sind fortgelaufen, statt zu wachen. Aber sie sollen lernen, mich zu fürchten. Ich lasse ihnen die Bastonnade geben; ja, ich lasse sie sogar aufhängen!"
Er versuchte, die Augen zu rollen, aber er brachte es nicht fertig; der Wein wirkte je länger desto kräftiger; sie fielen ihm zu.
"Was thun wir nun?"
"Was meinst du, Emir?"
"Ich an deiner Stelle würde warten, um die Ar- nauten so zu empfangen, wie sie es verdient haben."
"Freilich werde ich dies thun. Aber wo warten wir?"
"Hier oder oben."
"Hier. Ich steige nicht erst wieder hinauf; du wirst mir zu schwer, Effendi. Sieh, wie du wankst! Setze dich nieder!"
"Ich denke, wir wollen die Gefängnisse inspizieren?"
"Ja, das wollten wir," sagte er ermüdet. Aber, diese Menschen sind es nicht wert. Es sind lauter Spitz- buben, Diebe und Räuber, Kurden und auch ein Araber, welcher der schlimmste von allen ist."
"Wo steckt dieser Kerl?"
"Hier nebenan, weil er am schärfsten bewacht werden soll. So setze dich doch!"
Ich ließ mich neben ihm nieder, obgleich der Boden nur aus hartgestampften Lehm bestand und den höchsten Grad von Unreinlichkeit zeigte. Der Agha gähnte.
"Bist du müde?" fragte er mich.
"Ein wenig."
"Darum gähnst du so. Schlafe, bis sie kommen. Ich werde dich wecken. Allah illa Allah, du bist ganz schwach und unzuverlässig geworden! Aber ich werde es mir so bequem wie möglich machen."
Er streckte sich aus, stemmte den Ellenbogen auf und
II. 16
ſind fortgelaufen, ſtatt zu wachen. Aber ſie ſollen lernen, mich zu fürchten. Ich laſſe ihnen die Baſtonnade geben; ja, ich laſſe ſie ſogar aufhängen!“
Er verſuchte, die Augen zu rollen, aber er brachte es nicht fertig; der Wein wirkte je länger deſto kräftiger; ſie fielen ihm zu.
„Was thun wir nun?“
„Was meinſt du, Emir?“
„Ich an deiner Stelle würde warten, um die Ar- nauten ſo zu empfangen, wie ſie es verdient haben.“
„Freilich werde ich dies thun. Aber wo warten wir?“
„Hier oder oben.“
„Hier. Ich ſteige nicht erſt wieder hinauf; du wirſt mir zu ſchwer, Effendi. Sieh, wie du wankſt! Setze dich nieder!“
„Ich denke, wir wollen die Gefängniſſe inſpizieren?“
„Ja, das wollten wir,“ ſagte er ermüdet. Aber, dieſe Menſchen ſind es nicht wert. Es ſind lauter Spitz- buben, Diebe und Räuber, Kurden und auch ein Araber, welcher der ſchlimmſte von allen iſt.“
„Wo ſteckt dieſer Kerl?“
„Hier nebenan, weil er am ſchärfſten bewacht werden ſoll. So ſetze dich doch!“
Ich ließ mich neben ihm nieder, obgleich der Boden nur aus hartgeſtampften Lehm beſtand und den höchſten Grad von Unreinlichkeit zeigte. Der Agha gähnte.
„Biſt du müde?“ fragte er mich.
„Ein wenig.“
„Darum gähnſt du ſo. Schlafe, bis ſie kommen. Ich werde dich wecken. Allah illa Allah, du biſt ganz ſchwach und unzuverläſſig geworden! Aber ich werde es mir ſo bequem wie möglich machen.“
Er ſtreckte ſich aus, ſtemmte den Ellenbogen auf und
II. 16
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ſind fortgelaufen, ſtatt zu wachen. Aber ſie ſollen lernen,
mich zu fürchten. Ich laſſe ihnen die Baſtonnade geben;
ja, ich laſſe ſie ſogar aufhängen!“
Er verſuchte, die Augen zu rollen, aber er brachte es
nicht fertig; der Wein wirkte je länger deſto kräftiger;
ſie fielen ihm zu.
„Was thun wir nun?“
„Was meinſt du, Emir?“
„Ich an deiner Stelle würde warten, um die Ar-
nauten ſo zu empfangen, wie ſie es verdient haben.“
„Freilich werde ich dies thun. Aber wo warten wir?“
„Hier oder oben.“
„Hier. Ich ſteige nicht erſt wieder hinauf; du wirſt
mir zu ſchwer, Effendi. Sieh, wie du wankſt! Setze dich
nieder!“
„Ich denke, wir wollen die Gefängniſſe inſpizieren?“
„Ja, das wollten wir,“ ſagte er ermüdet. Aber,
dieſe Menſchen ſind es nicht wert. Es ſind lauter Spitz-
buben, Diebe und Räuber, Kurden und auch ein Araber,
welcher der ſchlimmſte von allen iſt.“
„Wo ſteckt dieſer Kerl?“
„Hier nebenan, weil er am ſchärfſten bewacht werden
ſoll. So ſetze dich doch!“
Ich ließ mich neben ihm nieder, obgleich der Boden
nur aus hartgeſtampften Lehm beſtand und den höchſten
Grad von Unreinlichkeit zeigte. Der Agha gähnte.
„Biſt du müde?“ fragte er mich.
„Ein wenig.“
„Darum gähnſt du ſo. Schlafe, bis ſie kommen. Ich
werde dich wecken. Allah illa Allah, du biſt ganz ſchwach
und unzuverläſſig geworden! Aber ich werde es mir ſo
bequem wie möglich machen.“
Er ſtreckte ſich aus, ſtemmte den Ellenbogen auf und
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/255>, abgerufen am 25.11.2024.
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