Unser Gastmahl hatte also nicht lange Zeit in An- spruch genommen. Wir brachen auf und wurden in sehr höflicher Weise von ihm bis hinunter vor das Thor be- gleitet. Dort warteten unsere beiden Begleiter mit den Pferden auf uns.
"Du hast einen Baschi-Bozuk bei dir?" fragte der Kommandant.
"Ja, als Khawaß. Der Mutessarif bot mir ein großes Gefolge an, doch ich bin gewohnt, mich selbst zu beschützen."
Jetzt erblickte er den Rappen.
"Welch ein Pferd! Hast du es gekauft oder groß gezogen?
"Es ist ein Geschenk."
"Ein Geschenk! Herr, der es dir schenkte, ist ein Fürst gewesen! Wer war es?"
"Auch das ist ein Geheimnis; aber du wirst ihn vielleicht bald sehen."
Wir stiegen auf, und sofort brüllte Selim Agha seiner Wachtparade, die auf uns gewartet hatte, den Be- fehl entgegen:
"Silahlarile nischanlaryn -- zielt mit den Gewehren!"
Sie legten an, aber nicht zwei von den Flinten bil- deten eine Linie miteinander.
"Hepsi herbiri halan atyn -- schießt alle zugleich los!"
O weh! Kaum die Hälfte dieser Mordgewehre hatte den Mut, einen Laut von sich zu geben. Der Agha rollte die Augen; die Träger der konfusen Schießinstrumente rollten auch die Augen und bearbeiteten die Schlösser ihrer Vorderlader, aber erst nachdem wir bereits um die nächste Ecke gebogen waren, erklang hier und da ein leises
Unſer Gaſtmahl hatte alſo nicht lange Zeit in An- ſpruch genommen. Wir brachen auf und wurden in ſehr höflicher Weiſe von ihm bis hinunter vor das Thor be- gleitet. Dort warteten unſere beiden Begleiter mit den Pferden auf uns.
„Du haſt einen Baſchi-Bozuk bei dir?“ fragte der Kommandant.
„Ja, als Khawaß. Der Muteſſarif bot mir ein großes Gefolge an, doch ich bin gewohnt, mich ſelbſt zu beſchützen.“
Jetzt erblickte er den Rappen.
„Welch ein Pferd! Haſt du es gekauft oder groß gezogen?
„Es iſt ein Geſchenk.“
„Ein Geſchenk! Herr, der es dir ſchenkte, iſt ein Fürſt geweſen! Wer war es?“
„Auch das iſt ein Geheimnis; aber du wirſt ihn vielleicht bald ſehen.“
Wir ſtiegen auf, und ſofort brüllte Selim Agha ſeiner Wachtparade, die auf uns gewartet hatte, den Be- fehl entgegen:
„Silahlarile niſchanlaryn — zielt mit den Gewehren!“
Sie legten an, aber nicht zwei von den Flinten bil- deten eine Linie miteinander.
„Hepſi herbiri halan atyn — ſchießt alle zugleich los!“
O weh! Kaum die Hälfte dieſer Mordgewehre hatte den Mut, einen Laut von ſich zu geben. Der Agha rollte die Augen; die Träger der konfuſen Schießinſtrumente rollten auch die Augen und bearbeiteten die Schlöſſer ihrer Vorderlader, aber erſt nachdem wir bereits um die nächſte Ecke gebogen waren, erklang hier und da ein leiſes
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0211"n="197"/><p>Unſer Gaſtmahl hatte alſo nicht lange Zeit in An-<lb/>ſpruch genommen. Wir brachen auf und wurden in ſehr<lb/>
höflicher Weiſe von ihm bis hinunter vor das Thor be-<lb/>
gleitet. Dort warteten unſere beiden Begleiter mit den<lb/>
Pferden auf uns.</p><lb/><p>„Du haſt einen Baſchi-Bozuk bei dir?“ fragte der<lb/>
Kommandant.</p><lb/><p>„Ja, als Khawaß. Der Muteſſarif bot mir ein<lb/>
großes Gefolge an, doch ich bin gewohnt, mich ſelbſt zu<lb/>
beſchützen.“</p><lb/><p>Jetzt erblickte er den Rappen.</p><lb/><p>„Welch ein Pferd! Haſt du es gekauft oder groß<lb/>
gezogen?</p><lb/><p>„Es iſt ein Geſchenk.“</p><lb/><p>„Ein Geſchenk! Herr, der es dir ſchenkte, iſt ein<lb/>
Fürſt geweſen! Wer war es?“</p><lb/><p>„Auch das iſt ein Geheimnis; aber du wirſt ihn<lb/>
vielleicht bald ſehen.“</p><lb/><p>Wir ſtiegen auf, und ſofort brüllte Selim Agha<lb/>ſeiner Wachtparade, die auf uns gewartet hatte, den Be-<lb/>
fehl entgegen:</p><lb/><p>„Silahlarile niſchanlaryn — zielt mit den Gewehren!“</p><lb/><p>Sie legten an, aber nicht zwei von den Flinten bil-<lb/>
deten eine Linie miteinander.</p><lb/><p>„Tſchalghy, ſchamataji kylyn — Muſik, macht Lärm!“</p><lb/><p>Das vorige Wimmern und Kaffeemahlen begann.</p><lb/><p>„Hepſi herbiri halan atyn —ſchießt alle zugleich los!“</p><lb/><p>O weh! Kaum die Hälfte dieſer Mordgewehre hatte<lb/>
den Mut, einen Laut von ſich zu geben. Der Agha rollte<lb/>
die Augen; die Träger der konfuſen Schießinſtrumente<lb/>
rollten auch die Augen und bearbeiteten die Schlöſſer<lb/>
ihrer Vorderlader, aber erſt nachdem wir bereits um die<lb/>
nächſte Ecke gebogen waren, erklang hier und da ein leiſes<lb/></p></div></body></text></TEI>
[197/0211]
Unſer Gaſtmahl hatte alſo nicht lange Zeit in An-
ſpruch genommen. Wir brachen auf und wurden in ſehr
höflicher Weiſe von ihm bis hinunter vor das Thor be-
gleitet. Dort warteten unſere beiden Begleiter mit den
Pferden auf uns.
„Du haſt einen Baſchi-Bozuk bei dir?“ fragte der
Kommandant.
„Ja, als Khawaß. Der Muteſſarif bot mir ein
großes Gefolge an, doch ich bin gewohnt, mich ſelbſt zu
beſchützen.“
Jetzt erblickte er den Rappen.
„Welch ein Pferd! Haſt du es gekauft oder groß
gezogen?
„Es iſt ein Geſchenk.“
„Ein Geſchenk! Herr, der es dir ſchenkte, iſt ein
Fürſt geweſen! Wer war es?“
„Auch das iſt ein Geheimnis; aber du wirſt ihn
vielleicht bald ſehen.“
Wir ſtiegen auf, und ſofort brüllte Selim Agha
ſeiner Wachtparade, die auf uns gewartet hatte, den Be-
fehl entgegen:
„Silahlarile niſchanlaryn — zielt mit den Gewehren!“
Sie legten an, aber nicht zwei von den Flinten bil-
deten eine Linie miteinander.
„Tſchalghy, ſchamataji kylyn — Muſik, macht Lärm!“
Das vorige Wimmern und Kaffeemahlen begann.
„Hepſi herbiri halan atyn — ſchießt alle zugleich los!“
O weh! Kaum die Hälfte dieſer Mordgewehre hatte
den Mut, einen Laut von ſich zu geben. Der Agha rollte
die Augen; die Träger der konfuſen Schießinſtrumente
rollten auch die Augen und bearbeiteten die Schlöſſer
ihrer Vorderlader, aber erſt nachdem wir bereits um die
nächſte Ecke gebogen waren, erklang hier und da ein leiſes
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/211>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.