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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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"Wo kommt ihr her, ihr Hunde?" fuhr er sie an.

Seine Stimme klang wie Donner in dem langen,
schmalen Raum.

"Vom Kawedschi," antwortete der Sergeant nach
einigem Zögern.

"Vom Kawedschi! Während ihr hier wachen sollt!
Wer hat euch die Erlaubnis erteilt, fortzugehen?"

"Niemand!"

Die Leute zitterten vor Angst; sie dauerten mich.
Ihre Nachlässigkeit war mir ja von so großem Vorteile
gewesen. Trotz des kleinen Flämmchens sah ich, wie
schrecklich der Agha seine Augen rollen ließ. Die Spitzen
seines Bartes bebten, und seine Hand ballte sich vor
Wut. Aber er mochte bemerken, daß er denn doch noch
nicht ganz fest auf den Füßen stehe, und daher besann er
sich eines Besseren.

"Morgen erhaltet ihr eure Strafe!"

Er setzte die Lampe auf eine der Treppenstufen und
wandte sich zu mir:

"Oder meinst du vielleicht, Emir, daß ich gleich jetzt
das Urteil fälle? Willst du haben, daß ich den einen
durch die andern auspeitschen lasse?"

"Verschiebe ihre Züchtigung bis morgen, Selim Agha!
Sie kann ihnen ja nicht entgehen."

"Ich thue deinen Willen. Komm!"

Er öffnete die Thüre und verschloß sie von draußen
wieder.

Wir gingen nach Hause, wo uns die ,Myrte' er-
wartete.

"Warest du so lange beim Mutesselim?" fragte sie
ihn argwöhnisch.

"Mersinah," antwortete er, "ich sage dir, daß wir
eingeladen wurden, bis zum frühen Morgen zu bleiben;

„Wo kommt ihr her, ihr Hunde?“ fuhr er ſie an.

Seine Stimme klang wie Donner in dem langen,
ſchmalen Raum.

„Vom Kawedſchi,“ antwortete der Sergeant nach
einigem Zögern.

„Vom Kawedſchi! Während ihr hier wachen ſollt!
Wer hat euch die Erlaubnis erteilt, fortzugehen?“

„Niemand!“

Die Leute zitterten vor Angſt; ſie dauerten mich.
Ihre Nachläſſigkeit war mir ja von ſo großem Vorteile
geweſen. Trotz des kleinen Flämmchens ſah ich, wie
ſchrecklich der Agha ſeine Augen rollen ließ. Die Spitzen
ſeines Bartes bebten, und ſeine Hand ballte ſich vor
Wut. Aber er mochte bemerken, daß er denn doch noch
nicht ganz feſt auf den Füßen ſtehe, und daher beſann er
ſich eines Beſſeren.

„Morgen erhaltet ihr eure Strafe!“

Er ſetzte die Lampe auf eine der Treppenſtufen und
wandte ſich zu mir:

„Oder meinſt du vielleicht, Emir, daß ich gleich jetzt
das Urteil fälle? Willſt du haben, daß ich den einen
durch die andern auspeitſchen laſſe?“

„Verſchiebe ihre Züchtigung bis morgen, Selim Agha!
Sie kann ihnen ja nicht entgehen.“

„Ich thue deinen Willen. Komm!“

Er öffnete die Thüre und verſchloß ſie von draußen
wieder.

Wir gingen nach Hauſe, wo uns die ‚Myrte‘ er-
wartete.

„Wareſt du ſo lange beim Muteſſelim?“ fragte ſie
ihn argwöhniſch.

„Merſinah,“ antwortete er, „ich ſage dir, daß wir
eingeladen wurden, bis zum frühen Morgen zu bleiben;

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[247/0261] „Wo kommt ihr her, ihr Hunde?“ fuhr er ſie an. Seine Stimme klang wie Donner in dem langen, ſchmalen Raum. „Vom Kawedſchi,“ antwortete der Sergeant nach einigem Zögern. „Vom Kawedſchi! Während ihr hier wachen ſollt! Wer hat euch die Erlaubnis erteilt, fortzugehen?“ „Niemand!“ Die Leute zitterten vor Angſt; ſie dauerten mich. Ihre Nachläſſigkeit war mir ja von ſo großem Vorteile geweſen. Trotz des kleinen Flämmchens ſah ich, wie ſchrecklich der Agha ſeine Augen rollen ließ. Die Spitzen ſeines Bartes bebten, und ſeine Hand ballte ſich vor Wut. Aber er mochte bemerken, daß er denn doch noch nicht ganz feſt auf den Füßen ſtehe, und daher beſann er ſich eines Beſſeren. „Morgen erhaltet ihr eure Strafe!“ Er ſetzte die Lampe auf eine der Treppenſtufen und wandte ſich zu mir: „Oder meinſt du vielleicht, Emir, daß ich gleich jetzt das Urteil fälle? Willſt du haben, daß ich den einen durch die andern auspeitſchen laſſe?“ „Verſchiebe ihre Züchtigung bis morgen, Selim Agha! Sie kann ihnen ja nicht entgehen.“ „Ich thue deinen Willen. Komm!“ Er öffnete die Thüre und verſchloß ſie von draußen wieder. Wir gingen nach Hauſe, wo uns die ‚Myrte‘ er- wartete. „Wareſt du ſo lange beim Muteſſelim?“ fragte ſie ihn argwöhniſch. „Merſinah,“ antwortete er, „ich ſage dir, daß wir eingeladen wurden, bis zum frühen Morgen zu bleiben;

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/261>, abgerufen am 22.11.2024.