Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

reden willst: du kniest auf meine Achseln; dann kann ich
aufrecht stehen und es so lange aushalten, wie es dir
beliebt."

"Hat er dich gehört?"

"Ja. Er fragte nach dir. Ich habe in der Tasche
eine Schnur, an welcher du das Paket hinablassen kannst."

Die Schnur wurde befestigt; ich bildete mit auf dem
Rücken gefalteten Händen einen Tritt, auf welchen er den
Fuß setzen konnte, und er stieg auf. Nachdem ich meine
Hände an seine Kniee gelegt hatte, so daß er nicht ab-
rutschen konnte, kniete er auf meinen Achseln so sicher
wie zur ebenen Erde. Er ließ das Päckchen hinab, und
nun begann ein leises, aber desto eifrigeres Zwiegespräch,
von dem ich nur den von Mohammed Emin gesprochenen
Teil vernehmen konnte. Dazwischen hinein fragte mich
der Scheik zuweilen, ob er mir nicht zu schwer werde.
Er war ein langer, starker Mann, und deshalb war es
mir schon recht, als er nach ungefähr fünf Minuten zu
Boden sprang.

"Emir, er muß heraus; ich kann es nicht erwarten,"
sagte er.

"Vor allen Dingen wollen wir gehen. Steig einst-
weilen voran; ich will dafür sorgen, daß man am Tage
keine Fußspur findet."

"Der Boden ist ja hart wie Stein!"

"Vorsicht ist besser als Nachlässigkeit."

Er ging voran, und ich folgte bald nach. In kurzer
Zeit waren wir auf demselben Wege, den wir gekommen
waren, zurückgekehrt und befanden uns in dem Zimmer
des Scheik.

Er wollte nun sogleich einen Plan zur Befreiung
seines Sohnes mit mir beraten; ich aber empfahl ihm,
darüber zu schlafen, und schlich mich auf mein Zimmer.

reden willſt: du knieſt auf meine Achſeln; dann kann ich
aufrecht ſtehen und es ſo lange aushalten, wie es dir
beliebt.“

„Hat er dich gehört?“

„Ja. Er fragte nach dir. Ich habe in der Taſche
eine Schnur, an welcher du das Paket hinablaſſen kannſt.“

Die Schnur wurde befeſtigt; ich bildete mit auf dem
Rücken gefalteten Händen einen Tritt, auf welchen er den
Fuß ſetzen konnte, und er ſtieg auf. Nachdem ich meine
Hände an ſeine Kniee gelegt hatte, ſo daß er nicht ab-
rutſchen konnte, kniete er auf meinen Achſeln ſo ſicher
wie zur ebenen Erde. Er ließ das Päckchen hinab, und
nun begann ein leiſes, aber deſto eifrigeres Zwiegeſpräch,
von dem ich nur den von Mohammed Emin geſprochenen
Teil vernehmen konnte. Dazwiſchen hinein fragte mich
der Scheik zuweilen, ob er mir nicht zu ſchwer werde.
Er war ein langer, ſtarker Mann, und deshalb war es
mir ſchon recht, als er nach ungefähr fünf Minuten zu
Boden ſprang.

„Emir, er muß heraus; ich kann es nicht erwarten,“
ſagte er.

„Vor allen Dingen wollen wir gehen. Steig einſt-
weilen voran; ich will dafür ſorgen, daß man am Tage
keine Fußſpur findet.“

„Der Boden iſt ja hart wie Stein!“

„Vorſicht iſt beſſer als Nachläſſigkeit.“

Er ging voran, und ich folgte bald nach. In kurzer
Zeit waren wir auf demſelben Wege, den wir gekommen
waren, zurückgekehrt und befanden uns in dem Zimmer
des Scheik.

Er wollte nun ſogleich einen Plan zur Befreiung
ſeines Sohnes mit mir beraten; ich aber empfahl ihm,
darüber zu ſchlafen, und ſchlich mich auf mein Zimmer.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0266" n="252"/>
reden will&#x017F;t: du knie&#x017F;t auf meine Ach&#x017F;eln; dann kann ich<lb/>
aufrecht &#x017F;tehen und es &#x017F;o lange aushalten, wie es dir<lb/>
beliebt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hat er dich gehört?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja. Er fragte nach dir. Ich habe in der Ta&#x017F;che<lb/>
eine Schnur, an welcher du das Paket hinabla&#x017F;&#x017F;en kann&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Schnur wurde befe&#x017F;tigt; ich bildete mit auf dem<lb/>
Rücken gefalteten Händen einen Tritt, auf welchen er den<lb/>
Fuß &#x017F;etzen konnte, und er &#x017F;tieg auf. Nachdem ich meine<lb/>
Hände an &#x017F;eine Kniee gelegt hatte, &#x017F;o daß er nicht ab-<lb/>
rut&#x017F;chen konnte, kniete er auf meinen Ach&#x017F;eln &#x017F;o &#x017F;icher<lb/>
wie zur ebenen Erde. Er ließ das Päckchen hinab, und<lb/>
nun begann ein lei&#x017F;es, aber de&#x017F;to eifrigeres Zwiege&#x017F;präch,<lb/>
von dem ich nur den von Mohammed Emin ge&#x017F;prochenen<lb/>
Teil vernehmen konnte. Dazwi&#x017F;chen hinein fragte mich<lb/>
der Scheik zuweilen, ob er mir nicht zu &#x017F;chwer werde.<lb/>
Er war ein langer, &#x017F;tarker Mann, und deshalb war es<lb/>
mir &#x017F;chon recht, als er nach ungefähr fünf Minuten zu<lb/>
Boden &#x017F;prang.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Emir, er muß heraus; ich kann es nicht erwarten,&#x201C;<lb/>
&#x017F;agte er.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Vor allen Dingen wollen wir gehen. Steig ein&#x017F;t-<lb/>
weilen voran; ich will dafür &#x017F;orgen, daß man am Tage<lb/>
keine Fuß&#x017F;pur findet.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der Boden i&#x017F;t ja hart wie Stein!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Vor&#x017F;icht i&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er als Nachlä&#x017F;&#x017F;igkeit.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er ging voran, und ich folgte bald nach. In kurzer<lb/>
Zeit waren wir auf dem&#x017F;elben Wege, den wir gekommen<lb/>
waren, zurückgekehrt und befanden uns in dem Zimmer<lb/>
des Scheik.</p><lb/>
        <p>Er wollte nun &#x017F;ogleich einen Plan zur Befreiung<lb/>
&#x017F;eines Sohnes mit mir beraten; ich aber empfahl ihm,<lb/>
darüber zu &#x017F;chlafen, und &#x017F;chlich mich auf mein Zimmer.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0266] reden willſt: du knieſt auf meine Achſeln; dann kann ich aufrecht ſtehen und es ſo lange aushalten, wie es dir beliebt.“ „Hat er dich gehört?“ „Ja. Er fragte nach dir. Ich habe in der Taſche eine Schnur, an welcher du das Paket hinablaſſen kannſt.“ Die Schnur wurde befeſtigt; ich bildete mit auf dem Rücken gefalteten Händen einen Tritt, auf welchen er den Fuß ſetzen konnte, und er ſtieg auf. Nachdem ich meine Hände an ſeine Kniee gelegt hatte, ſo daß er nicht ab- rutſchen konnte, kniete er auf meinen Achſeln ſo ſicher wie zur ebenen Erde. Er ließ das Päckchen hinab, und nun begann ein leiſes, aber deſto eifrigeres Zwiegeſpräch, von dem ich nur den von Mohammed Emin geſprochenen Teil vernehmen konnte. Dazwiſchen hinein fragte mich der Scheik zuweilen, ob er mir nicht zu ſchwer werde. Er war ein langer, ſtarker Mann, und deshalb war es mir ſchon recht, als er nach ungefähr fünf Minuten zu Boden ſprang. „Emir, er muß heraus; ich kann es nicht erwarten,“ ſagte er. „Vor allen Dingen wollen wir gehen. Steig einſt- weilen voran; ich will dafür ſorgen, daß man am Tage keine Fußſpur findet.“ „Der Boden iſt ja hart wie Stein!“ „Vorſicht iſt beſſer als Nachläſſigkeit.“ Er ging voran, und ich folgte bald nach. In kurzer Zeit waren wir auf demſelben Wege, den wir gekommen waren, zurückgekehrt und befanden uns in dem Zimmer des Scheik. Er wollte nun ſogleich einen Plan zur Befreiung ſeines Sohnes mit mir beraten; ich aber empfahl ihm, darüber zu ſchlafen, und ſchlich mich auf mein Zimmer.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/266
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/266>, abgerufen am 27.07.2024.