und zu gleicher Zeit kam Ali Bey herauf zu uns mit den Worten:
"Es beginnt die große Feier am Grabe. Es ist noch nie ein Fremder dabei zugegen gewesen, aber der Mir Scheik Khan hat mir im Namen aller Priester die Ge- nehmigung erteilt, euch einzuladen."
Das war nun allerdings eine sehr hohe Ehre für uns; aber Scheik Mohammed Emin lehnte sie ab:
"Ich danke, dir, Herr; aber es ist dem Moslem verboten, bei der Anbetung eines andern als Allah zu- gegen zu sein."
Er war ein Moslem; aber er hätte diese Abweisung doch in andere Worte kleiden können. Er blieb zurück, und ich folgte dem Bey.
Als wir aus dem Hause traten, bot sich uns ein selt- samer, unbeschreiblich schöner Anblick dar. So weit das Thal reichte, flackerten Lichter unter und auf den Bäumen, am Wasser unten und auf jedem Felsen in der Höhe, um die Häuser herum und auf den Plattformen derselben. Das regste Leben aber herrschte am Grabmale des Heili- gen. Der Mir hatte an der ewigen Lampe des Grabes ein Licht angebrannt und trat damit heraus in den innern Hof. An diesem Lichte zündeten die Scheiks und Kawals ihre Lampen an; von diesen liehen wieder die Fakirs ihre Flammen, und nun traten sie alle heraus in das Freie, und Tausende strömten herbei, um sich an den heiligen Feuern zu reinigen.
Wer den Lichtern der Priester nahe zu kommen ver- mochte, fuhr mit der Hand durch die Flamme derselben und bestrich dann mit dieser Hand die Stirn und die Gegend des Herzens. Männer strichen dann zum zweiten- mal durch die Flamme, um den Segen derselben ihren Frauen zu bringen. Mütter thaten ganz dasselbe für ihre
und zu gleicher Zeit kam Ali Bey herauf zu uns mit den Worten:
„Es beginnt die große Feier am Grabe. Es iſt noch nie ein Fremder dabei zugegen geweſen, aber der Mir Scheik Khan hat mir im Namen aller Prieſter die Ge- nehmigung erteilt, euch einzuladen.“
Das war nun allerdings eine ſehr hohe Ehre für uns; aber Scheik Mohammed Emin lehnte ſie ab:
„Ich danke, dir, Herr; aber es iſt dem Moslem verboten, bei der Anbetung eines andern als Allah zu- gegen zu ſein.“
Er war ein Moslem; aber er hätte dieſe Abweiſung doch in andere Worte kleiden können. Er blieb zurück, und ich folgte dem Bey.
Als wir aus dem Hauſe traten, bot ſich uns ein ſelt- ſamer, unbeſchreiblich ſchöner Anblick dar. So weit das Thal reichte, flackerten Lichter unter und auf den Bäumen, am Waſſer unten und auf jedem Felſen in der Höhe, um die Häuſer herum und auf den Plattformen derſelben. Das regſte Leben aber herrſchte am Grabmale des Heili- gen. Der Mir hatte an der ewigen Lampe des Grabes ein Licht angebrannt und trat damit heraus in den innern Hof. An dieſem Lichte zündeten die Scheiks und Kawals ihre Lampen an; von dieſen liehen wieder die Fakirs ihre Flammen, und nun traten ſie alle heraus in das Freie, und Tauſende ſtrömten herbei, um ſich an den heiligen Feuern zu reinigen.
Wer den Lichtern der Prieſter nahe zu kommen ver- mochte, fuhr mit der Hand durch die Flamme derſelben und beſtrich dann mit dieſer Hand die Stirn und die Gegend des Herzens. Männer ſtrichen dann zum zweiten- mal durch die Flamme, um den Segen derſelben ihren Frauen zu bringen. Mütter thaten ganz dasſelbe für ihre
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0024"n="10"/>
und zu gleicher Zeit kam Ali Bey herauf zu uns mit den<lb/>
Worten:</p><lb/><p>„Es beginnt die große Feier am Grabe. Es iſt noch<lb/>
nie ein Fremder dabei zugegen geweſen, aber der Mir<lb/>
Scheik Khan hat mir im Namen aller Prieſter die Ge-<lb/>
nehmigung erteilt, euch einzuladen.“</p><lb/><p>Das war nun allerdings eine ſehr hohe Ehre für<lb/>
uns; aber Scheik Mohammed Emin lehnte ſie ab:</p><lb/><p>„Ich danke, dir, Herr; aber es iſt dem Moslem<lb/>
verboten, bei der Anbetung eines andern als Allah zu-<lb/>
gegen zu ſein.“</p><lb/><p>Er war ein Moslem; aber er hätte dieſe Abweiſung<lb/>
doch in andere Worte kleiden können. Er blieb zurück,<lb/>
und ich folgte dem Bey.</p><lb/><p>Als wir aus dem Hauſe traten, bot ſich uns ein ſelt-<lb/>ſamer, unbeſchreiblich ſchöner Anblick dar. So weit das<lb/>
Thal reichte, flackerten Lichter unter und auf den Bäumen,<lb/>
am Waſſer unten und auf jedem Felſen in der Höhe, um<lb/>
die Häuſer herum und auf den Plattformen derſelben.<lb/>
Das regſte Leben aber herrſchte am Grabmale des Heili-<lb/>
gen. Der Mir hatte an der ewigen Lampe des Grabes<lb/>
ein Licht angebrannt und trat damit heraus in den<lb/>
innern Hof. An dieſem Lichte zündeten die Scheiks<lb/>
und Kawals ihre Lampen an; von dieſen liehen wieder<lb/>
die Fakirs ihre Flammen, und nun traten ſie alle heraus<lb/>
in das Freie, und Tauſende ſtrömten herbei, um ſich an<lb/>
den heiligen Feuern zu reinigen.</p><lb/><p>Wer den Lichtern der Prieſter nahe zu kommen ver-<lb/>
mochte, fuhr mit der Hand durch die Flamme derſelben<lb/>
und beſtrich dann mit dieſer Hand die Stirn und die<lb/>
Gegend des Herzens. Männer ſtrichen dann zum zweiten-<lb/>
mal durch die Flamme, um den Segen derſelben ihren<lb/>
Frauen zu bringen. Mütter thaten ganz dasſelbe für ihre<lb/></p></div></body></text></TEI>
[10/0024]
und zu gleicher Zeit kam Ali Bey herauf zu uns mit den
Worten:
„Es beginnt die große Feier am Grabe. Es iſt noch
nie ein Fremder dabei zugegen geweſen, aber der Mir
Scheik Khan hat mir im Namen aller Prieſter die Ge-
nehmigung erteilt, euch einzuladen.“
Das war nun allerdings eine ſehr hohe Ehre für
uns; aber Scheik Mohammed Emin lehnte ſie ab:
„Ich danke, dir, Herr; aber es iſt dem Moslem
verboten, bei der Anbetung eines andern als Allah zu-
gegen zu ſein.“
Er war ein Moslem; aber er hätte dieſe Abweiſung
doch in andere Worte kleiden können. Er blieb zurück,
und ich folgte dem Bey.
Als wir aus dem Hauſe traten, bot ſich uns ein ſelt-
ſamer, unbeſchreiblich ſchöner Anblick dar. So weit das
Thal reichte, flackerten Lichter unter und auf den Bäumen,
am Waſſer unten und auf jedem Felſen in der Höhe, um
die Häuſer herum und auf den Plattformen derſelben.
Das regſte Leben aber herrſchte am Grabmale des Heili-
gen. Der Mir hatte an der ewigen Lampe des Grabes
ein Licht angebrannt und trat damit heraus in den
innern Hof. An dieſem Lichte zündeten die Scheiks
und Kawals ihre Lampen an; von dieſen liehen wieder
die Fakirs ihre Flammen, und nun traten ſie alle heraus
in das Freie, und Tauſende ſtrömten herbei, um ſich an
den heiligen Feuern zu reinigen.
Wer den Lichtern der Prieſter nahe zu kommen ver-
mochte, fuhr mit der Hand durch die Flamme derſelben
und beſtrich dann mit dieſer Hand die Stirn und die
Gegend des Herzens. Männer ſtrichen dann zum zweiten-
mal durch die Flamme, um den Segen derſelben ihren
Frauen zu bringen. Mütter thaten ganz dasſelbe für ihre
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/24>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.