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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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"Warum nicht?"

"Weil mich diese Mauer stört."

"Diese Mauer? Warum, Effendi?"

"Ich liebe es nicht, in der Nähe eines Gefängnisses
zu sein."

"Oh, die Leute, welche da drinnen stecken, können
dich nicht stören. Ihre Löcher sind so tief, daß sie diese
kleinen Fenster gar nicht erreichen können."

"Ist dies das einzige Gefängnis in Amadijah?"

"Ja. Das andere ist eingefallen. Mein Tschausch *)
hat die Aufsicht über die Gefangenen."

"Und du glaubst, daß mich diese nicht stören werden?"

"Du wirst nichts von ihnen sehen und keinen Laut
von ihnen hören."

"So werde ich dir die zehn Piaster geben. Du hast
also in Summa für die Woche fünfunddreißig Piaster
von uns zu bekommen. Erlaube, daß ich dich für die erste
Woche jetzt gleich bezahle!"

Er schmunzelte bei diesem Anerbieten vor Vergnügen
im ganzen Gesichte. Der Engländer bemerkte, daß ich in
die Tasch griff, um zu bezahlen. Er schüttelte den Kopf,
zog seine eigne Börse hervor und reichte sie mir. Er
konnte eine kleine Erleichterung derselben recht wohl ver-
schmerzen; darum nahm ich drei Mahbub-Zechinen hervor
und gab sie dem Agha.

"Hier nimm! Das übrige ist Bakschisch für dich."

Das war mehr als das Doppelte von dem, was er
zu erhalten hatte; darum machte er ein sehr vergnügtes
Gesicht und meinte sehr respektvoll:

"Emir, der Kuran sagt: ,Wer doppelt giebt, dem
wird es Allah hundertfach segnen.' Allah ist dein Schuld-
ner; er wird es dir reichlich vergelten!"

*) Sergeant.

„Warum nicht?“

„Weil mich dieſe Mauer ſtört.“

„Dieſe Mauer? Warum, Effendi?“

„Ich liebe es nicht, in der Nähe eines Gefängniſſes
zu ſein.“

„Oh, die Leute, welche da drinnen ſtecken, können
dich nicht ſtören. Ihre Löcher ſind ſo tief, daß ſie dieſe
kleinen Fenſter gar nicht erreichen können.“

„Iſt dies das einzige Gefängnis in Amadijah?“

„Ja. Das andere iſt eingefallen. Mein Tſchauſch *)
hat die Aufſicht über die Gefangenen.“

„Und du glaubſt, daß mich dieſe nicht ſtören werden?“

„Du wirſt nichts von ihnen ſehen und keinen Laut
von ihnen hören.“

„So werde ich dir die zehn Piaſter geben. Du haſt
alſo in Summa für die Woche fünfunddreißig Piaſter
von uns zu bekommen. Erlaube, daß ich dich für die erſte
Woche jetzt gleich bezahle!“

Er ſchmunzelte bei dieſem Anerbieten vor Vergnügen
im ganzen Geſichte. Der Engländer bemerkte, daß ich in
die Taſch griff, um zu bezahlen. Er ſchüttelte den Kopf,
zog ſeine eigne Börſe hervor und reichte ſie mir. Er
konnte eine kleine Erleichterung derſelben recht wohl ver-
ſchmerzen; darum nahm ich drei Mahbub-Zechinen hervor
und gab ſie dem Agha.

„Hier nimm! Das übrige iſt Bakſchiſch für dich.“

Das war mehr als das Doppelte von dem, was er
zu erhalten hatte; darum machte er ein ſehr vergnügtes
Geſicht und meinte ſehr reſpektvoll:

„Emir, der Kuran ſagt: ‚Wer doppelt giebt, dem
wird es Allah hundertfach ſegnen.‘ Allah iſt dein Schuld-
ner; er wird es dir reichlich vergelten!“

*) Sergeant.
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[168/0182] „Warum nicht?“ „Weil mich dieſe Mauer ſtört.“ „Dieſe Mauer? Warum, Effendi?“ „Ich liebe es nicht, in der Nähe eines Gefängniſſes zu ſein.“ „Oh, die Leute, welche da drinnen ſtecken, können dich nicht ſtören. Ihre Löcher ſind ſo tief, daß ſie dieſe kleinen Fenſter gar nicht erreichen können.“ „Iſt dies das einzige Gefängnis in Amadijah?“ „Ja. Das andere iſt eingefallen. Mein Tſchauſch *) hat die Aufſicht über die Gefangenen.“ „Und du glaubſt, daß mich dieſe nicht ſtören werden?“ „Du wirſt nichts von ihnen ſehen und keinen Laut von ihnen hören.“ „So werde ich dir die zehn Piaſter geben. Du haſt alſo in Summa für die Woche fünfunddreißig Piaſter von uns zu bekommen. Erlaube, daß ich dich für die erſte Woche jetzt gleich bezahle!“ Er ſchmunzelte bei dieſem Anerbieten vor Vergnügen im ganzen Geſichte. Der Engländer bemerkte, daß ich in die Taſch griff, um zu bezahlen. Er ſchüttelte den Kopf, zog ſeine eigne Börſe hervor und reichte ſie mir. Er konnte eine kleine Erleichterung derſelben recht wohl ver- ſchmerzen; darum nahm ich drei Mahbub-Zechinen hervor und gab ſie dem Agha. „Hier nimm! Das übrige iſt Bakſchiſch für dich.“ Das war mehr als das Doppelte von dem, was er zu erhalten hatte; darum machte er ein ſehr vergnügtes Geſicht und meinte ſehr reſpektvoll: „Emir, der Kuran ſagt: ‚Wer doppelt giebt, dem wird es Allah hundertfach ſegnen.‘ Allah iſt dein Schuld- ner; er wird es dir reichlich vergelten!“ *) Sergeant.

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/182>, abgerufen am 28.11.2024.