"Weil Allah auch einen Emir zu jeder Minute zu sich fordern kann."
"Du hast recht; das Leben steht in Allahs Hand; aber es ist ein Gut, welches man beschützen und erhalten soll!"
"Du scheinst kein guter Moslem zu sein, denn sonst würdest du wissen, daß die Wege des Menschen im Buche verzeichnet stehen."
"Und dennoch kann der Mensch sein Leben wegwerfen, wenn er diesem Buche nicht gehorcht. Willst du dieses thun?"
"Nun gut, Makredsch. Wie hoch würdest du dein eignes Leben schätzen?"
"Wenigstens zehntausend Piaster."
"So ist das Leben eines Nemtsche grad zehntausend- mal mehr wert, nämlich hundert Millionen Piaster. Wie kommt es, daß ein Türke so sehr tief im Preise steht?"
Er blickte mich verwundert an.
"Bist du ein so reicher Emir?"
"Ja, da ich ein so teures Leben besitze."
"So meine ich, daß du hier in Amadijah dein Leben auf zwanzigtausend Piaster schätzen wirst."
"Natürlich!"
"Und das deines Hadschi Lindsay-Bey ebenso hoch."
"Ich stimme bei."
"Und zehntausend für den dritten."
"Ist nicht zu viel."
"Und dein Diener?"
"Er ist zwar ein Araber, aber ein tapferer und treuer Mann, der ebensoviel wert ist, wie jeder andere."
"So meinst du, daß auch er zehntausend kostet?"
"Ja."
"Hast du die Summe berechnet?"
„Ich rede im Ernſte. Gar nichts iſt es wert.“
„Inwiefern?“
„Weil Allah auch einen Emir zu jeder Minute zu ſich fordern kann.“
„Du haſt recht; das Leben ſteht in Allahs Hand; aber es iſt ein Gut, welches man beſchützen und erhalten ſoll!“
„Du ſcheinſt kein guter Moslem zu ſein, denn ſonſt würdeſt du wiſſen, daß die Wege des Menſchen im Buche verzeichnet ſtehen.“
„Und dennoch kann der Menſch ſein Leben wegwerfen, wenn er dieſem Buche nicht gehorcht. Willſt du dieſes thun?“
„Nun gut, Makredſch. Wie hoch würdeſt du dein eignes Leben ſchätzen?“
„Wenigſtens zehntauſend Piaſter.“
„So iſt das Leben eines Nemtſche grad zehntauſend- mal mehr wert, nämlich hundert Millionen Piaſter. Wie kommt es, daß ein Türke ſo ſehr tief im Preiſe ſteht?“
Er blickte mich verwundert an.
„Biſt du ein ſo reicher Emir?“
„Ja, da ich ein ſo teures Leben beſitze.“
„So meine ich, daß du hier in Amadijah dein Leben auf zwanzigtauſend Piaſter ſchätzen wirſt.“
„Natürlich!“
„Und das deines Hadſchi Lindſay-Bey ebenſo hoch.“
„Ich ſtimme bei.“
„Und zehntauſend für den dritten.“
„Iſt nicht zu viel.“
„Und dein Diener?“
„Er iſt zwar ein Araber, aber ein tapferer und treuer Mann, der ebenſoviel wert iſt, wie jeder andere.“
„So meinſt du, daß auch er zehntauſend koſtet?“
„Ja.“
„Haſt du die Summe berechnet?“
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„Ich rede im Ernſte. Gar nichts iſt es wert.“
„Inwiefern?“
„Weil Allah auch einen Emir zu jeder Minute zu
ſich fordern kann.“
„Du haſt recht; das Leben ſteht in Allahs Hand; aber
es iſt ein Gut, welches man beſchützen und erhalten ſoll!“
„Du ſcheinſt kein guter Moslem zu ſein, denn ſonſt
würdeſt du wiſſen, daß die Wege des Menſchen im Buche
verzeichnet ſtehen.“
„Und dennoch kann der Menſch ſein Leben wegwerfen,
wenn er dieſem Buche nicht gehorcht. Willſt du dieſes thun?“
„Nun gut, Makredſch. Wie hoch würdeſt du dein
eignes Leben ſchätzen?“
„Wenigſtens zehntauſend Piaſter.“
„So iſt das Leben eines Nemtſche grad zehntauſend-
mal mehr wert, nämlich hundert Millionen Piaſter. Wie
kommt es, daß ein Türke ſo ſehr tief im Preiſe ſteht?“
Er blickte mich verwundert an.
„Biſt du ein ſo reicher Emir?“
„Ja, da ich ein ſo teures Leben beſitze.“
„So meine ich, daß du hier in Amadijah dein Leben
auf zwanzigtauſend Piaſter ſchätzen wirſt.“
„Natürlich!“
„Und das deines Hadſchi Lindſay-Bey ebenſo hoch.“
„Ich ſtimme bei.“
„Und zehntauſend für den dritten.“
„Iſt nicht zu viel.“
„Und dein Diener?“
„Er iſt zwar ein Araber, aber ein tapferer und treuer
Mann, der ebenſoviel wert iſt, wie jeder andere.“
„So meinſt du, daß auch er zehntauſend koſtet?“
„Ja.“
„Haſt du die Summe berechnet?“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/296>, abgerufen am 22.11.2024.
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