Finsternis von dem kleinen Lichte der Lampe nicht durch- drungen werde konnte. Aber ich hielt mich auf alles ge- faßt. Wäre ein zwingender Umstand eingetreten, so hätte ich alles gewagt, um nicht ohne den Gefangenen fortzu- kommen. Ich schob die Riegel zurück, öffnete und ließ die Thüre weit offen stehen, um jeden Laut vernehmen zu können, nachdem ich eingetreten war.
Ja, es war ein Loch, welches ich erblickte! Ganz ohne die Vermittelung von einigen Stufen fiel der vor mir liegende Raum hart hinter der Thüre über zwei Ellen tief hinab. Er hatte eine Länge von vier und eine Breite von zwei Schritten ungefähr und zeigte weder Tünche, noch Holz- oder Lehmboden. Oben, dicht unter der Decke war eines jener Löcher angebracht, die ich am Tage von außen bemerkt hatte, und außer einem "Napfe" mit Wasser, wie man ihn einem Hunde vorgesetzt haben würde, sah ich nichts als den Gefangenen in dieser Höhle.
Er hatte auf der feuchten dumpfen Erde gelegen, war aber bei meinem Erscheinen aufgestanden. Hohläugig und abgemagert, glich er einem Halbtoten, aber dennoch war seine Haltung eine stolze, und sein Auge blitzte zornig, als er mich fragte:
"Was willst du? Darf man nicht einmal schlafen?"
"Sprich leise! Ich gehöre nicht zu deinen Wächtern. Wie ist dein Name?"
"Warum fragest du?"
"Sprich noch leiser, denn man soll uns nicht hören. Wie heißest du?"
"Das wirst du wissen!" antwortete er, aber doch mit gedämpfter Stimme.
"Ich vermute es, aber ich will aus deinem Munde wissen, wer du bist."
"Man nennt mich Amad el Ghandur."
Finſternis von dem kleinen Lichte der Lampe nicht durch- drungen werde konnte. Aber ich hielt mich auf alles ge- faßt. Wäre ein zwingender Umſtand eingetreten, ſo hätte ich alles gewagt, um nicht ohne den Gefangenen fortzu- kommen. Ich ſchob die Riegel zurück, öffnete und ließ die Thüre weit offen ſtehen, um jeden Laut vernehmen zu können, nachdem ich eingetreten war.
Ja, es war ein Loch, welches ich erblickte! Ganz ohne die Vermittelung von einigen Stufen fiel der vor mir liegende Raum hart hinter der Thüre über zwei Ellen tief hinab. Er hatte eine Länge von vier und eine Breite von zwei Schritten ungefähr und zeigte weder Tünche, noch Holz- oder Lehmboden. Oben, dicht unter der Decke war eines jener Löcher angebracht, die ich am Tage von außen bemerkt hatte, und außer einem „Napfe“ mit Waſſer, wie man ihn einem Hunde vorgeſetzt haben würde, ſah ich nichts als den Gefangenen in dieſer Höhle.
Er hatte auf der feuchten dumpfen Erde gelegen, war aber bei meinem Erſcheinen aufgeſtanden. Hohläugig und abgemagert, glich er einem Halbtoten, aber dennoch war ſeine Haltung eine ſtolze, und ſein Auge blitzte zornig, als er mich fragte:
„Was willſt du? Darf man nicht einmal ſchlafen?“
„Sprich leiſe! Ich gehöre nicht zu deinen Wächtern. Wie iſt dein Name?“
„Warum frageſt du?“
„Sprich noch leiſer, denn man ſoll uns nicht hören. Wie heißeſt du?“
„Das wirſt du wiſſen!“ antwortete er, aber doch mit gedämpfter Stimme.
„Ich vermute es, aber ich will aus deinem Munde wiſſen, wer du biſt.“
„Man nennt mich Amad el Ghandur.“
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Finſternis von dem kleinen Lichte der Lampe nicht durch-
drungen werde konnte. Aber ich hielt mich auf alles ge-
faßt. Wäre ein zwingender Umſtand eingetreten, ſo hätte
ich alles gewagt, um nicht ohne den Gefangenen fortzu-
kommen. Ich ſchob die Riegel zurück, öffnete und ließ
die Thüre weit offen ſtehen, um jeden Laut vernehmen
zu können, nachdem ich eingetreten war.
Ja, es war ein Loch, welches ich erblickte! Ganz
ohne die Vermittelung von einigen Stufen fiel der vor
mir liegende Raum hart hinter der Thüre über zwei
Ellen tief hinab. Er hatte eine Länge von vier und eine
Breite von zwei Schritten ungefähr und zeigte weder
Tünche, noch Holz- oder Lehmboden. Oben, dicht unter
der Decke war eines jener Löcher angebracht, die ich am
Tage von außen bemerkt hatte, und außer einem „Napfe“
mit Waſſer, wie man ihn einem Hunde vorgeſetzt haben
würde, ſah ich nichts als den Gefangenen in dieſer Höhle.
Er hatte auf der feuchten dumpfen Erde gelegen, war
aber bei meinem Erſcheinen aufgeſtanden. Hohläugig und
abgemagert, glich er einem Halbtoten, aber dennoch war
ſeine Haltung eine ſtolze, und ſein Auge blitzte zornig,
als er mich fragte:
„Was willſt du? Darf man nicht einmal ſchlafen?“
„Sprich leiſe! Ich gehöre nicht zu deinen Wächtern.
Wie iſt dein Name?“
„Warum frageſt du?“
„Sprich noch leiſer, denn man ſoll uns nicht hören.
Wie heißeſt du?“
„Das wirſt du wiſſen!“ antwortete er, aber doch mit
gedämpfter Stimme.
„Ich vermute es, aber ich will aus deinem Munde
wiſſen, wer du biſt.“
„Man nennt mich Amad el Ghandur.“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/257>, abgerufen am 25.11.2024.
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