#x017F;oll ich es<lb/>
&#x017F;ein, der euch er&#x017F;chießt? Selim Agha, greif zu!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Neffe des Schwagers von der Schwe&#x017F;ter des<lb/>
Enkel&#x017F;ohnes der Mutter von der Stief&#x017F;chwe&#x017F;ter der &#x201A;Myrte&#x2018;<lb/>
war dem Bei&#x017F;piele &#x017F;eines Vorge&#x017F;etzten gefolgt und hatte<lb/>
&#x017F;ich in der Entfernung an die Mauer gedrückt. Er befand<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0357] „Warum?“ „Dazu gehört ein Mann, welcher Mut und Klug- heit beſitzt, und mit dieſen beiden Eigenſchaften hat dich Allah in ſeiner Weisheit verſchont.“ „Du willſt mich verhöhnen? Siehe zu, wie weit du mit deiner eignen Klugheit kommſt! Legt die Thüre an und ſchiebt die Riegel vor!“ Jetzt zog ich eine der Piſtolen. „Laßt die Thüre liegen, das rate ich euch!“ Die braven Arnauten blieben ſehr verlegen ſtehen. „Greift zu, ihr Hunde!“ gebot er drohend. „Laßt euch nicht erſchießen, ihr Leute!“ ſagte ich, indem ich die Hähne ſpannte. „Wage es, zu ſchießen!“ rief der Muteſſelim. „Wagen? O, Muteſſelim, das iſt ja gar kein Wag- nis. Mit dieſen Leuten werde ich ganz gut auskommen, und du biſt der erſte, den meine Kugel trifft!“ Die Wirkung war eigentümlich, denn der kühne Held von Amadijah verſchwand ſofort von der Thüröffnung. Aber ſeine Stimme ertönte: „Schließt ihn ein, ihr Schurken!“ „Thut es nicht, ihr Männer, denn ich werde den, der dieſe Thüre zu ſchließen wagt, ganz ſicher in die Dſchehennah ſchicken!“ „So ſchießt ihr wieder!“ ertönte es von der Seite her. „Muteſſelim, vergiß nicht, wer ich bin! Eine Ver- letzung meiner Perſon würde dich deinen Kopf koſten.“ „Wollt ihr gehorchen, ihr Buben! Oder ſoll ich es ſein, der euch erſchießt? Selim Agha, greif zu!“ Der Neffe des Schwagers von der Schweſter des Enkelſohnes der Mutter von der Stiefſchweſter der ‚Myrte‘ war dem Beiſpiele ſeines Vorgeſetzten gefolgt und hatte ſich in der Entfernung an die Mauer gedrückt. Er befand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/357
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/357>, abgerufen am 16.07.2024.