"Keines von beidem. Es war Eigentum des be- rühmten Ismail Pascha und blieb seitdem herrenlos, bis ich es in Besitz nahm. Komm, ich werde dir alles zeigen!"
Dieser wackere Befehlshaber der Arnauten hatte jedenfalls großes Wohlgefallen an meinem Backschisch ge- funden. Doch war mir sein Anerbieten sehr willkommen, da ihn seine Stellung befähigte, mir über alles Nötige die gewünschte Auskunft zu geben. Wir stiegen vor dem Hause ab und traten ein. Im Flure hockte ein altes Weib, welches Zwiebeln schälte und dabei mit thränenden Augen die abgefallenen Schalen kaute. Ihrem Aussehen nach war sie entweder die Urgroßmutter des ewigen Juden, oder die von dem Tode ganz vergessene Tante von Me- thusalem.
"Höre, meine süße Mersinah, hier bringe ich dir Männer!" redete er sie in sehr liebenswürdigem Tone an.
Sie konnte uns vor Thränen nicht sehen und wischte sich daher mit der Zwiebel, die sie grad in der Hand hielt, die Augen aus, so daß das Wasser sich verdoppelte.
"Männer?" fragte sie mit einer Stimme, welche dumpf wie die Antwort eines Klopfgeistes aus dem zahnlosen Munde hervorklang.
"Ja, Männer, die in diesem Hause wohnen werden."
Sie warf die Zwiebeln von sich und sprang mit jugendlicher Schnelligkeit vom Boden auf.
"Wohnen? Hier in diesem Hause? Bist du toll, Selim Agha?"
II. 11
„Wer wohnt in dieſem Hauſe?“ fragte ich.
„Ich ſelbſt, Effendi,“ antwortete er.
„Und wem gehört es?“
„Mir.“
„Du haſt es gekauft oder gemietet?“
„Keines von beidem. Es war Eigentum des be- rühmten Ismaïl Paſcha und blieb ſeitdem herrenlos, bis ich es in Beſitz nahm. Komm, ich werde dir alles zeigen!“
Dieſer wackere Befehlshaber der Arnauten hatte jedenfalls großes Wohlgefallen an meinem Backſchiſch ge- funden. Doch war mir ſein Anerbieten ſehr willkommen, da ihn ſeine Stellung befähigte, mir über alles Nötige die gewünſchte Auskunft zu geben. Wir ſtiegen vor dem Hauſe ab und traten ein. Im Flure hockte ein altes Weib, welches Zwiebeln ſchälte und dabei mit thränenden Augen die abgefallenen Schalen kaute. Ihrem Ausſehen nach war ſie entweder die Urgroßmutter des ewigen Juden, oder die von dem Tode ganz vergeſſene Tante von Me- thuſalem.
„Höre, meine ſüße Merſinah, hier bringe ich dir Männer!“ redete er ſie in ſehr liebenswürdigem Tone an.
Sie konnte uns vor Thränen nicht ſehen und wiſchte ſich daher mit der Zwiebel, die ſie grad in der Hand hielt, die Augen aus, ſo daß das Waſſer ſich verdoppelte.
„Männer?“ fragte ſie mit einer Stimme, welche dumpf wie die Antwort eines Klopfgeiſtes aus dem zahnloſen Munde hervorklang.
„Ja, Männer, die in dieſem Hauſe wohnen werden.“
Sie warf die Zwiebeln von ſich und ſprang mit jugendlicher Schnelligkeit vom Boden auf.
„Wohnen? Hier in dieſem Hauſe? Biſt du toll, Selim Agha?“
II. 11
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„Wer wohnt in dieſem Hauſe?“ fragte ich.
„Ich ſelbſt, Effendi,“ antwortete er.
„Und wem gehört es?“
„Mir.“
„Du haſt es gekauft oder gemietet?“
„Keines von beidem. Es war Eigentum des be-
rühmten Ismaïl Paſcha und blieb ſeitdem herrenlos,
bis ich es in Beſitz nahm. Komm, ich werde dir alles
zeigen!“
Dieſer wackere Befehlshaber der Arnauten hatte
jedenfalls großes Wohlgefallen an meinem Backſchiſch ge-
funden. Doch war mir ſein Anerbieten ſehr willkommen,
da ihn ſeine Stellung befähigte, mir über alles Nötige
die gewünſchte Auskunft zu geben. Wir ſtiegen vor dem
Hauſe ab und traten ein. Im Flure hockte ein altes
Weib, welches Zwiebeln ſchälte und dabei mit thränenden
Augen die abgefallenen Schalen kaute. Ihrem Ausſehen
nach war ſie entweder die Urgroßmutter des ewigen Juden,
oder die von dem Tode ganz vergeſſene Tante von Me-
thuſalem.
„Höre, meine ſüße Merſinah, hier bringe ich dir
Männer!“ redete er ſie in ſehr liebenswürdigem Tone an.
Sie konnte uns vor Thränen nicht ſehen und wiſchte
ſich daher mit der Zwiebel, die ſie grad in der Hand
hielt, die Augen aus, ſo daß das Waſſer ſich verdoppelte.
„Männer?“ fragte ſie mit einer Stimme, welche dumpf
wie die Antwort eines Klopfgeiſtes aus dem zahnloſen
Munde hervorklang.
„Ja, Männer, die in dieſem Hauſe wohnen werden.“
Sie warf die Zwiebeln von ſich und ſprang mit
jugendlicher Schnelligkeit vom Boden auf.
„Wohnen? Hier in dieſem Hauſe? Biſt du toll,
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II. 11
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/175>, abgerufen am 27.11.2024.
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