"Werden sie bei dem Beginne der heiligen Hand- lungen zurückgekehrt sein?"
"Ja; das ist sicher."
"So mögen sie gehen!"
Nach einiger Zeit schritt ein sehr, sehr langer Zug von Männern, welche Tiere mit sich führten oder ver- schiedene Habseligkeiten trugen, an uns vorüber, wo sie, immer einer nach dem andern, hinter dem Grabmale ver- schwanden. Dann kamen sie über demselben auf einem Felsenpfade wieder zum Vorscheine, und man konnte von unserm Sitz aus ihren Weg verfolgen, bis derselbe oben in den hohen, dichten Wald verlief.
Jetzt mußte ich mit Ali Bey gehen, um das Mahl einzunehmen. Nach demselben trat der Baschi-Bozuk zu mir.
"Herr, ich muß dir etwas sagen!"
"Was?"
"Uns droht eine große Gefahr!"
"Ah! Welche?"
"Ich weiß es nicht; aber diese Teufelsmänner haben mich seit einer halben Stunde mit Augen angesehen, welche ganz fürchterlich sind. Es sieht grad so aus, als ob sie mich töten wollten!"
Da der Buluk Emini seine Uniform trug, so konnte ich mir das Verhalten der von den Türken bedrohten Dschesidi sehr leicht erklären; doch war ich vollständig überzeugt, daß ihm nichts geschehen werde.
"Das ist schlimm!" meinte ich. "Wenn sie dich töten, wer wird dann den Schwanz deines Esels bedienen?"
"Herr, sie werden den Esel auch mit erstechen! Hast du nicht gesehen, daß sie die meisten Büffel und Schafe, die vorhanden sind, bereits getötet haben?"
"Dein Esel ist sicher, und du bist es auch. Ihr gehört zusammen, und man wird euch nicht auseinanderreißen."
„Werden ſie bei dem Beginne der heiligen Hand- lungen zurückgekehrt ſein?“
„Ja; das iſt ſicher.“
„So mögen ſie gehen!“
Nach einiger Zeit ſchritt ein ſehr, ſehr langer Zug von Männern, welche Tiere mit ſich führten oder ver- ſchiedene Habſeligkeiten trugen, an uns vorüber, wo ſie, immer einer nach dem andern, hinter dem Grabmale ver- ſchwanden. Dann kamen ſie über demſelben auf einem Felſenpfade wieder zum Vorſcheine, und man konnte von unſerm Sitz aus ihren Weg verfolgen, bis derſelbe oben in den hohen, dichten Wald verlief.
Jetzt mußte ich mit Ali Bey gehen, um das Mahl einzunehmen. Nach demſelben trat der Baſchi-Bozuk zu mir.
„Herr, ich muß dir etwas ſagen!“
„Was?“
„Uns droht eine große Gefahr!“
„Ah! Welche?“
„Ich weiß es nicht; aber dieſe Teufelsmänner haben mich ſeit einer halben Stunde mit Augen angeſehen, welche ganz fürchterlich ſind. Es ſieht grad ſo aus, als ob ſie mich töten wollten!“
Da der Buluk Emini ſeine Uniform trug, ſo konnte ich mir das Verhalten der von den Türken bedrohten Dſcheſidi ſehr leicht erklären; doch war ich vollſtändig überzeugt, daß ihm nichts geſchehen werde.
„Das iſt ſchlimm!“ meinte ich. „Wenn ſie dich töten, wer wird dann den Schwanz deines Eſels bedienen?“
„Herr, ſie werden den Eſel auch mit erſtechen! Haſt du nicht geſehen, daß ſie die meiſten Büffel und Schafe, die vorhanden ſind, bereits getötet haben?“
„Dein Eſel iſt ſicher, und du biſt es auch. Ihr gehört zuſammen, und man wird euch nicht auseinanderreißen.“
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0018"n="4"/><p>„Werden ſie bei dem Beginne der heiligen Hand-<lb/>
lungen zurückgekehrt ſein?“</p><lb/><p>„Ja; das iſt ſicher.“</p><lb/><p>„So mögen ſie gehen!“</p><lb/><p>Nach einiger Zeit ſchritt ein ſehr, ſehr langer Zug<lb/>
von Männern, welche Tiere mit ſich führten oder ver-<lb/>ſchiedene Habſeligkeiten trugen, an uns vorüber, wo ſie,<lb/>
immer einer nach dem andern, hinter dem Grabmale ver-<lb/>ſchwanden. Dann kamen ſie über demſelben auf einem<lb/>
Felſenpfade wieder zum Vorſcheine, und man konnte von<lb/>
unſerm Sitz aus ihren Weg verfolgen, bis derſelbe oben<lb/>
in den hohen, dichten Wald verlief.</p><lb/><p>Jetzt mußte ich mit Ali Bey gehen, um das Mahl<lb/>
einzunehmen. Nach demſelben trat der Baſchi-Bozuk zu mir.</p><lb/><p>„Herr, ich muß dir etwas ſagen!“</p><lb/><p>„Was?“</p><lb/><p>„Uns droht eine große Gefahr!“</p><lb/><p>„Ah! Welche?“</p><lb/><p>„Ich weiß es nicht; aber dieſe Teufelsmänner haben<lb/>
mich ſeit einer halben Stunde mit Augen angeſehen, welche<lb/>
ganz fürchterlich ſind. Es ſieht grad ſo aus, als ob ſie<lb/>
mich töten wollten!“</p><lb/><p>Da der Buluk Emini ſeine Uniform trug, ſo konnte<lb/>
ich mir das Verhalten der von den Türken bedrohten<lb/>
Dſcheſidi ſehr leicht erklären; doch war ich vollſtändig<lb/>
überzeugt, daß ihm nichts geſchehen werde.</p><lb/><p>„Das iſt ſchlimm!“ meinte ich. „Wenn ſie dich töten,<lb/>
wer wird dann den Schwanz deines Eſels bedienen?“</p><lb/><p>„Herr, ſie werden den Eſel auch mit erſtechen! Haſt<lb/>
du nicht geſehen, daß ſie die meiſten Büffel und Schafe,<lb/>
die vorhanden ſind, bereits getötet haben?“</p><lb/><p>„Dein Eſel iſt ſicher, und du biſt es auch. Ihr gehört<lb/>
zuſammen, und man wird euch nicht auseinanderreißen.“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[4/0018]
„Werden ſie bei dem Beginne der heiligen Hand-
lungen zurückgekehrt ſein?“
„Ja; das iſt ſicher.“
„So mögen ſie gehen!“
Nach einiger Zeit ſchritt ein ſehr, ſehr langer Zug
von Männern, welche Tiere mit ſich führten oder ver-
ſchiedene Habſeligkeiten trugen, an uns vorüber, wo ſie,
immer einer nach dem andern, hinter dem Grabmale ver-
ſchwanden. Dann kamen ſie über demſelben auf einem
Felſenpfade wieder zum Vorſcheine, und man konnte von
unſerm Sitz aus ihren Weg verfolgen, bis derſelbe oben
in den hohen, dichten Wald verlief.
Jetzt mußte ich mit Ali Bey gehen, um das Mahl
einzunehmen. Nach demſelben trat der Baſchi-Bozuk zu mir.
„Herr, ich muß dir etwas ſagen!“
„Was?“
„Uns droht eine große Gefahr!“
„Ah! Welche?“
„Ich weiß es nicht; aber dieſe Teufelsmänner haben
mich ſeit einer halben Stunde mit Augen angeſehen, welche
ganz fürchterlich ſind. Es ſieht grad ſo aus, als ob ſie
mich töten wollten!“
Da der Buluk Emini ſeine Uniform trug, ſo konnte
ich mir das Verhalten der von den Türken bedrohten
Dſcheſidi ſehr leicht erklären; doch war ich vollſtändig
überzeugt, daß ihm nichts geſchehen werde.
„Das iſt ſchlimm!“ meinte ich. „Wenn ſie dich töten,
wer wird dann den Schwanz deines Eſels bedienen?“
„Herr, ſie werden den Eſel auch mit erſtechen! Haſt
du nicht geſehen, daß ſie die meiſten Büffel und Schafe,
die vorhanden ſind, bereits getötet haben?“
„Dein Eſel iſt ſicher, und du biſt es auch. Ihr gehört
zuſammen, und man wird euch nicht auseinanderreißen.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/18>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.