"Willst du ihm gebieten, was er thun und lassen soll?"
"Nein; aber ich will dir gebieten, mir die Wahrheit zu sagen!"
"Wer bist du, daß du so mit mir redest? Bist du ein Ungläubiger, daß du es wagst, mit einem Hunde in den Palast des Kommandanten einzutreten?"
Er hatte recht, denn neben mir stand der Windhund und beobachtete uns mit Augen, die mir deutlich sagten, daß er nur auf meinen Wink warte, um sich auf den Tür- ken zu stürzen.
"Stelle Wachen vor das Thor," antwortete ich ihm; "dann wird niemand Zutritt erhalten, dem derselbe nicht erlaubt worden ist. In welcher Zeit kann ich mit dem Mutesselin sprechen?"
"Zur Zeit der Abenddämmerung."
"Gut. So sage ihm, daß ich kommen werde!"
"Und wenn er mich fragt, wer du bist?"
"So sagest du, ich sei ein Freund des Mutessarif von Mossul."
Er wurde verlegen; wir aber kehrten um und stiegen wieder zu Pferde, um uns eine Wohnung zu suchen. Eine solche war eigentlich sehr leicht zu finden, denn wir be- merkten, daß viele Häuser leer standen; doch konnte es nicht meine Absicht sein, heimlich von einem derselben Besitz zu ergreifen.
Indem wir so, die Gebäude musternd, dahinritten, kam uns eine riesige, martialische Gestalt entgegen. Der Mann ging breitspurig wie ein osterländischer Zwölf- spänner. Seine Samtjacke war ebenso wie seine Hose von Goldstickereien bedeckt; seine Waffen hatten keinen geringen Wert, und von dem Tschibuk, welchen er mit
„Ausgeritten.“
„Das heißt, er iſt daheim und hält ſeinen Kef!“
„Willſt du ihm gebieten, was er thun und laſſen ſoll?“
„Nein; aber ich will dir gebieten, mir die Wahrheit zu ſagen!“
„Wer biſt du, daß du ſo mit mir redeſt? Biſt du ein Ungläubiger, daß du es wagſt, mit einem Hunde in den Palaſt des Kommandanten einzutreten?“
Er hatte recht, denn neben mir ſtand der Windhund und beobachtete uns mit Augen, die mir deutlich ſagten, daß er nur auf meinen Wink warte, um ſich auf den Tür- ken zu ſtürzen.
„Stelle Wachen vor das Thor,“ antwortete ich ihm; „dann wird niemand Zutritt erhalten, dem derſelbe nicht erlaubt worden iſt. In welcher Zeit kann ich mit dem Muteſſelin ſprechen?“
„Zur Zeit der Abenddämmerung.“
„Gut. So ſage ihm, daß ich kommen werde!“
„Und wenn er mich fragt, wer du biſt?“
„So ſageſt du, ich ſei ein Freund des Muteſſarif von Moſſul.“
Er wurde verlegen; wir aber kehrten um und ſtiegen wieder zu Pferde, um uns eine Wohnung zu ſuchen. Eine ſolche war eigentlich ſehr leicht zu finden, denn wir be- merkten, daß viele Häuſer leer ſtanden; doch konnte es nicht meine Abſicht ſein, heimlich von einem derſelben Beſitz zu ergreifen.
Indem wir ſo, die Gebäude muſternd, dahinritten, kam uns eine rieſige, martialiſche Geſtalt entgegen. Der Mann ging breitſpurig wie ein oſterländiſcher Zwölf- ſpänner. Seine Samtjacke war ebenſo wie ſeine Hoſe von Goldſtickereien bedeckt; ſeine Waffen hatten keinen geringen Wert, und von dem Tſchibuk, welchen er mit
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„Ausgeritten.“
„Das heißt, er iſt daheim und hält ſeinen Kef!“
„Willſt du ihm gebieten, was er thun und laſſen ſoll?“
„Nein; aber ich will dir gebieten, mir die Wahrheit
zu ſagen!“
„Wer biſt du, daß du ſo mit mir redeſt? Biſt du
ein Ungläubiger, daß du es wagſt, mit einem Hunde in
den Palaſt des Kommandanten einzutreten?“
Er hatte recht, denn neben mir ſtand der Windhund
und beobachtete uns mit Augen, die mir deutlich ſagten,
daß er nur auf meinen Wink warte, um ſich auf den Tür-
ken zu ſtürzen.
„Stelle Wachen vor das Thor,“ antwortete ich ihm;
„dann wird niemand Zutritt erhalten, dem derſelbe nicht
erlaubt worden iſt. In welcher Zeit kann ich mit dem
Muteſſelin ſprechen?“
„Zur Zeit der Abenddämmerung.“
„Gut. So ſage ihm, daß ich kommen werde!“
„Und wenn er mich fragt, wer du biſt?“
„So ſageſt du, ich ſei ein Freund des Muteſſarif
von Moſſul.“
Er wurde verlegen; wir aber kehrten um und ſtiegen
wieder zu Pferde, um uns eine Wohnung zu ſuchen. Eine
ſolche war eigentlich ſehr leicht zu finden, denn wir be-
merkten, daß viele Häuſer leer ſtanden; doch konnte es
nicht meine Abſicht ſein, heimlich von einem derſelben
Beſitz zu ergreifen.
Indem wir ſo, die Gebäude muſternd, dahinritten,
kam uns eine rieſige, martialiſche Geſtalt entgegen. Der
Mann ging breitſpurig wie ein oſterländiſcher Zwölf-
ſpänner. Seine Samtjacke war ebenſo wie ſeine Hoſe
von Goldſtickereien bedeckt; ſeine Waffen hatten keinen
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/172>, abgerufen am 27.11.2024.
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