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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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die ich gar nicht kenne. Bei Tage leuchtet über ihm die
Sonne, und des Nachts glänzen die Augen der Sterne
auf ihn herab. Er ist sehr schön!"

"Regnet es auch auf ihn nieder?" fragte ich belustigt.

"Wenn es regnet, erhält er auch sein Teil; ja, es
ist zuweilen sogar Schnee auf ihn gefallen. Komm und
siehe!"

Im Hofe gab es einen Schuppen, den wir für die
Pferde mieteten. Auch er kostete eine Mark. Der Garten
maß ungefähr vierzig Schritte im Gevierte, war also sehr
unbedeutend. Ich sah eine verkrüppelte Cypresse und
einen wilden Apfelbaum. Die "allerlei Kräuter und Gräser"
bestanden einfach aus wildem Kendir *), ausgewucherter
Madanos **) und einigen notorisch armen Gänseblümchen.
Das größte Wunder dieses Gartens aber war ein Beet,
auf welchem Soghani ***), Sarmysak +), Kedilan ++), eine
Stachelbeere, mehrere Pilsenkräuter und einige verblühte
Veilchen in lieblicher Eintracht nebeneinander verhungerten.

"Bir güzel bagtsche -- ein schöner Garten! Nicht
wahr?" fragte der Agha, indem er eine gewaltige Tabaks-
wolke auspuffte.

"Güzel-zorli -- gewaltig schön!" entgegnete ich.

"Pek bereketli -- sehr fruchtbar!"

"Ghajet bereketli -- äußerst fruchtbar!"

"Ile tschok güzel dikekler -- und viele schöne Pflan-
zen! Nicht?"

"Syz sajyjü -- ohne Zahl!"

"Weißt du, wer hier gewandelt hat?"

"Wer?"

"Die schönste Rose von Kurdistan. Hast du niemals
von Esma Khan gehört, der keine andere an Schönheit
gleich gekommen ist?"

*) Hanf.
**) Petersilie.
***) Zwiebeln.
+) Knoblauch.
++) Katzenkraut.

die ich gar nicht kenne. Bei Tage leuchtet über ihm die
Sonne, und des Nachts glänzen die Augen der Sterne
auf ihn herab. Er iſt ſehr ſchön!“

„Regnet es auch auf ihn nieder?“ fragte ich beluſtigt.

„Wenn es regnet, erhält er auch ſein Teil; ja, es
iſt zuweilen ſogar Schnee auf ihn gefallen. Komm und
ſiehe!“

Im Hofe gab es einen Schuppen, den wir für die
Pferde mieteten. Auch er koſtete eine Mark. Der Garten
maß ungefähr vierzig Schritte im Gevierte, war alſo ſehr
unbedeutend. Ich ſah eine verkrüppelte Cypreſſe und
einen wilden Apfelbaum. Die „allerlei Kräuter und Gräſer“
beſtanden einfach aus wildem Kendir *), ausgewucherter
Madanos **) und einigen notoriſch armen Gänſeblümchen.
Das größte Wunder dieſes Gartens aber war ein Beet,
auf welchem Soghani ***), Sarmyſak †), Kedilan ††), eine
Stachelbeere, mehrere Pilſenkräuter und einige verblühte
Veilchen in lieblicher Eintracht nebeneinander verhungerten.

„Bir güzel bagtſche — ein ſchöner Garten! Nicht
wahr?“ fragte der Agha, indem er eine gewaltige Tabaks-
wolke auspuffte.

„Güzel-zorli — gewaltig ſchön!“ entgegnete ich.

„Pek bereketli — ſehr fruchtbar!“

„Ghajet bereketli — äußerſt fruchtbar!“

„Ile tſchok güzel dikekler — und viele ſchöne Pflan-
zen! Nicht?“

„Syz ſajyjü — ohne Zahl!“

„Weißt du, wer hier gewandelt hat?“

„Wer?“

„Die ſchönſte Roſe von Kurdiſtan. Haſt du niemals
von Esma Khan gehört, der keine andere an Schönheit
gleich gekommen iſt?“

*) Hanf.
**) Peterſilie.
***) Zwiebeln.
†) Knoblauch.
††) Katzenkraut.
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[166/0180] die ich gar nicht kenne. Bei Tage leuchtet über ihm die Sonne, und des Nachts glänzen die Augen der Sterne auf ihn herab. Er iſt ſehr ſchön!“ „Regnet es auch auf ihn nieder?“ fragte ich beluſtigt. „Wenn es regnet, erhält er auch ſein Teil; ja, es iſt zuweilen ſogar Schnee auf ihn gefallen. Komm und ſiehe!“ Im Hofe gab es einen Schuppen, den wir für die Pferde mieteten. Auch er koſtete eine Mark. Der Garten maß ungefähr vierzig Schritte im Gevierte, war alſo ſehr unbedeutend. Ich ſah eine verkrüppelte Cypreſſe und einen wilden Apfelbaum. Die „allerlei Kräuter und Gräſer“ beſtanden einfach aus wildem Kendir *), ausgewucherter Madanos **) und einigen notoriſch armen Gänſeblümchen. Das größte Wunder dieſes Gartens aber war ein Beet, auf welchem Soghani ***), Sarmyſak †), Kedilan ††), eine Stachelbeere, mehrere Pilſenkräuter und einige verblühte Veilchen in lieblicher Eintracht nebeneinander verhungerten. „Bir güzel bagtſche — ein ſchöner Garten! Nicht wahr?“ fragte der Agha, indem er eine gewaltige Tabaks- wolke auspuffte. „Güzel-zorli — gewaltig ſchön!“ entgegnete ich. „Pek bereketli — ſehr fruchtbar!“ „Ghajet bereketli — äußerſt fruchtbar!“ „Ile tſchok güzel dikekler — und viele ſchöne Pflan- zen! Nicht?“ „Syz ſajyjü — ohne Zahl!“ „Weißt du, wer hier gewandelt hat?“ „Wer?“ „Die ſchönſte Roſe von Kurdiſtan. Haſt du niemals von Esma Khan gehört, der keine andere an Schönheit gleich gekommen iſt?“ *) Hanf. **) Peterſilie. ***) Zwiebeln. †) Knoblauch. ††) Katzenkraut.

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/180>, abgerufen am 28.11.2024.