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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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so steht doch so viel fest, daß es nur nach einem heißen
Kampfe geschieht. Binden aber lasse ich mich auf keinen
Fall, und dann wird es wohl möglich sein, euch die Zelle
zu bezeichnen, in der ich mich befinde."

"Wie willst du dies thun, Sihdi?" fragte Halef.

"Ich werde versuchen, an der Mauer in die Höhe
zu kommen, und euch das Zeichen mit einem meiner
Kleidungsstücke geben, welches ich soweit im Loche vor-
schiebe, daß ihr es sehen könnt. Dann ist es euch viel-
leicht möglich, mir durch den Agha oder durch Mersinah
eine Botschaft zu senden. Lange bin ich keinenfalls ge-
fangen. Auf alle Fälle aber haltet ihr eure Pferde ge-
sattelt. Ueberlegt euch die Sache selbst weiter; ich habe
keine Zeit, denn der Mutesselim wartet, und ich muß
noch zum Engländer."

Auch dieser saß auf seinem Teppich und rauchte.

"Schön, daß Ihr kommt, Sir!" begrüßte er mich.
"Wollen fort!"

"Warum?"

"Ist nicht geheuer hier!"

"Sprecht deutlicher!"

Er erhob sich, trat in die Nähe der Fensteröffnung
und deutete auf das Dach des gegenüberliegenden Hauses.

"Seht dort!"

Ich blickte schärfer hinüber und erkannte die Gestalt
eines Arnauten, welcher auf dem Bauche lag und unsere
Wohnung beobachtete.

"Werde auch auf unser Dach steigen," sagte Lindsay
ruhig, "und dem Manne dort eine Kugel geben!"

"Ich gehe jetzt nach dem Gefängnisse, wo mich der
Mutesselim erwartet. Wenn ich in einer Stunde nicht
zurück bin, so ist mir etwas geschehen, und ich sitze fest.
In diesem Falle stecke ich irgend ein Kleidungsstück aus

II. 22

ſo ſteht doch ſo viel feſt, daß es nur nach einem heißen
Kampfe geſchieht. Binden aber laſſe ich mich auf keinen
Fall, und dann wird es wohl möglich ſein, euch die Zelle
zu bezeichnen, in der ich mich befinde.“

„Wie willſt du dies thun, Sihdi?“ fragte Halef.

„Ich werde verſuchen, an der Mauer in die Höhe
zu kommen, und euch das Zeichen mit einem meiner
Kleidungsſtücke geben, welches ich ſoweit im Loche vor-
ſchiebe, daß ihr es ſehen könnt. Dann iſt es euch viel-
leicht möglich, mir durch den Agha oder durch Merſinah
eine Botſchaft zu ſenden. Lange bin ich keinenfalls ge-
fangen. Auf alle Fälle aber haltet ihr eure Pferde ge-
ſattelt. Ueberlegt euch die Sache ſelbſt weiter; ich habe
keine Zeit, denn der Muteſſelim wartet, und ich muß
noch zum Engländer.“

Auch dieſer ſaß auf ſeinem Teppich und rauchte.

„Schön, daß Ihr kommt, Sir!“ begrüßte er mich.
„Wollen fort!“

„Warum?“

„Iſt nicht geheuer hier!“

„Sprecht deutlicher!“

Er erhob ſich, trat in die Nähe der Fenſteröffnung
und deutete auf das Dach des gegenüberliegenden Hauſes.

„Seht dort!“

Ich blickte ſchärfer hinüber und erkannte die Geſtalt
eines Arnauten, welcher auf dem Bauche lag und unſere
Wohnung beobachtete.

„Werde auch auf unſer Dach ſteigen,“ ſagte Lindſay
ruhig, „und dem Manne dort eine Kugel geben!“

„Ich gehe jetzt nach dem Gefängniſſe, wo mich der
Muteſſelim erwartet. Wenn ich in einer Stunde nicht
zurück bin, ſo iſt mir etwas geſchehen, und ich ſitze feſt.
In dieſem Falle ſtecke ich irgend ein Kleidungsſtück aus

II. 22
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[337/0351] ſo ſteht doch ſo viel feſt, daß es nur nach einem heißen Kampfe geſchieht. Binden aber laſſe ich mich auf keinen Fall, und dann wird es wohl möglich ſein, euch die Zelle zu bezeichnen, in der ich mich befinde.“ „Wie willſt du dies thun, Sihdi?“ fragte Halef. „Ich werde verſuchen, an der Mauer in die Höhe zu kommen, und euch das Zeichen mit einem meiner Kleidungsſtücke geben, welches ich ſoweit im Loche vor- ſchiebe, daß ihr es ſehen könnt. Dann iſt es euch viel- leicht möglich, mir durch den Agha oder durch Merſinah eine Botſchaft zu ſenden. Lange bin ich keinenfalls ge- fangen. Auf alle Fälle aber haltet ihr eure Pferde ge- ſattelt. Ueberlegt euch die Sache ſelbſt weiter; ich habe keine Zeit, denn der Muteſſelim wartet, und ich muß noch zum Engländer.“ Auch dieſer ſaß auf ſeinem Teppich und rauchte. „Schön, daß Ihr kommt, Sir!“ begrüßte er mich. „Wollen fort!“ „Warum?“ „Iſt nicht geheuer hier!“ „Sprecht deutlicher!“ Er erhob ſich, trat in die Nähe der Fenſteröffnung und deutete auf das Dach des gegenüberliegenden Hauſes. „Seht dort!“ Ich blickte ſchärfer hinüber und erkannte die Geſtalt eines Arnauten, welcher auf dem Bauche lag und unſere Wohnung beobachtete. „Werde auch auf unſer Dach ſteigen,“ ſagte Lindſay ruhig, „und dem Manne dort eine Kugel geben!“ „Ich gehe jetzt nach dem Gefängniſſe, wo mich der Muteſſelim erwartet. Wenn ich in einer Stunde nicht zurück bin, ſo iſt mir etwas geſchehen, und ich ſitze feſt. In dieſem Falle ſtecke ich irgend ein Kleidungsſtück aus II. 22

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/351>, abgerufen am 25.11.2024.