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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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"Ja. Hat er dir nichts erzählt, als wir am Nach-
mittage ausgeritten waren?"

"Nein. Er ist schweigsam. Aber da kann doch
Amad frei werden, denn nur der Mutessarif hat ihn ge-
fangen gehalten!"

"Ich hoffte dies auch, aber es steht schlimmer. Der
Großherr billigt das Vorgehen der Türken gegen euch,
und der Oberrichter von Anatolien hat befohlen, daß dein
Sohn als Geisel nach Stambul gebracht werde."

"Allah kerihm! Wann soll er fort?"

"Morgen vormittags."

"Wir überfallen unterwegs seine Begleitung!"

"So lange wir noch Hoffnung haben, ihn durch List
frei zu bekommen, so lange soll kein Menschenleben be-
schädigt werden."

"Aber wir haben nur noch die Zeit von einer Nacht!"

"Diese Zeit ist lang genug."

Dann wandte ich mich an den Engländer:

"Sir, ich brauche Wein für den Mutesselim."

"Wäre Wein wert, dieser Kerl! Mag Wasser trinken!
Kaffee, Lindenblüten, Baldrian und Buttermilch!"

"Er hat mich um Wein gebeten!"

"Schlingel! Darf doch keinen trinken! Ist Mo-
hammedaner!"

"Die Moslemin trinken ihn ebenso gern wie wir.
Ich möchte uns sein Wohlwollen erhalten, solange wir
es brauchen."

"Schön! Soll Wein haben! Wie viel?"

"Ein Dutzend. Ich gebe die Hälfte und Ihr die andere."

"Pshaw! Kaufe nicht halben Wein. Hier Geld!"

Er reichte mir die Börse hin, ohne daß es ihm einfiel,
zu bemerken, wie viel ich ihr entnahm. Er war ein Gent-
leman und ich ein armer Teufel.

„Ja. Hat er dir nichts erzählt, als wir am Nach-
mittage ausgeritten waren?“

„Nein. Er iſt ſchweigſam. Aber da kann doch
Amad frei werden, denn nur der Muteſſarif hat ihn ge-
fangen gehalten!“

„Ich hoffte dies auch, aber es ſteht ſchlimmer. Der
Großherr billigt das Vorgehen der Türken gegen euch,
und der Oberrichter von Anatolien hat befohlen, daß dein
Sohn als Geiſel nach Stambul gebracht werde.“

„Allah kerihm! Wann ſoll er fort?“

„Morgen vormittags.“

„Wir überfallen unterwegs ſeine Begleitung!“

„So lange wir noch Hoffnung haben, ihn durch Liſt
frei zu bekommen, ſo lange ſoll kein Menſchenleben be-
ſchädigt werden.“

„Aber wir haben nur noch die Zeit von einer Nacht!“

„Dieſe Zeit iſt lang genug.“

Dann wandte ich mich an den Engländer:

„Sir, ich brauche Wein für den Muteſſelim.“

„Wäre Wein wert, dieſer Kerl! Mag Waſſer trinken!
Kaffee, Lindenblüten, Baldrian und Buttermilch!“

„Er hat mich um Wein gebeten!“

„Schlingel! Darf doch keinen trinken! Iſt Mo-
hammedaner!“

„Die Moslemin trinken ihn ebenſo gern wie wir.
Ich möchte uns ſein Wohlwollen erhalten, ſolange wir
es brauchen.“

„Schön! Soll Wein haben! Wie viel?“

„Ein Dutzend. Ich gebe die Hälfte und Ihr die andere.“

„Pſhaw! Kaufe nicht halben Wein. Hier Geld!“

Er reichte mir die Börſe hin, ohne daß es ihm einfiel,
zu bemerken, wie viel ich ihr entnahm. Er war ein Gent-
leman und ich ein armer Teufel.

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[292/0306] „Ja. Hat er dir nichts erzählt, als wir am Nach- mittage ausgeritten waren?“ „Nein. Er iſt ſchweigſam. Aber da kann doch Amad frei werden, denn nur der Muteſſarif hat ihn ge- fangen gehalten!“ „Ich hoffte dies auch, aber es ſteht ſchlimmer. Der Großherr billigt das Vorgehen der Türken gegen euch, und der Oberrichter von Anatolien hat befohlen, daß dein Sohn als Geiſel nach Stambul gebracht werde.“ „Allah kerihm! Wann ſoll er fort?“ „Morgen vormittags.“ „Wir überfallen unterwegs ſeine Begleitung!“ „So lange wir noch Hoffnung haben, ihn durch Liſt frei zu bekommen, ſo lange ſoll kein Menſchenleben be- ſchädigt werden.“ „Aber wir haben nur noch die Zeit von einer Nacht!“ „Dieſe Zeit iſt lang genug.“ Dann wandte ich mich an den Engländer: „Sir, ich brauche Wein für den Muteſſelim.“ „Wäre Wein wert, dieſer Kerl! Mag Waſſer trinken! Kaffee, Lindenblüten, Baldrian und Buttermilch!“ „Er hat mich um Wein gebeten!“ „Schlingel! Darf doch keinen trinken! Iſt Mo- hammedaner!“ „Die Moslemin trinken ihn ebenſo gern wie wir. Ich möchte uns ſein Wohlwollen erhalten, ſolange wir es brauchen.“ „Schön! Soll Wein haben! Wie viel?“ „Ein Dutzend. Ich gebe die Hälfte und Ihr die andere.“ „Pſhaw! Kaufe nicht halben Wein. Hier Geld!“ Er reichte mir die Börſe hin, ohne daß es ihm einfiel, zu bemerken, wie viel ich ihr entnahm. Er war ein Gent- leman und ich ein armer Teufel.

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/306>, abgerufen am 23.11.2024.