"Nein, sondern milder. Da aber ein Zeuge zugegen war, so mußte ich die Ehre dessen wahren, der mich ge- sendet hat."
"Du hast deinen Zweck erreicht. Der Mutesselim wünscht, daß du zu ihm zurückkehrst, um deine Botschaft auszurichten."
"Ich werde ihm diesen Gefallen nicht erweisen."
"Auch mir nicht?"
Er blickte auf.
"Wünschest du es?"
"Ich bitte dich darum. Ich habe ihm versprochen, diese Bitte an dich zu richten."
"Kennst du ihn? Bist du sein Freund?"
"Ich habe ihn noch niemals gesehen und war heute zum erstenmal bei ihm."
"So will ich dir sagen, was für ein Mann er ist. Eigentlich schildere ich dir diesen Mann am besten, wenn ich dir weiter nichts sage, als daß der Saliahn *) jetzt nur kaum zwanzigtausend Piaster für Amadijah einbringt, und daß er nicht, wie es doch an der Regel wäre, die Pacht der Steuern hat. Die hat man ihm genommen. Der Sultan hört selten eine Beschwerde an; hier aber hat er hören müssen, denn es war zu himmelschreiend. Er plünderte die Einwohner dermaßen, daß sie auch im Winter im Gebirge blieben und sich nicht in die Stadt zurückwagten. Nun ist der ganze Distrikt verarmt, und der Hunger ist ein steter Gast der Leute geworden. Der Mutesselim braucht immer Geld und borgt, und wer ihm da nicht zu Willen ist, der hat seine Rache zu befürchten. Uebrigens ist er ein feiger Mensch, der nur gegen den Schwachen mutig ist. Seine Soldaten hungern und frieren,
*) Die Vermögenssteuer.
„Strenger?“
„Nein, ſondern milder. Da aber ein Zeuge zugegen war, ſo mußte ich die Ehre deſſen wahren, der mich ge- ſendet hat.“
„Du haſt deinen Zweck erreicht. Der Muteſſelim wünſcht, daß du zu ihm zurückkehrſt, um deine Botſchaft auszurichten.“
„Ich werde ihm dieſen Gefallen nicht erweiſen.“
„Auch mir nicht?“
Er blickte auf.
„Wünſcheſt du es?“
„Ich bitte dich darum. Ich habe ihm verſprochen, dieſe Bitte an dich zu richten.“
„Kennſt du ihn? Biſt du ſein Freund?“
„Ich habe ihn noch niemals geſehen und war heute zum erſtenmal bei ihm.“
„So will ich dir ſagen, was für ein Mann er iſt. Eigentlich ſchildere ich dir dieſen Mann am beſten, wenn ich dir weiter nichts ſage, als daß der Saliahn *) jetzt nur kaum zwanzigtauſend Piaſter für Amadijah einbringt, und daß er nicht, wie es doch an der Regel wäre, die Pacht der Steuern hat. Die hat man ihm genommen. Der Sultan hört ſelten eine Beſchwerde an; hier aber hat er hören müſſen, denn es war zu himmelſchreiend. Er plünderte die Einwohner dermaßen, daß ſie auch im Winter im Gebirge blieben und ſich nicht in die Stadt zurückwagten. Nun iſt der ganze Diſtrikt verarmt, und der Hunger iſt ein ſteter Gaſt der Leute geworden. Der Muteſſelim braucht immer Geld und borgt, und wer ihm da nicht zu Willen iſt, der hat ſeine Rache zu befürchten. Uebrigens iſt er ein feiger Menſch, der nur gegen den Schwachen mutig iſt. Seine Soldaten hungern und frieren,
*) Die Vermögensſteuer.
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„Strenger?“
„Nein, ſondern milder. Da aber ein Zeuge zugegen
war, ſo mußte ich die Ehre deſſen wahren, der mich ge-
ſendet hat.“
„Du haſt deinen Zweck erreicht. Der Muteſſelim
wünſcht, daß du zu ihm zurückkehrſt, um deine Botſchaft
auszurichten.“
„Ich werde ihm dieſen Gefallen nicht erweiſen.“
„Auch mir nicht?“
Er blickte auf.
„Wünſcheſt du es?“
„Ich bitte dich darum. Ich habe ihm verſprochen,
dieſe Bitte an dich zu richten.“
„Kennſt du ihn? Biſt du ſein Freund?“
„Ich habe ihn noch niemals geſehen und war heute
zum erſtenmal bei ihm.“
„So will ich dir ſagen, was für ein Mann er iſt.
Eigentlich ſchildere ich dir dieſen Mann am beſten, wenn
ich dir weiter nichts ſage, als daß der Saliahn *) jetzt
nur kaum zwanzigtauſend Piaſter für Amadijah einbringt,
und daß er nicht, wie es doch an der Regel wäre, die
Pacht der Steuern hat. Die hat man ihm genommen.
Der Sultan hört ſelten eine Beſchwerde an; hier aber hat
er hören müſſen, denn es war zu himmelſchreiend. Er
plünderte die Einwohner dermaßen, daß ſie auch im
Winter im Gebirge blieben und ſich nicht in die Stadt
zurückwagten. Nun iſt der ganze Diſtrikt verarmt, und
der Hunger iſt ein ſteter Gaſt der Leute geworden. Der
Muteſſelim braucht immer Geld und borgt, und wer ihm
da nicht zu Willen iſt, der hat ſeine Rache zu befürchten.
Uebrigens iſt er ein feiger Menſch, der nur gegen den
Schwachen mutig iſt. Seine Soldaten hungern und frieren,
*) Die Vermögensſteuer.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/213>, abgerufen am 23.12.2024.
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