Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

Ich durchsuchte den schmalen Hofraum, ohne auf
etwas Verdachterregendes zu stoßen, und fand auch die
Thüre verschlossen, welche aus dem Gefängnisse in den
Hof führte. Nun kehrte ich zu der Stelle der Mauer
zurück, hinter welcher der Haddedihn stand.

"Mohammed!"

"Wie ist es?"

"Alles sicher. Kannst du herüber?"

"Ja."

"Aber leise!"

Er kam.

Wir huschten über den Hof hinüber und standen nun
unter dem Fensterchen, welches ich beinahe mit der Hand
erreichen konnte.

"Bücke dich, Scheik, stütze dich gegen die Wand und
stemme die Hände auf die Kniee!"

Er that es, und ich stieg auf seinen Rücken, welcher
jetzt eine beinahe wagrechte Lage angenommen hatte. Ich
stand mit dem Gesicht grad vor dem Loche des Kerkers.

"Amad el Ghandur!" sprach ich in dasselbe hinein
und hielt dann schnell das Ohr hin.

"Herr, bist du es?" klang es hohl von unten herauf.

"Ja."

"Ist mein Vater auch da?"

"Er ist hier. Er wird dir Speise und Licht an einer
Schnur herablassen und dann mit dir sprechen. Warte;
er wird gleich oben sein."

Ich stieg von dem Rücken des Arabers herab.

"War ich schwer?"

"Lange ist es nicht auszuhalten, denn die Stellung
ist zu unbequem."

"So werden wir es jetzt anders machen, da du jeden-
falls nicht nur einen kurzen Augenblick mit deinem Sohne


Ich durchſuchte den ſchmalen Hofraum, ohne auf
etwas Verdachterregendes zu ſtoßen, und fand auch die
Thüre verſchloſſen, welche aus dem Gefängniſſe in den
Hof führte. Nun kehrte ich zu der Stelle der Mauer
zurück, hinter welcher der Haddedihn ſtand.

„Mohammed!“

„Wie iſt es?“

„Alles ſicher. Kannſt du herüber?“

„Ja.“

„Aber leiſe!“

Er kam.

Wir huſchten über den Hof hinüber und ſtanden nun
unter dem Fenſterchen, welches ich beinahe mit der Hand
erreichen konnte.

„Bücke dich, Scheik, ſtütze dich gegen die Wand und
ſtemme die Hände auf die Kniee!“

Er that es, und ich ſtieg auf ſeinen Rücken, welcher
jetzt eine beinahe wagrechte Lage angenommen hatte. Ich
ſtand mit dem Geſicht grad vor dem Loche des Kerkers.

„Amad el Ghandur!“ ſprach ich in dasſelbe hinein
und hielt dann ſchnell das Ohr hin.

„Herr, biſt du es?“ klang es hohl von unten herauf.

„Ja.“

„Iſt mein Vater auch da?“

„Er iſt hier. Er wird dir Speiſe und Licht an einer
Schnur herablaſſen und dann mit dir ſprechen. Warte;
er wird gleich oben ſein.“

Ich ſtieg von dem Rücken des Arabers herab.

„War ich ſchwer?“

„Lange iſt es nicht auszuhalten, denn die Stellung
iſt zu unbequem.“

„So werden wir es jetzt anders machen, da du jeden-
falls nicht nur einen kurzen Augenblick mit deinem Sohne

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0265" n="251"/><lb/>
        <p>Ich durch&#x017F;uchte den &#x017F;chmalen Hofraum, ohne auf<lb/>
etwas Verdachterregendes zu &#x017F;toßen, und fand auch die<lb/>
Thüre ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, welche aus dem Gefängni&#x017F;&#x017F;e in den<lb/>
Hof führte. Nun kehrte ich zu der Stelle der Mauer<lb/>
zurück, hinter welcher der Haddedihn &#x017F;tand.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mohammed!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie i&#x017F;t es?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Alles &#x017F;icher. Kann&#x017F;t du herüber?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber lei&#x017F;e!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er kam.</p><lb/>
        <p>Wir hu&#x017F;chten über den Hof hinüber und &#x017F;tanden nun<lb/>
unter dem Fen&#x017F;terchen, welches ich beinahe mit der Hand<lb/>
erreichen konnte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bücke dich, Scheik, &#x017F;tütze dich gegen die Wand und<lb/>
&#x017F;temme die Hände auf die Kniee!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er that es, und ich &#x017F;tieg auf &#x017F;einen Rücken, welcher<lb/>
jetzt eine beinahe wagrechte Lage angenommen hatte. Ich<lb/>
&#x017F;tand mit dem Ge&#x017F;icht grad vor dem Loche des Kerkers.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Amad el Ghandur!&#x201C; &#x017F;prach ich in das&#x017F;elbe hinein<lb/>
und hielt dann &#x017F;chnell das Ohr hin.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Herr, bi&#x017F;t du es?&#x201C; klang es hohl von unten herauf.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;I&#x017F;t mein Vater auch da?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Er i&#x017F;t hier. Er wird dir Spei&#x017F;e und Licht an einer<lb/>
Schnur herabla&#x017F;&#x017F;en und dann mit dir &#x017F;prechen. Warte;<lb/>
er wird gleich oben &#x017F;ein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;tieg von dem Rücken des Arabers herab.</p><lb/>
        <p>&#x201E;War ich &#x017F;chwer?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Lange i&#x017F;t es nicht auszuhalten, denn die Stellung<lb/>
i&#x017F;t zu unbequem.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So werden wir es jetzt anders machen, da du jeden-<lb/>
falls nicht nur einen kurzen Augenblick mit deinem Sohne<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0265] Ich durchſuchte den ſchmalen Hofraum, ohne auf etwas Verdachterregendes zu ſtoßen, und fand auch die Thüre verſchloſſen, welche aus dem Gefängniſſe in den Hof führte. Nun kehrte ich zu der Stelle der Mauer zurück, hinter welcher der Haddedihn ſtand. „Mohammed!“ „Wie iſt es?“ „Alles ſicher. Kannſt du herüber?“ „Ja.“ „Aber leiſe!“ Er kam. Wir huſchten über den Hof hinüber und ſtanden nun unter dem Fenſterchen, welches ich beinahe mit der Hand erreichen konnte. „Bücke dich, Scheik, ſtütze dich gegen die Wand und ſtemme die Hände auf die Kniee!“ Er that es, und ich ſtieg auf ſeinen Rücken, welcher jetzt eine beinahe wagrechte Lage angenommen hatte. Ich ſtand mit dem Geſicht grad vor dem Loche des Kerkers. „Amad el Ghandur!“ ſprach ich in dasſelbe hinein und hielt dann ſchnell das Ohr hin. „Herr, biſt du es?“ klang es hohl von unten herauf. „Ja.“ „Iſt mein Vater auch da?“ „Er iſt hier. Er wird dir Speiſe und Licht an einer Schnur herablaſſen und dann mit dir ſprechen. Warte; er wird gleich oben ſein.“ Ich ſtieg von dem Rücken des Arabers herab. „War ich ſchwer?“ „Lange iſt es nicht auszuhalten, denn die Stellung iſt zu unbequem.“ „So werden wir es jetzt anders machen, da du jeden- falls nicht nur einen kurzen Augenblick mit deinem Sohne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/265
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/265>, abgerufen am 25.11.2024.