Auch dies war eine Bescheidenheit, welche bei den mohammedanischen Imams niemals zu finden ist. Ali Bey erhob sich und schritt von dannen. Während ich mich mit dem Khan unterhielt, bemerkte ich eine Bewegung unter den Pilgern, welche mit jeder Minute größer wurde. Die Frauen blieben an ihren Plätzen stehen, die Kinder ebenso; die Männer aber stellten sich am Bache entlang auf, und die Anführer der einzelnen Stämme, Zweige und Ortschaften bildeten einen Kreis um Ali Bey, der ihnen die Absichten des Mutessarif von Mossul bekannt machte. Dabei herrschte eine Ruhe, eine Ordnung, wie bei der Parade einer europäischen Truppe, ganz verschieden von dem lärmenden Durcheinander, welches man sonst bei orientalischen Kriegern zu sehen und zu hören gewohnt ist. Nach einiger Zeit, in welcher die Anführer den Ihrigen die Mitteilung und die Befehle des Bey überbracht hatten, ging die Versammlung ohne Unordnung wieder auseinan- der, und ein jeder begab sich an den Platz, den er vorher inne gehabt hatte.
Ali Bey kam zu uns zurück.
"Was hast du befohlen?" fragte der Khan.
Der Gefragte streckte den Arm aus und deutete auf einen Trupp von vielleicht zwanzig Männern, die den Pfad emporstiegen, auf dem wir vorhin herabgekommen waren.
"Siehe, das sind Krieger aus Airan, Hadschi Dsho und Schura Khan, welche diese Gegend sehr gut kennen. Sie gehen den Türken entgegen und werden uns von deren Kommen rechtzeitig benachrichtigen. Auch gegen Baadri hin habe ich Wachen stehen, so daß es ganz unmöglich ist, uns zu überraschen. Bis es Nacht wird, ist noch drei Stunden Zeit, und das genügt, um alles Ueberflüssige nach dem Thalde Idiz zu bringen. Die Männer werden aufbrechen, und Selek wird ihnen den Weg zeigen."
Auch dies war eine Beſcheidenheit, welche bei den mohammedaniſchen Imams niemals zu finden iſt. Ali Bey erhob ſich und ſchritt von dannen. Während ich mich mit dem Khan unterhielt, bemerkte ich eine Bewegung unter den Pilgern, welche mit jeder Minute größer wurde. Die Frauen blieben an ihren Plätzen ſtehen, die Kinder ebenſo; die Männer aber ſtellten ſich am Bache entlang auf, und die Anführer der einzelnen Stämme, Zweige und Ortſchaften bildeten einen Kreis um Ali Bey, der ihnen die Abſichten des Muteſſarif von Moſſul bekannt machte. Dabei herrſchte eine Ruhe, eine Ordnung, wie bei der Parade einer europäiſchen Truppe, ganz verſchieden von dem lärmenden Durcheinander, welches man ſonſt bei orientaliſchen Kriegern zu ſehen und zu hören gewohnt iſt. Nach einiger Zeit, in welcher die Anführer den Ihrigen die Mitteilung und die Befehle des Bey überbracht hatten, ging die Verſammlung ohne Unordnung wieder auseinan- der, und ein jeder begab ſich an den Platz, den er vorher inne gehabt hatte.
Ali Bey kam zu uns zurück.
„Was haſt du befohlen?“ fragte der Khan.
Der Gefragte ſtreckte den Arm aus und deutete auf einen Trupp von vielleicht zwanzig Männern, die den Pfad emporſtiegen, auf dem wir vorhin herabgekommen waren.
„Siehe, das ſind Krieger aus Aïran, Hadſchi Dsho und Schura Khan, welche dieſe Gegend ſehr gut kennen. Sie gehen den Türken entgegen und werden uns von deren Kommen rechtzeitig benachrichtigen. Auch gegen Baadri hin habe ich Wachen ſtehen, ſo daß es ganz unmöglich iſt, uns zu überraſchen. Bis es Nacht wird, iſt noch drei Stunden Zeit, und das genügt, um alles Ueberflüſſige nach dem Thalde Idiz zu bringen. Die Männer werden aufbrechen, und Selek wird ihnen den Weg zeigen.“
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Auch dies war eine Beſcheidenheit, welche bei den
mohammedaniſchen Imams niemals zu finden iſt. Ali
Bey erhob ſich und ſchritt von dannen. Während ich
mich mit dem Khan unterhielt, bemerkte ich eine Bewegung
unter den Pilgern, welche mit jeder Minute größer wurde.
Die Frauen blieben an ihren Plätzen ſtehen, die Kinder
ebenſo; die Männer aber ſtellten ſich am Bache entlang
auf, und die Anführer der einzelnen Stämme, Zweige
und Ortſchaften bildeten einen Kreis um Ali Bey, der
ihnen die Abſichten des Muteſſarif von Moſſul bekannt
machte. Dabei herrſchte eine Ruhe, eine Ordnung, wie
bei der Parade einer europäiſchen Truppe, ganz verſchieden
von dem lärmenden Durcheinander, welches man ſonſt bei
orientaliſchen Kriegern zu ſehen und zu hören gewohnt
iſt. Nach einiger Zeit, in welcher die Anführer den Ihrigen
die Mitteilung und die Befehle des Bey überbracht hatten,
ging die Verſammlung ohne Unordnung wieder auseinan-
der, und ein jeder begab ſich an den Platz, den er vorher
inne gehabt hatte.
Ali Bey kam zu uns zurück.
„Was haſt du befohlen?“ fragte der Khan.
Der Gefragte ſtreckte den Arm aus und deutete auf
einen Trupp von vielleicht zwanzig Männern, die den Pfad
emporſtiegen, auf dem wir vorhin herabgekommen waren.
„Siehe, das ſind Krieger aus Aïran, Hadſchi Dsho
und Schura Khan, welche dieſe Gegend ſehr gut kennen.
Sie gehen den Türken entgegen und werden uns von deren
Kommen rechtzeitig benachrichtigen. Auch gegen Baadri
hin habe ich Wachen ſtehen, ſo daß es ganz unmöglich iſt,
uns zu überraſchen. Bis es Nacht wird, iſt noch drei
Stunden Zeit, und das genügt, um alles Ueberflüſſige
nach dem Thalde Idiz zu bringen. Die Männer werden
aufbrechen, und Selek wird ihnen den Weg zeigen.“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/17>, abgerufen am 22.12.2024.
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