im Westen von hier, weit über Stambul hinaus, da, wo ich geboren bin, hat jedermann mehr Kenntnisse über die Krankheiten als dein Hekim, der den Teufel durch eine tote Fliege vertreiben wollte."
Das war rücksichtslos und wohl auch ein wenig mutig gesprochen; aber es konnte diesen Leuten gar nicht schaden, wenn einmal einer kam, der es wagte, an ihrer Selbstherrlichkeit zu rütteln.
Der Mutesselim that, als hätte er meine scharfe Ant- wort nicht gehört, und erkundigte sich weiter:
"So kennst du alle Krankheiten?"
"Alle!" antwortete ich sehr entschieden.
"Und kannst auch alle Tränke machen?"
"Alle."
"Giebt es auch Tränke, die ein guter Moslem nicht trinken darf?"
"Ja."
"Welche sind es?"
"Die Paksitz *), welche aus solchen Dingen bereitet werden, deren Genuß der Prophet verboten hat, zum Beispiel Schweinefett und Wein."
"Wein ist aber auch eine Medizin?"
"Ja, eine sehr wichtige."
"Wann wird sie getrunken?"
"Bei gewissen Krankheiten des Blut- und Nerven- systems, sowie auch der Verdauung als Stärkungs- oder Erregungsmittel."
Wieder stockte die Unterhaltung. Die Anwesenden begannen wieder leise untereinander zu flüstern, und nach einer Weile wandte sich der Mutesselim auch ebenso leise an mich:
"Effendi, ich bin krank, sehr krank!"
*) Unreinen.
im Weſten von hier, weit über Stambul hinaus, da, wo ich geboren bin, hat jedermann mehr Kenntniſſe über die Krankheiten als dein Hekim, der den Teufel durch eine tote Fliege vertreiben wollte.“
Das war rückſichtslos und wohl auch ein wenig mutig geſprochen; aber es konnte dieſen Leuten gar nicht ſchaden, wenn einmal einer kam, der es wagte, an ihrer Selbſtherrlichkeit zu rütteln.
Der Muteſſelim that, als hätte er meine ſcharfe Ant- wort nicht gehört, und erkundigte ſich weiter:
„So kennſt du alle Krankheiten?“
„Alle!“ antwortete ich ſehr entſchieden.
„Und kannſt auch alle Tränke machen?“
„Alle.“
„Giebt es auch Tränke, die ein guter Moslem nicht trinken darf?“
„Ja.“
„Welche ſind es?“
„Die Pakſitz *), welche aus ſolchen Dingen bereitet werden, deren Genuß der Prophet verboten hat, zum Beiſpiel Schweinefett und Wein.“
„Wein iſt aber auch eine Medizin?“
„Ja, eine ſehr wichtige.“
„Wann wird ſie getrunken?“
„Bei gewiſſen Krankheiten des Blut- und Nerven- ſyſtems, ſowie auch der Verdauung als Stärkungs- oder Erregungsmittel.“
Wieder ſtockte die Unterhaltung. Die Anweſenden begannen wieder leiſe untereinander zu flüſtern, und nach einer Weile wandte ſich der Muteſſelim auch ebenſo leiſe an mich:
„Effendi, ich bin krank, ſehr krank!“
*) Unreinen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0236"n="222"/>
im Weſten von hier, weit über Stambul hinaus, da, wo<lb/>
ich geboren bin, hat jedermann mehr Kenntniſſe über die<lb/>
Krankheiten als dein Hekim, der den Teufel durch eine<lb/>
tote Fliege vertreiben wollte.“</p><lb/><p>Das war rückſichtslos und wohl auch ein wenig<lb/>
mutig geſprochen; aber es konnte dieſen Leuten gar nicht<lb/>ſchaden, wenn einmal einer kam, der es wagte, an ihrer<lb/>
Selbſtherrlichkeit zu rütteln.</p><lb/><p>Der Muteſſelim that, als hätte er meine ſcharfe Ant-<lb/>
wort nicht gehört, und erkundigte ſich weiter:</p><lb/><p>„So kennſt du alle Krankheiten?“</p><lb/><p>„Alle!“ antwortete ich ſehr entſchieden.</p><lb/><p>„Und kannſt auch alle Tränke machen?“</p><lb/><p>„Alle.“</p><lb/><p>„Giebt es auch Tränke, die ein guter Moslem nicht<lb/>
trinken darf?“</p><lb/><p>„Ja.“</p><lb/><p>„Welche ſind es?“</p><lb/><p>„Die Pakſitz <noteplace="foot"n="*)">Unreinen.</note>, welche aus ſolchen Dingen bereitet<lb/>
werden, deren Genuß der Prophet verboten hat, zum<lb/>
Beiſpiel Schweinefett und Wein.“</p><lb/><p>„Wein iſt aber auch eine Medizin?“</p><lb/><p>„Ja, eine ſehr wichtige.“</p><lb/><p>„Wann wird ſie getrunken?“</p><lb/><p>„Bei gewiſſen Krankheiten des Blut- und Nerven-<lb/>ſyſtems, ſowie auch der Verdauung als Stärkungs- oder<lb/>
Erregungsmittel.“</p><lb/><p>Wieder ſtockte die Unterhaltung. Die Anweſenden<lb/>
begannen wieder leiſe untereinander zu flüſtern, und nach<lb/>
einer Weile wandte ſich der Muteſſelim auch ebenſo leiſe<lb/>
an mich:</p><lb/><p>„Effendi, ich bin krank, ſehr krank!“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[222/0236]
im Weſten von hier, weit über Stambul hinaus, da, wo
ich geboren bin, hat jedermann mehr Kenntniſſe über die
Krankheiten als dein Hekim, der den Teufel durch eine
tote Fliege vertreiben wollte.“
Das war rückſichtslos und wohl auch ein wenig
mutig geſprochen; aber es konnte dieſen Leuten gar nicht
ſchaden, wenn einmal einer kam, der es wagte, an ihrer
Selbſtherrlichkeit zu rütteln.
Der Muteſſelim that, als hätte er meine ſcharfe Ant-
wort nicht gehört, und erkundigte ſich weiter:
„So kennſt du alle Krankheiten?“
„Alle!“ antwortete ich ſehr entſchieden.
„Und kannſt auch alle Tränke machen?“
„Alle.“
„Giebt es auch Tränke, die ein guter Moslem nicht
trinken darf?“
„Ja.“
„Welche ſind es?“
„Die Pakſitz *), welche aus ſolchen Dingen bereitet
werden, deren Genuß der Prophet verboten hat, zum
Beiſpiel Schweinefett und Wein.“
„Wein iſt aber auch eine Medizin?“
„Ja, eine ſehr wichtige.“
„Wann wird ſie getrunken?“
„Bei gewiſſen Krankheiten des Blut- und Nerven-
ſyſtems, ſowie auch der Verdauung als Stärkungs- oder
Erregungsmittel.“
Wieder ſtockte die Unterhaltung. Die Anweſenden
begannen wieder leiſe untereinander zu flüſtern, und nach
einer Weile wandte ſich der Muteſſelim auch ebenſo leiſe
an mich:
„Effendi, ich bin krank, ſehr krank!“
*) Unreinen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/236>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.