hatte und sich jetzt mit unter den Tänzerinnen befand, zu mir herauf. Es bestand aus gelben Glasstücken und hatte das täuschende Ansehen jenes rauchigen, halbdurch- sichtigen Bernsteines, der im Oriente so beliebt, gesucht und teuer ist. Bei einem deutschen Tabulettkrämer hätte ich dieses Armband mit fünfzig bis sechzig Pfennigen be- zahlt; hier aber richtete ich voraussichtlich eine Freude damit an, die mir bedeutend höher angerechnet wurde.
Das Mädchen kam herbei. Alle Männer hatten ge- hört, daß ich sie zu mir verlangte, und wußten, daß es sich um eine Belobigung handeln werde. Ich mußte der Höflichkeit meiner Erzieher Ehre zu machen suchen.
"Komme herbei, du lieblichste Tochter der Kurden von Missuri! Auf deinen Wangen glänzt das Licht Schefag *), und dein Antlitz ist lieblich wie der Kelch Sumbul **). Deine langen Locken duften wie der Hauch Gulilik ***), und deine Stimme klingt wie der Gesang Bulbuli +). Du bist das Kind der Gastfreundschaft, die Tochter eines Helden, und wirst die Braut eines weisen Kurden und eines tapferen Kriegers werden. Deine Hände und Füße haben mich erfreut wie der Tropfen, der den Durstigen labt. Nimm dieses Bazihn ++), und denke meiner, wenn du dich damit schmückest!"
Sie errötete vor Freude und Verlegenheit und wußte nicht was sie antworten sollte.
"Az khorbane ta, Hodia -- ich bin dein eigen +++), o Gebieter!" lispelte sie endlich.
Dies ist ein gebräuchlicher Gruß der kurdischen Frauen und Mädchen, einem vornehmen Manne gegen- über. Auch der Dorfälteste war so erfreut über die seiner Tochter gewordene Auszeichnung, daß er sogar die orien-
*) Der Morgenröte.
**) Der Hyacinthe.
***) Der Blume.
+) Der Nach- tigall.
++) Armband.
+++) Eigentlich wörtlich: "Dein Opfer".
hatte und ſich jetzt mit unter den Tänzerinnen befand, zu mir herauf. Es beſtand aus gelben Glasſtücken und hatte das täuſchende Anſehen jenes rauchigen, halbdurch- ſichtigen Bernſteines, der im Oriente ſo beliebt, geſucht und teuer iſt. Bei einem deutſchen Tabulettkrämer hätte ich dieſes Armband mit fünfzig bis ſechzig Pfennigen be- zahlt; hier aber richtete ich vorausſichtlich eine Freude damit an, die mir bedeutend höher angerechnet wurde.
Das Mädchen kam herbei. Alle Männer hatten ge- hört, daß ich ſie zu mir verlangte, und wußten, daß es ſich um eine Belobigung handeln werde. Ich mußte der Höflichkeit meiner Erzieher Ehre zu machen ſuchen.
„Komme herbei, du lieblichſte Tochter der Kurden von Miſſuri! Auf deinen Wangen glänzt das Licht Schefag *), und dein Antlitz iſt lieblich wie der Kelch Sumbul **). Deine langen Locken duften wie der Hauch Gulilik ***), und deine Stimme klingt wie der Geſang Bulbuli †). Du biſt das Kind der Gaſtfreundſchaft, die Tochter eines Helden, und wirſt die Braut eines weiſen Kurden und eines tapferen Kriegers werden. Deine Hände und Füße haben mich erfreut wie der Tropfen, der den Durſtigen labt. Nimm dieſes Bazihn ††), und denke meiner, wenn du dich damit ſchmückeſt!“
Sie errötete vor Freude und Verlegenheit und wußte nicht was ſie antworten ſollte.
„Az khorbane ta, Hodia — ich bin dein eigen †††), o Gebieter!“ liſpelte ſie endlich.
Dies iſt ein gebräuchlicher Gruß der kurdiſchen Frauen und Mädchen, einem vornehmen Manne gegen- über. Auch der Dorfälteſte war ſo erfreut über die ſeiner Tochter gewordene Auszeichnung, daß er ſogar die orien-
*) Der Morgenröte.
**) Der Hyacinthe.
***) Der Blume.
†) Der Nach- tigall.
††) Armband.
†††) Eigentlich wörtlich: „Dein Opfer“.
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hatte und ſich jetzt mit unter den Tänzerinnen befand,
zu mir herauf. Es beſtand aus gelben Glasſtücken und
hatte das täuſchende Anſehen jenes rauchigen, halbdurch-
ſichtigen Bernſteines, der im Oriente ſo beliebt, geſucht
und teuer iſt. Bei einem deutſchen Tabulettkrämer hätte
ich dieſes Armband mit fünfzig bis ſechzig Pfennigen be-
zahlt; hier aber richtete ich vorausſichtlich eine Freude
damit an, die mir bedeutend höher angerechnet wurde.
Das Mädchen kam herbei. Alle Männer hatten ge-
hört, daß ich ſie zu mir verlangte, und wußten, daß es
ſich um eine Belobigung handeln werde. Ich mußte der
Höflichkeit meiner Erzieher Ehre zu machen ſuchen.
„Komme herbei, du lieblichſte Tochter der Kurden
von Miſſuri! Auf deinen Wangen glänzt das Licht
Schefag *), und dein Antlitz iſt lieblich wie der Kelch
Sumbul **). Deine langen Locken duften wie der Hauch
Gulilik ***), und deine Stimme klingt wie der Geſang
Bulbuli †). Du biſt das Kind der Gaſtfreundſchaft, die
Tochter eines Helden, und wirſt die Braut eines weiſen
Kurden und eines tapferen Kriegers werden. Deine Hände
und Füße haben mich erfreut wie der Tropfen, der den
Durſtigen labt. Nimm dieſes Bazihn ††), und denke meiner,
wenn du dich damit ſchmückeſt!“
Sie errötete vor Freude und Verlegenheit und wußte
nicht was ſie antworten ſollte.
„Az khorbane ta, Hodia — ich bin dein eigen †††),
o Gebieter!“ liſpelte ſie endlich.
Dies iſt ein gebräuchlicher Gruß der kurdiſchen
Frauen und Mädchen, einem vornehmen Manne gegen-
über. Auch der Dorfälteſte war ſo erfreut über die ſeiner
Tochter gewordene Auszeichnung, daß er ſogar die orien-
*) Der Morgenröte.
**) Der Hyacinthe.
***) Der Blume.
†) Der Nach-
tigall.
††) Armband.
†††) Eigentlich wörtlich: „Dein Opfer“.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/152>, abgerufen am 25.11.2024.
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