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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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"Selim Agha war hier. Er war sehr zornig. Er
wollte uns peitschen lassen, aber endlich sagte er, daß wir
Gnade finden sollen, weil du für uns gebeten hast. Sei
so gütig, mir zu folgen."

Wir stiegen die Treppe empor, welche zu finden und
zu passieren mir der Agha gestern so viele Mühe gemacht
hatte. Auf dem Gange stand Mersinah mit einem blecher-
nen Kessel, welcher eine Mehlbrühe enthielt, die ganz das
Ansehen hatte, als ob sie aus dem Spülwasser ihrer Küche
und Schlafstätte bestehe, und auf dem Boden lag das
Brot, welches ihre zarten Hände gebacken hatten. Es war
einst auch Mehlwasser gewesen, hatte aber durch Feuer
und anhaftende Kohlenreste eine feste Gestalt bekommen.
Neben ihr standen die Arnauten, mit leeren Gefäßen in
den Händen, die von einem Scherbenhaufen aufgelesen zu
sein schienen. Sie verbeugten sich bis zur Erde herab,
blieben aber aus Ehrfurcht stumm.

"Emir, befiehlst du, daß wir beginnen sollen?" fragte
die ,Myrte'.

"Ja."

Sofort wurde die erste Thüre geöffnet. Der Raum, in
welchen ich blickte, war auch ein Loch, doch lag der Boden
desselben mit dem Gange in gleicher Höhe. Ein Türke lag
darin. Er erhob sich nicht und würdigte uns keines Blickes.

"Gieb ihm zwei Portionen, denn es ist ein Osmanly!"
befahl der Sergeant.

Der Mann erhielt zwei Schöpflöffel voll Brühe in einem
größeren Napfe und ein Stück Brot dazu. In der nächsten
Zelle lag wieder ein Türke, welcher die gleiche Portion
erhielt. Der Insasse des dritten Loches war ein Kurde.

"Dieser Hund erhält nur eine Portion, denn er ist
ein Mann aus Balahn!" *)

*) Ein Dorf der Kazikahnkurden.

„Selim Agha war hier. Er war ſehr zornig. Er
wollte uns peitſchen laſſen, aber endlich ſagte er, daß wir
Gnade finden ſollen, weil du für uns gebeten haſt. Sei
ſo gütig, mir zu folgen.“

Wir ſtiegen die Treppe empor, welche zu finden und
zu paſſieren mir der Agha geſtern ſo viele Mühe gemacht
hatte. Auf dem Gange ſtand Merſinah mit einem blecher-
nen Keſſel, welcher eine Mehlbrühe enthielt, die ganz das
Anſehen hatte, als ob ſie aus dem Spülwaſſer ihrer Küche
und Schlafſtätte beſtehe, und auf dem Boden lag das
Brot, welches ihre zarten Hände gebacken hatten. Es war
einſt auch Mehlwaſſer geweſen, hatte aber durch Feuer
und anhaftende Kohlenreſte eine feſte Geſtalt bekommen.
Neben ihr ſtanden die Arnauten, mit leeren Gefäßen in
den Händen, die von einem Scherbenhaufen aufgeleſen zu
ſein ſchienen. Sie verbeugten ſich bis zur Erde herab,
blieben aber aus Ehrfurcht ſtumm.

„Emir, befiehlſt du, daß wir beginnen ſollen?“ fragte
die ‚Myrte‛.

„Ja.“

Sofort wurde die erſte Thüre geöffnet. Der Raum, in
welchen ich blickte, war auch ein Loch, doch lag der Boden
desſelben mit dem Gange in gleicher Höhe. Ein Türke lag
darin. Er erhob ſich nicht und würdigte uns keines Blickes.

„Gieb ihm zwei Portionen, denn es iſt ein Osmanly!“
befahl der Sergeant.

Der Mann erhielt zwei Schöpflöffel voll Brühe in einem
größeren Napfe und ein Stück Brot dazu. In der nächſten
Zelle lag wieder ein Türke, welcher die gleiche Portion
erhielt. Der Inſaſſe des dritten Loches war ein Kurde.

„Dieſer Hund erhält nur eine Portion, denn er iſt
ein Mann aus Balahn!“ *)

*) Ein Dorf der Kazikahnkurden.
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[259/0273] „Selim Agha war hier. Er war ſehr zornig. Er wollte uns peitſchen laſſen, aber endlich ſagte er, daß wir Gnade finden ſollen, weil du für uns gebeten haſt. Sei ſo gütig, mir zu folgen.“ Wir ſtiegen die Treppe empor, welche zu finden und zu paſſieren mir der Agha geſtern ſo viele Mühe gemacht hatte. Auf dem Gange ſtand Merſinah mit einem blecher- nen Keſſel, welcher eine Mehlbrühe enthielt, die ganz das Anſehen hatte, als ob ſie aus dem Spülwaſſer ihrer Küche und Schlafſtätte beſtehe, und auf dem Boden lag das Brot, welches ihre zarten Hände gebacken hatten. Es war einſt auch Mehlwaſſer geweſen, hatte aber durch Feuer und anhaftende Kohlenreſte eine feſte Geſtalt bekommen. Neben ihr ſtanden die Arnauten, mit leeren Gefäßen in den Händen, die von einem Scherbenhaufen aufgeleſen zu ſein ſchienen. Sie verbeugten ſich bis zur Erde herab, blieben aber aus Ehrfurcht ſtumm. „Emir, befiehlſt du, daß wir beginnen ſollen?“ fragte die ‚Myrte‛. „Ja.“ Sofort wurde die erſte Thüre geöffnet. Der Raum, in welchen ich blickte, war auch ein Loch, doch lag der Boden desſelben mit dem Gange in gleicher Höhe. Ein Türke lag darin. Er erhob ſich nicht und würdigte uns keines Blickes. „Gieb ihm zwei Portionen, denn es iſt ein Osmanly!“ befahl der Sergeant. Der Mann erhielt zwei Schöpflöffel voll Brühe in einem größeren Napfe und ein Stück Brot dazu. In der nächſten Zelle lag wieder ein Türke, welcher die gleiche Portion erhielt. Der Inſaſſe des dritten Loches war ein Kurde. „Dieſer Hund erhält nur eine Portion, denn er iſt ein Mann aus Balahn!“ *) *) Ein Dorf der Kazikahnkurden.

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/273>, abgerufen am 22.11.2024.