Ich hielt sie ihm entgegen. Er drückte sie mit beiden Händen, daß es mich schmerzte.
"Allah segne diese Hand, solange sie sich bewegt, und wenn sie sich zum Todesschlaf gefaltet hat, so möge dein Geist sich im Paradiese freuen der Stunde, in welcher du mein Engel wurdest! Jetzt gehe, damit dir nichts widerfahre!"
Ich verschloß das Gefängnis und begab mich leise zum Agha zurück. Er schlief und schnarchte noch immer, und ich setzte mich nieder. So saß ich wohl eine ganze Stunde lang, bis ich Schritte vernahm, welche vor der Hausthür halten blieben. Schnell zog ich die bisher offene Thüre zu und rüttelte den Agha munter. Es war dies keine leichte Arbeit, besonders da sie schnell geschehen mußte. Ich stellte ihn aufrecht empor. Er starrte mich verwundert an.
"Du, Emir? Wo sind wir?"
"Im Gefängnisse. Raffe dich zusammen!"
Er schaute sich verdutzt um.
"Im Gefängnisse? Ah! Wie kommen wir hierher?"
"Denke an den Juden und an die Arznei; denke auch an den Sergeant, den wir überraschen wollen!"
"Den Serg -- -- -- Maschallah, jetzt weiß ich es! Ich habe geschlafen. Wo ist er? Ist er noch nicht da?"
"Sprich leiser! Hörst du? Sie stehen noch unter der Thüre und reden miteinander. Reibe dir den Schlaf aus dem Gesichte!"
Der gute Selim sah sehr jämmerlich aus; aber er hatte wenigstens die Besinnung wieder gefunden und ver- mochte ohne Schwanken aufrecht zu stehen. Und jetzt, als die Hausthür verschlossen wurde, nahm er die Lampe in die Hand, stieß unsere Thüre auf und trat in den Gang hinaus. Ich folgte ihm. Die Uebelthäter blieben er- schrocken stehen, während er auf sie zuschritt.
Ich hielt ſie ihm entgegen. Er drückte ſie mit beiden Händen, daß es mich ſchmerzte.
„Allah ſegne dieſe Hand, ſolange ſie ſich bewegt, und wenn ſie ſich zum Todesſchlaf gefaltet hat, ſo möge dein Geiſt ſich im Paradieſe freuen der Stunde, in welcher du mein Engel wurdeſt! Jetzt gehe, damit dir nichts widerfahre!“
Ich verſchloß das Gefängnis und begab mich leiſe zum Agha zurück. Er ſchlief und ſchnarchte noch immer, und ich ſetzte mich nieder. So ſaß ich wohl eine ganze Stunde lang, bis ich Schritte vernahm, welche vor der Hausthür halten blieben. Schnell zog ich die bisher offene Thüre zu und rüttelte den Agha munter. Es war dies keine leichte Arbeit, beſonders da ſie ſchnell geſchehen mußte. Ich ſtellte ihn aufrecht empor. Er ſtarrte mich verwundert an.
„Du, Emir? Wo ſind wir?“
„Im Gefängniſſe. Raffe dich zuſammen!“
Er ſchaute ſich verdutzt um.
„Im Gefängniſſe? Ah! Wie kommen wir hierher?“
„Denke an den Juden und an die Arznei; denke auch an den Sergeant, den wir überraſchen wollen!“
„Den Serg — — — Maſchallah, jetzt weiß ich es! Ich habe geſchlafen. Wo iſt er? Iſt er noch nicht da?“
„Sprich leiſer! Hörſt du? Sie ſtehen noch unter der Thüre und reden miteinander. Reibe dir den Schlaf aus dem Geſichte!“
Der gute Selim ſah ſehr jämmerlich aus; aber er hatte wenigſtens die Beſinnung wieder gefunden und ver- mochte ohne Schwanken aufrecht zu ſtehen. Und jetzt, als die Hausthür verſchloſſen wurde, nahm er die Lampe in die Hand, ſtieß unſere Thüre auf und trat in den Gang hinaus. Ich folgte ihm. Die Uebelthäter blieben er- ſchrocken ſtehen, während er auf ſie zuſchritt.
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Ich hielt ſie ihm entgegen. Er drückte ſie mit beiden
Händen, daß es mich ſchmerzte.
„Allah ſegne dieſe Hand, ſolange ſie ſich bewegt, und
wenn ſie ſich zum Todesſchlaf gefaltet hat, ſo möge dein Geiſt
ſich im Paradieſe freuen der Stunde, in welcher du mein
Engel wurdeſt! Jetzt gehe, damit dir nichts widerfahre!“
Ich verſchloß das Gefängnis und begab mich leiſe
zum Agha zurück. Er ſchlief und ſchnarchte noch immer,
und ich ſetzte mich nieder. So ſaß ich wohl eine ganze
Stunde lang, bis ich Schritte vernahm, welche vor der
Hausthür halten blieben. Schnell zog ich die bisher offene
Thüre zu und rüttelte den Agha munter. Es war dies
keine leichte Arbeit, beſonders da ſie ſchnell geſchehen
mußte. Ich ſtellte ihn aufrecht empor. Er ſtarrte mich
verwundert an.
„Du, Emir? Wo ſind wir?“
„Im Gefängniſſe. Raffe dich zuſammen!“
Er ſchaute ſich verdutzt um.
„Im Gefängniſſe? Ah! Wie kommen wir hierher?“
„Denke an den Juden und an die Arznei; denke auch
an den Sergeant, den wir überraſchen wollen!“
„Den Serg — — — Maſchallah, jetzt weiß ich es!
Ich habe geſchlafen. Wo iſt er? Iſt er noch nicht da?“
„Sprich leiſer! Hörſt du? Sie ſtehen noch unter der
Thüre und reden miteinander. Reibe dir den Schlaf aus
dem Geſichte!“
Der gute Selim ſah ſehr jämmerlich aus; aber er
hatte wenigſtens die Beſinnung wieder gefunden und ver-
mochte ohne Schwanken aufrecht zu ſtehen. Und jetzt, als
die Hausthür verſchloſſen wurde, nahm er die Lampe in
die Hand, ſtieß unſere Thüre auf und trat in den Gang
hinaus. Ich folgte ihm. Die Uebelthäter blieben er-
ſchrocken ſtehen, während er auf ſie zuſchritt.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/260>, abgerufen am 25.11.2024.
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