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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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dem Loche heraus, in welchem ich hocke. Ihr könnt es
von den hintern Fenstern oder von dem Dache aus sehen."

"Sehr schön; wird großes Vergnügen sein; sollen
Master Lindsay kennen lernen!"

"Verständigt Euch mit Halef. Er spricht ja einige
Brocken Englisch."

"Werden Pantomimen machen. Yes!"

Ich ging. Ueber mich wachten drei Männer, auf
die ich mich verlassen konnte. Uebrigens war Amadijah
bereits menschenleer; die Hälfte der Garnison laborierte
am Fieber, und den Mutesselim hatte ich in meiner Hand.

Selim Agha stand bereits unter der Thüre. Die
beiden Besprechungen hatten ihm zu lange gedauert, und
er suchte das Versäumte durch einen schnellen Schritt
wieder einzuholen. Wie bereits heute morgen, stand der
Kommandant auch jetzt wieder unter der geöffneten Ge-
fängnisthüre. Er trat zurück, als er uns erblickte. Seit
meinem Austritte aus der Wohnung bis hierher hatte ich
scharf gespäht, aber keinen Menschen gesehen, der den
Auftrag hätte haben können, mich zu beaufsichtigen. Die
zwei Gassen, durch welche wir kamen, waren leer, und
auch in der Nähe des Gefängnisses ließ sich niemand
sehen. Der Kommandant begrüßte mich sehr höflich, aber
mein Mißtrauen entdeckte sehr leicht, daß hinter dieser
Höflichkeit sich eine Arglist barg.

"Effendi," begann er, als er die Thüre hinter sich
und uns verschlossen hatte, "wir haben den Körper des
Entflohenen nicht gefunden."

"Hast du in der Schlucht suchen lassen?"

"Ja. Es sind Leute an Stricken hinabgelassen worden.
Der Gefangene ist nicht dort hinab."

"Aber seine Kleider lagen dort!"

"Vielleicht hat er sie dort nur abgelegt!"

dem Loche heraus, in welchem ich hocke. Ihr könnt es
von den hintern Fenſtern oder von dem Dache aus ſehen.“

„Sehr ſchön; wird großes Vergnügen ſein; ſollen
Maſter Lindſay kennen lernen!“

„Verſtändigt Euch mit Halef. Er ſpricht ja einige
Brocken Engliſch.“

„Werden Pantomimen machen. Yes!

Ich ging. Ueber mich wachten drei Männer, auf
die ich mich verlaſſen konnte. Uebrigens war Amadijah
bereits menſchenleer; die Hälfte der Garniſon laborierte
am Fieber, und den Muteſſelim hatte ich in meiner Hand.

Selim Agha ſtand bereits unter der Thüre. Die
beiden Beſprechungen hatten ihm zu lange gedauert, und
er ſuchte das Verſäumte durch einen ſchnellen Schritt
wieder einzuholen. Wie bereits heute morgen, ſtand der
Kommandant auch jetzt wieder unter der geöffneten Ge-
fängnisthüre. Er trat zurück, als er uns erblickte. Seit
meinem Austritte aus der Wohnung bis hierher hatte ich
ſcharf geſpäht, aber keinen Menſchen geſehen, der den
Auftrag hätte haben können, mich zu beaufſichtigen. Die
zwei Gaſſen, durch welche wir kamen, waren leer, und
auch in der Nähe des Gefängniſſes ließ ſich niemand
ſehen. Der Kommandant begrüßte mich ſehr höflich, aber
mein Mißtrauen entdeckte ſehr leicht, daß hinter dieſer
Höflichkeit ſich eine Argliſt barg.

„Effendi,“ begann er, als er die Thüre hinter ſich
und uns verſchloſſen hatte, „wir haben den Körper des
Entflohenen nicht gefunden.“

„Haſt du in der Schlucht ſuchen laſſen?“

„Ja. Es ſind Leute an Stricken hinabgelaſſen worden.
Der Gefangene iſt nicht dort hinab.“

„Aber ſeine Kleider lagen dort!“

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[338/0352] dem Loche heraus, in welchem ich hocke. Ihr könnt es von den hintern Fenſtern oder von dem Dache aus ſehen.“ „Sehr ſchön; wird großes Vergnügen ſein; ſollen Maſter Lindſay kennen lernen!“ „Verſtändigt Euch mit Halef. Er ſpricht ja einige Brocken Engliſch.“ „Werden Pantomimen machen. Yes!“ Ich ging. Ueber mich wachten drei Männer, auf die ich mich verlaſſen konnte. Uebrigens war Amadijah bereits menſchenleer; die Hälfte der Garniſon laborierte am Fieber, und den Muteſſelim hatte ich in meiner Hand. Selim Agha ſtand bereits unter der Thüre. Die beiden Beſprechungen hatten ihm zu lange gedauert, und er ſuchte das Verſäumte durch einen ſchnellen Schritt wieder einzuholen. Wie bereits heute morgen, ſtand der Kommandant auch jetzt wieder unter der geöffneten Ge- fängnisthüre. Er trat zurück, als er uns erblickte. Seit meinem Austritte aus der Wohnung bis hierher hatte ich ſcharf geſpäht, aber keinen Menſchen geſehen, der den Auftrag hätte haben können, mich zu beaufſichtigen. Die zwei Gaſſen, durch welche wir kamen, waren leer, und auch in der Nähe des Gefängniſſes ließ ſich niemand ſehen. Der Kommandant begrüßte mich ſehr höflich, aber mein Mißtrauen entdeckte ſehr leicht, daß hinter dieſer Höflichkeit ſich eine Argliſt barg. „Effendi,“ begann er, als er die Thüre hinter ſich und uns verſchloſſen hatte, „wir haben den Körper des Entflohenen nicht gefunden.“ „Haſt du in der Schlucht ſuchen laſſen?“ „Ja. Es ſind Leute an Stricken hinabgelaſſen worden. Der Gefangene iſt nicht dort hinab.“ „Aber ſeine Kleider lagen dort!“ „Vielleicht hat er ſie dort nur abgelegt!“

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/352>, abgerufen am 25.11.2024.