"Ich auch. Darum macht mir der Gedanke, daß es ihm vielleicht gelingen könnte, zu entkommen, schwere Sorge."
"Er ist doch sicher eingeschlossen!"
"Ja. Aber das ist nicht genug für mich. Selim Agha, ich werde diese Nacht nicht schlafen und zwei- oder dreimal nach dem Gefängnisse gehen, um mich zu über- zeugen, daß er wirklich in seinem Loche ist."
"Herr, ich werde das an deiner Stelle thun!"
"Dann siehst du ihn wohl, aber ich nicht, und ich kann dennoch nicht schlafen. Ich werde selbst gehen. Gieb mir den Schlüssel!"
"Weißt du, Herr, daß du mich kränkst?"
"Ich will dich nicht kränken, sondern ich will mich beruhigen. Der Anatoli Kasi Askeri ist ein sehr strenger Mann. Ich würde die seidene Schnur bekommen, wenn ich den Gefangenen entkommen ließe."
Da war ja die Ausführung unseres Planes ganz und gar unmöglich gemacht! Gab es keine Hilfe? Ich war schnell entschlossen. Entweder Wein oder Gewalt! Wäh- rend der Agha seinem Vorgesetzten noch Vorstellungen machte, erhob ich mich und trat hinaus auf den Korridor, wo Halef stand.
"Bringe vom allerbesten Tabak, und hier hast du Geld; gehe in das Haus, wo du mich geholt hast, und verlange von dem Juden solchen Wein von Türbedi Hai- dari, wie ich vorhin getrunken habe."
"Wie viel soll ich bringen?"
"Ein Gefäß, in welches zehn Krüge gehen von der Sorte, die der Jude hat. Er wird dir ein solches Gefäß borgen."
"Bringe ich das Getränk des Teufels in das Zimmer hinein?"
„Ich meine es.“
„Ich auch. Darum macht mir der Gedanke, daß es ihm vielleicht gelingen könnte, zu entkommen, ſchwere Sorge.“
„Er iſt doch ſicher eingeſchloſſen!“
„Ja. Aber das iſt nicht genug für mich. Selim Agha, ich werde dieſe Nacht nicht ſchlafen und zwei- oder dreimal nach dem Gefängniſſe gehen, um mich zu über- zeugen, daß er wirklich in ſeinem Loche iſt.“
„Herr, ich werde das an deiner Stelle thun!“
„Dann ſiehſt du ihn wohl, aber ich nicht, und ich kann dennoch nicht ſchlafen. Ich werde ſelbſt gehen. Gieb mir den Schlüſſel!“
„Weißt du, Herr, daß du mich kränkſt?“
„Ich will dich nicht kränken, ſondern ich will mich beruhigen. Der Anatoli Kaſi Askeri iſt ein ſehr ſtrenger Mann. Ich würde die ſeidene Schnur bekommen, wenn ich den Gefangenen entkommen ließe.“
Da war ja die Ausführung unſeres Planes ganz und gar unmöglich gemacht! Gab es keine Hilfe? Ich war ſchnell entſchloſſen. Entweder Wein oder Gewalt! Wäh- rend der Agha ſeinem Vorgeſetzten noch Vorſtellungen machte, erhob ich mich und trat hinaus auf den Korridor, wo Halef ſtand.
„Bringe vom allerbeſten Tabak, und hier haſt du Geld; gehe in das Haus, wo du mich geholt haſt, und verlange von dem Juden ſolchen Wein von Türbedi Hai- dari, wie ich vorhin getrunken habe.“
„Wie viel ſoll ich bringen?“
„Ein Gefäß, in welches zehn Krüge gehen von der Sorte, die der Jude hat. Er wird dir ein ſolches Gefäß borgen.“
„Bringe ich das Getränk des Teufels in das Zimmer hinein?“
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0311"n="297"/><p>„Ich meine es.“</p><lb/><p>„Ich auch. Darum macht mir der Gedanke, daß es<lb/>
ihm vielleicht gelingen könnte, zu entkommen, ſchwere Sorge.“</p><lb/><p>„Er iſt doch ſicher eingeſchloſſen!“</p><lb/><p>„Ja. Aber das iſt nicht genug für mich. Selim<lb/>
Agha, ich werde dieſe Nacht nicht ſchlafen und zwei- oder<lb/>
dreimal nach dem Gefängniſſe gehen, um mich zu über-<lb/>
zeugen, daß er wirklich in ſeinem Loche iſt.“</p><lb/><p>„Herr, ich werde das an deiner Stelle thun!“</p><lb/><p>„Dann ſiehſt du ihn wohl, aber ich nicht, und ich<lb/>
kann dennoch nicht ſchlafen. Ich werde ſelbſt gehen. Gieb<lb/>
mir den Schlüſſel!“</p><lb/><p>„Weißt du, Herr, daß du mich kränkſt?“</p><lb/><p>„Ich will dich nicht kränken, ſondern ich will mich<lb/>
beruhigen. Der Anatoli Kaſi Askeri iſt ein ſehr ſtrenger<lb/>
Mann. Ich würde die ſeidene Schnur bekommen, wenn<lb/>
ich den Gefangenen entkommen ließe.“</p><lb/><p>Da war ja die Ausführung unſeres Planes ganz<lb/>
und gar unmöglich gemacht! Gab es keine Hilfe? Ich war<lb/>ſchnell entſchloſſen. Entweder Wein oder Gewalt! Wäh-<lb/>
rend der Agha ſeinem Vorgeſetzten noch Vorſtellungen<lb/>
machte, erhob ich mich und trat hinaus auf den Korridor,<lb/>
wo Halef ſtand.</p><lb/><p>„Bringe vom allerbeſten Tabak, und hier haſt du<lb/>
Geld; gehe in das Haus, wo du mich geholt haſt, und<lb/>
verlange von dem Juden ſolchen Wein von Türbedi Hai-<lb/>
dari, wie ich vorhin getrunken habe.“</p><lb/><p>„Wie viel ſoll ich bringen?“</p><lb/><p>„Ein Gefäß, in welches zehn Krüge gehen von der<lb/>
Sorte, die der Jude hat. Er wird dir ein ſolches Gefäß<lb/>
borgen.“</p><lb/><p>„Bringe ich das Getränk des Teufels in das Zimmer<lb/>
hinein?“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[297/0311]
„Ich meine es.“
„Ich auch. Darum macht mir der Gedanke, daß es
ihm vielleicht gelingen könnte, zu entkommen, ſchwere Sorge.“
„Er iſt doch ſicher eingeſchloſſen!“
„Ja. Aber das iſt nicht genug für mich. Selim
Agha, ich werde dieſe Nacht nicht ſchlafen und zwei- oder
dreimal nach dem Gefängniſſe gehen, um mich zu über-
zeugen, daß er wirklich in ſeinem Loche iſt.“
„Herr, ich werde das an deiner Stelle thun!“
„Dann ſiehſt du ihn wohl, aber ich nicht, und ich
kann dennoch nicht ſchlafen. Ich werde ſelbſt gehen. Gieb
mir den Schlüſſel!“
„Weißt du, Herr, daß du mich kränkſt?“
„Ich will dich nicht kränken, ſondern ich will mich
beruhigen. Der Anatoli Kaſi Askeri iſt ein ſehr ſtrenger
Mann. Ich würde die ſeidene Schnur bekommen, wenn
ich den Gefangenen entkommen ließe.“
Da war ja die Ausführung unſeres Planes ganz
und gar unmöglich gemacht! Gab es keine Hilfe? Ich war
ſchnell entſchloſſen. Entweder Wein oder Gewalt! Wäh-
rend der Agha ſeinem Vorgeſetzten noch Vorſtellungen
machte, erhob ich mich und trat hinaus auf den Korridor,
wo Halef ſtand.
„Bringe vom allerbeſten Tabak, und hier haſt du
Geld; gehe in das Haus, wo du mich geholt haſt, und
verlange von dem Juden ſolchen Wein von Türbedi Hai-
dari, wie ich vorhin getrunken habe.“
„Wie viel ſoll ich bringen?“
„Ein Gefäß, in welches zehn Krüge gehen von der
Sorte, die der Jude hat. Er wird dir ein ſolches Gefäß
borgen.“
„Bringe ich das Getränk des Teufels in das Zimmer
hinein?“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/311>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.