"Ich denke, du bist ein Diplomat? Frage den Mu- tessarif!"
"Emir, du sprichst in lauter Rätseln!"
"Deine Weisheit wird sie sehr bald zu lösen wissen. Ich will dir aufrichtig sagen, daß du einen Fehler be- gangen hast, und da du weder eine Lehre noch einen Rat von mir annehmen willst, so erlaube mir wenigstens, diesen Fehler wieder gut zu machen, indem ich dem Bey von Gumri eine sehr friedliche Botschaft sende!"
"Ich darf sie nicht wissen?"
"Ich will es dir im Vertrauen mitteilen, trotzdem es ein diplomatisches Geheimnis ist: Ich habe ihm ein Geschenk zu übermitteln."
"Ein Geschenk? Von wem?"
"Das darf ich allerdings nicht sagen, aber du kannst es vielleicht erraten, wenn ich dir gestehe, daß der be- treffende Beamte und Gebieter, von dem es kommt, im Westen von Amadijah wohnt und sehr wünscht, daß der Bey von Gumri ihm nicht feindlich gesinnt werde."
"Herr, jetzt sehe ich, daß du wirklich der Vertraute des Mutessarif von Mossul bist; denn von ihm kommt das Geschenk, du magst es nun sagen oder nicht!"
Der Mann war ein Schwachkopf und ganz unfähig für sein Amt. Ich erfuhr später, daß er die Kreatur seines Vorgängers gewesen war, der selbst auch den Sprung vom Nefus Emini in Zilla in Kleinasien zum Mutesselim von Amadijah gethan hatte. Mein Besuch bei diesem Kom- mandanten hatte eine ganz unerwartete, frappante Wen- dung erhalten. Für was er mich nahm, das konnte ich zwar hören und vermuten, nicht aber sicher behaupten; und doch führte mich der eigentümliche Gang unsers Ge- spräches dazu, ihm Dinge zu sagen, Dinge wissen oder
„Was für eine Botſchaft?“
„Ich denke, du biſt ein Diplomat? Frage den Mu- teſſarif!“
„Emir, du ſprichſt in lauter Rätſeln!“
„Deine Weisheit wird ſie ſehr bald zu löſen wiſſen. Ich will dir aufrichtig ſagen, daß du einen Fehler be- gangen haſt, und da du weder eine Lehre noch einen Rat von mir annehmen willſt, ſo erlaube mir wenigſtens, dieſen Fehler wieder gut zu machen, indem ich dem Bey von Gumri eine ſehr friedliche Botſchaft ſende!“
„Ich darf ſie nicht wiſſen?“
„Ich will es dir im Vertrauen mitteilen, trotzdem es ein diplomatiſches Geheimnis iſt: Ich habe ihm ein Geſchenk zu übermitteln.“
„Ein Geſchenk? Von wem?“
„Das darf ich allerdings nicht ſagen, aber du kannſt es vielleicht erraten, wenn ich dir geſtehe, daß der be- treffende Beamte und Gebieter, von dem es kommt, im Weſten von Amadijah wohnt und ſehr wünſcht, daß der Bey von Gumri ihm nicht feindlich geſinnt werde.“
„Herr, jetzt ſehe ich, daß du wirklich der Vertraute des Muteſſarif von Moſſul biſt; denn von ihm kommt das Geſchenk, du magſt es nun ſagen oder nicht!“
Der Mann war ein Schwachkopf und ganz unfähig für ſein Amt. Ich erfuhr ſpäter, daß er die Kreatur ſeines Vorgängers geweſen war, der ſelbſt auch den Sprung vom Nefus Emini in Zilla in Kleinaſien zum Muteſſelim von Amadijah gethan hatte. Mein Beſuch bei dieſem Kom- mandanten hatte eine ganz unerwartete, frappante Wen- dung erhalten. Für was er mich nahm, das konnte ich zwar hören und vermuten, nicht aber ſicher behaupten; und doch führte mich der eigentümliche Gang unſers Ge- ſpräches dazu, ihm Dinge zu ſagen, Dinge wiſſen oder
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0209"n="195"/><p>„Was für eine Botſchaft?“</p><lb/><p>„Ich denke, du biſt ein Diplomat? Frage den Mu-<lb/>
teſſarif!“</p><lb/><p>„Emir, du ſprichſt in lauter Rätſeln!“</p><lb/><p>„Deine Weisheit wird ſie ſehr bald zu löſen wiſſen.<lb/>
Ich will dir aufrichtig ſagen, daß du einen Fehler be-<lb/>
gangen haſt, und da du weder eine Lehre noch einen Rat<lb/>
von mir annehmen willſt, ſo erlaube mir wenigſtens,<lb/>
dieſen Fehler wieder gut zu machen, indem ich dem Bey<lb/>
von Gumri eine ſehr friedliche Botſchaft ſende!“</p><lb/><p>„Ich darf ſie nicht wiſſen?“</p><lb/><p>„Ich will es dir im Vertrauen mitteilen, trotzdem<lb/>
es ein diplomatiſches Geheimnis iſt: Ich habe ihm ein<lb/>
Geſchenk zu übermitteln.“</p><lb/><p>„Ein Geſchenk? Von wem?“</p><lb/><p>„Das darf ich allerdings nicht ſagen, aber du kannſt<lb/>
es vielleicht erraten, wenn ich dir geſtehe, daß der be-<lb/>
treffende Beamte und Gebieter, von dem es kommt, im<lb/>
Weſten von Amadijah wohnt und ſehr wünſcht, daß der<lb/>
Bey von Gumri ihm nicht feindlich geſinnt werde.“</p><lb/><p>„Herr, jetzt ſehe ich, daß du wirklich der Vertraute<lb/>
des Muteſſarif von Moſſul biſt; denn von ihm kommt<lb/>
das Geſchenk, du magſt es nun ſagen oder nicht!“</p><lb/><p>Der Mann war ein Schwachkopf und ganz unfähig<lb/>
für ſein Amt. Ich erfuhr ſpäter, daß er die Kreatur<lb/>ſeines Vorgängers geweſen war, der ſelbſt auch den Sprung<lb/>
vom Nefus Emini in Zilla in Kleinaſien zum Muteſſelim<lb/>
von Amadijah gethan hatte. Mein Beſuch bei dieſem Kom-<lb/>
mandanten hatte eine ganz unerwartete, frappante Wen-<lb/>
dung erhalten. Für was er mich nahm, das konnte ich<lb/>
zwar hören und vermuten, nicht aber ſicher behaupten;<lb/>
und doch führte mich der eigentümliche Gang unſers Ge-<lb/>ſpräches dazu, ihm Dinge zu ſagen, Dinge wiſſen oder<lb/></p></div></body></text></TEI>
[195/0209]
„Was für eine Botſchaft?“
„Ich denke, du biſt ein Diplomat? Frage den Mu-
teſſarif!“
„Emir, du ſprichſt in lauter Rätſeln!“
„Deine Weisheit wird ſie ſehr bald zu löſen wiſſen.
Ich will dir aufrichtig ſagen, daß du einen Fehler be-
gangen haſt, und da du weder eine Lehre noch einen Rat
von mir annehmen willſt, ſo erlaube mir wenigſtens,
dieſen Fehler wieder gut zu machen, indem ich dem Bey
von Gumri eine ſehr friedliche Botſchaft ſende!“
„Ich darf ſie nicht wiſſen?“
„Ich will es dir im Vertrauen mitteilen, trotzdem
es ein diplomatiſches Geheimnis iſt: Ich habe ihm ein
Geſchenk zu übermitteln.“
„Ein Geſchenk? Von wem?“
„Das darf ich allerdings nicht ſagen, aber du kannſt
es vielleicht erraten, wenn ich dir geſtehe, daß der be-
treffende Beamte und Gebieter, von dem es kommt, im
Weſten von Amadijah wohnt und ſehr wünſcht, daß der
Bey von Gumri ihm nicht feindlich geſinnt werde.“
„Herr, jetzt ſehe ich, daß du wirklich der Vertraute
des Muteſſarif von Moſſul biſt; denn von ihm kommt
das Geſchenk, du magſt es nun ſagen oder nicht!“
Der Mann war ein Schwachkopf und ganz unfähig
für ſein Amt. Ich erfuhr ſpäter, daß er die Kreatur
ſeines Vorgängers geweſen war, der ſelbſt auch den Sprung
vom Nefus Emini in Zilla in Kleinaſien zum Muteſſelim
von Amadijah gethan hatte. Mein Beſuch bei dieſem Kom-
mandanten hatte eine ganz unerwartete, frappante Wen-
dung erhalten. Für was er mich nahm, das konnte ich
zwar hören und vermuten, nicht aber ſicher behaupten;
und doch führte mich der eigentümliche Gang unſers Ge-
ſpräches dazu, ihm Dinge zu ſagen, Dinge wiſſen oder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/209>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.