Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Mutesselim," nahm ich jetzt das Wort, "diese Leute
haben keinen Thorschlüssel gehabt. Wenn einer von ihnen
den Gefangenen herausgelassen hätte, so müßte er noch im
Hause sein."

"Du hast recht; ich habe ja alle beide Schlüssel,"
meinte er. "Wir werden alles durchsuchen."

"Und schicke auch auf die Wache, um die Mauern der
Stadt und die Klippen zu untersuchen. Wenn er die
Stadt verlassen hat, so ist es sicher nicht durch eines der
Thore, sondern über die Mauer weg geschehen, und dann
glaube ich bestimmt, daß eine Spur von ihm gefunden
wird. Seine Kleidung ist in diesem Loche so verschimmelt
und vermodert, daß sie den Weg über die Felsen gewiß
nicht ausgehalten hat."

"Ja," gebot er einem der Arnauten, "laufe eilig zur
Wache und bringe meinen Befehl, daß die ganze Stadt
durchsucht werde."

Es begann jetzt ein sehr sorgfältiges Durchsuchen des
Gefängnisses, welches wohl eine ganze Stunde dauerte.
Natürlich aber wurde nicht die geringste Spur von dem
Entflohenen entdeckt. Eben wollten wir das Gefängnis
verlassen, als zwei Arnauten erschienen, welche mehrere
Kleiderfetzen trugen.

"Wir fanden diese Stücke draußen über dem Abgrund
hangen," meldete der eine.

Der Agha nahm das Zeug in die Hand und prüfte es.

"Effendi, das ist von dem Ueberkleide des Gefan-
genen," berichtete er dem Mutesselim. "Ich kenne es
genau!"

"Bist du dessen sicher?"

"So sicher wie meines Bartes."

"So ist er dennoch aus diesem Hause entkommen!"

"Aber wohl in den Abgrund gestürzt," fügte ich hinzu.

„Muteſſelim,“ nahm ich jetzt das Wort, „dieſe Leute
haben keinen Thorſchlüſſel gehabt. Wenn einer von ihnen
den Gefangenen herausgelaſſen hätte, ſo müßte er noch im
Hauſe ſein.“

„Du haſt recht; ich habe ja alle beide Schlüſſel,“
meinte er. „Wir werden alles durchſuchen.“

„Und ſchicke auch auf die Wache, um die Mauern der
Stadt und die Klippen zu unterſuchen. Wenn er die
Stadt verlaſſen hat, ſo iſt es ſicher nicht durch eines der
Thore, ſondern über die Mauer weg geſchehen, und dann
glaube ich beſtimmt, daß eine Spur von ihm gefunden
wird. Seine Kleidung iſt in dieſem Loche ſo verſchimmelt
und vermodert, daß ſie den Weg über die Felſen gewiß
nicht ausgehalten hat.“

„Ja,“ gebot er einem der Arnauten, „laufe eilig zur
Wache und bringe meinen Befehl, daß die ganze Stadt
durchſucht werde.“

Es begann jetzt ein ſehr ſorgfältiges Durchſuchen des
Gefängniſſes, welches wohl eine ganze Stunde dauerte.
Natürlich aber wurde nicht die geringſte Spur von dem
Entflohenen entdeckt. Eben wollten wir das Gefängnis
verlaſſen, als zwei Arnauten erſchienen, welche mehrere
Kleiderfetzen trugen.

„Wir fanden dieſe Stücke draußen über dem Abgrund
hangen,“ meldete der eine.

Der Agha nahm das Zeug in die Hand und prüfte es.

„Effendi, das iſt von dem Ueberkleide des Gefan-
genen,“ berichtete er dem Muteſſelim. „Ich kenne es
genau!“

„Biſt du deſſen ſicher?“

„So ſicher wie meines Bartes.“

„So iſt er dennoch aus dieſem Hauſe entkommen!“

„Aber wohl in den Abgrund geſtürzt,“ fügte ich hinzu.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0342" n="328"/>
        <p>&#x201E;Mute&#x017F;&#x017F;elim,&#x201C; nahm ich jetzt das Wort, &#x201E;die&#x017F;e Leute<lb/>
haben keinen Thor&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;el gehabt. Wenn einer von ihnen<lb/>
den Gefangenen herausgela&#x017F;&#x017F;en hätte, &#x017F;o müßte er noch im<lb/>
Hau&#x017F;e &#x017F;ein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du ha&#x017F;t recht; ich habe ja alle beide Schlü&#x017F;&#x017F;el,&#x201C;<lb/>
meinte er. &#x201E;Wir werden alles durch&#x017F;uchen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und &#x017F;chicke auch auf die Wache, um die Mauern der<lb/>
Stadt und die Klippen zu unter&#x017F;uchen. Wenn er die<lb/>
Stadt verla&#x017F;&#x017F;en hat, &#x017F;o i&#x017F;t es &#x017F;icher nicht durch eines der<lb/>
Thore, &#x017F;ondern über die Mauer weg ge&#x017F;chehen, und dann<lb/>
glaube ich be&#x017F;timmt, daß eine Spur von ihm gefunden<lb/>
wird. Seine Kleidung i&#x017F;t in die&#x017F;em Loche &#x017F;o ver&#x017F;chimmelt<lb/>
und vermodert, daß &#x017F;ie den Weg über die Fel&#x017F;en gewiß<lb/>
nicht ausgehalten hat.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja,&#x201C; gebot er einem der Arnauten, &#x201E;laufe eilig zur<lb/>
Wache und bringe meinen Befehl, daß die ganze Stadt<lb/>
durch&#x017F;ucht werde.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Es begann jetzt ein &#x017F;ehr &#x017F;orgfältiges Durch&#x017F;uchen des<lb/>
Gefängni&#x017F;&#x017F;es, welches wohl eine ganze Stunde dauerte.<lb/>
Natürlich aber wurde nicht die gering&#x017F;te Spur von dem<lb/>
Entflohenen entdeckt. Eben wollten wir das Gefängnis<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en, als zwei Arnauten er&#x017F;chienen, welche mehrere<lb/>
Kleiderfetzen trugen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir fanden die&#x017F;e Stücke draußen über dem Abgrund<lb/>
hangen,&#x201C; meldete der eine.</p><lb/>
        <p>Der Agha nahm das Zeug in die Hand und prüfte es.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Effendi, das i&#x017F;t von dem Ueberkleide des Gefan-<lb/>
genen,&#x201C; berichtete er dem Mute&#x017F;&#x017F;elim. &#x201E;Ich kenne es<lb/>
genau!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bi&#x017F;t du de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;icher?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So &#x017F;icher wie meines Bartes.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So i&#x017F;t er dennoch aus die&#x017F;em Hau&#x017F;e entkommen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber wohl in den Abgrund ge&#x017F;türzt,&#x201C; fügte ich hinzu.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[328/0342] „Muteſſelim,“ nahm ich jetzt das Wort, „dieſe Leute haben keinen Thorſchlüſſel gehabt. Wenn einer von ihnen den Gefangenen herausgelaſſen hätte, ſo müßte er noch im Hauſe ſein.“ „Du haſt recht; ich habe ja alle beide Schlüſſel,“ meinte er. „Wir werden alles durchſuchen.“ „Und ſchicke auch auf die Wache, um die Mauern der Stadt und die Klippen zu unterſuchen. Wenn er die Stadt verlaſſen hat, ſo iſt es ſicher nicht durch eines der Thore, ſondern über die Mauer weg geſchehen, und dann glaube ich beſtimmt, daß eine Spur von ihm gefunden wird. Seine Kleidung iſt in dieſem Loche ſo verſchimmelt und vermodert, daß ſie den Weg über die Felſen gewiß nicht ausgehalten hat.“ „Ja,“ gebot er einem der Arnauten, „laufe eilig zur Wache und bringe meinen Befehl, daß die ganze Stadt durchſucht werde.“ Es begann jetzt ein ſehr ſorgfältiges Durchſuchen des Gefängniſſes, welches wohl eine ganze Stunde dauerte. Natürlich aber wurde nicht die geringſte Spur von dem Entflohenen entdeckt. Eben wollten wir das Gefängnis verlaſſen, als zwei Arnauten erſchienen, welche mehrere Kleiderfetzen trugen. „Wir fanden dieſe Stücke draußen über dem Abgrund hangen,“ meldete der eine. Der Agha nahm das Zeug in die Hand und prüfte es. „Effendi, das iſt von dem Ueberkleide des Gefan- genen,“ berichtete er dem Muteſſelim. „Ich kenne es genau!“ „Biſt du deſſen ſicher?“ „So ſicher wie meines Bartes.“ „So iſt er dennoch aus dieſem Hauſe entkommen!“ „Aber wohl in den Abgrund geſtürzt,“ fügte ich hinzu.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/342
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/342>, abgerufen am 26.11.2024.