"Wir werden diese Nacht in Spandareh bleiben. Du reitest voraus und trägst Sorge, daß bei meiner Ankunft alles für mich bereitet ist. Hast du mich verstanden?"
"Sehr gut, Emir!" antwortete er mit amtlicher Würde. "Ich werde eilen, und wenn du kommst, wird dich das ganze Dorf mit Jubel empfangen."
Er stieß seinem Esel die Fersen in die Seiten und trollte von dannen.
Von Cheloki bis hinüber nach Spandareh ist nicht weit, aber doch brach die Nacht bereits herein, als wir dieses große Kurdendorf erreichten. Es hat seinen Namen von der großen Anzahl von Pappeln, die dort vor- kommen; denn Spidar, Spindar und auch Spandar heißt im Kurmangdschi die Weißpappel. Wir fragten nach der Wohnung des Kiajah, erhielten aber statt einer Antwort nur grimmige Blicke.
Ich hatte meine Frage türkisch ausgesprochen; jetzt wiederholte ich sie kurdisch, indem ich nach dem Malkoe- gund, welches Dorfältester bedeutet, fragte. Dies machte die Leute augenblicklich willfähriger. Wir wurden vor ein größeres Haus geführt, wo wir abstiegen und ein- traten. In einem der Räume wurde ein sehr lautes Ge- spräch geführt, das wir sehr deutlich hören konnten. Ich blieb stehen und horchte.
"Wer bist du, du Hund, du Feigling?" rief eine zornige Stimme. "Ein Baschi-Bozuk bist du, der auf einem Esel reitet. Das ist für dich eine Ehre, für den Esel aber eine Schande; denn er trägt einen Kerl, der dümmer ist, als er. Und du kommst herbei, mich hier zu vertreiben!"
"Wer bist denn du, he?" antwortete die Stimme meines tapfern Ifra. "Du bist ein Arnaute, ein Gurgel- abschneider, ein Spitzbube! Dein Maul sieht aus wie das
„Wir werden dieſe Nacht in Spandareh bleiben. Du reiteſt voraus und trägſt Sorge, daß bei meiner Ankunft alles für mich bereitet iſt. Haſt du mich verſtanden?“
„Sehr gut, Emir!“ antwortete er mit amtlicher Würde. „Ich werde eilen, und wenn du kommſt, wird dich das ganze Dorf mit Jubel empfangen.“
Er ſtieß ſeinem Eſel die Ferſen in die Seiten und trollte von dannen.
Von Cheloki bis hinüber nach Spandareh iſt nicht weit, aber doch brach die Nacht bereits herein, als wir dieſes große Kurdendorf erreichten. Es hat ſeinen Namen von der großen Anzahl von Pappeln, die dort vor- kommen; denn Spidar, Spindar und auch Spandar heißt im Kurmangdſchi die Weißpappel. Wir fragten nach der Wohnung des Kiajah, erhielten aber ſtatt einer Antwort nur grimmige Blicke.
Ich hatte meine Frage türkiſch ausgeſprochen; jetzt wiederholte ich ſie kurdiſch, indem ich nach dem Malkoe- gund, welches Dorfälteſter bedeutet, fragte. Dies machte die Leute augenblicklich willfähriger. Wir wurden vor ein größeres Haus geführt, wo wir abſtiegen und ein- traten. In einem der Räume wurde ein ſehr lautes Ge- ſpräch geführt, das wir ſehr deutlich hören konnten. Ich blieb ſtehen und horchte.
„Wer biſt du, du Hund, du Feigling?“ rief eine zornige Stimme. „Ein Baſchi-Bozuk biſt du, der auf einem Eſel reitet. Das iſt für dich eine Ehre, für den Eſel aber eine Schande; denn er trägt einen Kerl, der dümmer iſt, als er. Und du kommſt herbei, mich hier zu vertreiben!“
„Wer biſt denn du, he?“ antwortete die Stimme meines tapfern Ifra. „Du biſt ein Arnaute, ein Gurgel- abſchneider, ein Spitzbube! Dein Maul ſieht aus wie das
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„Wir werden dieſe Nacht in Spandareh bleiben. Du
reiteſt voraus und trägſt Sorge, daß bei meiner Ankunft
alles für mich bereitet iſt. Haſt du mich verſtanden?“
„Sehr gut, Emir!“ antwortete er mit amtlicher
Würde. „Ich werde eilen, und wenn du kommſt, wird
dich das ganze Dorf mit Jubel empfangen.“
Er ſtieß ſeinem Eſel die Ferſen in die Seiten und
trollte von dannen.
Von Cheloki bis hinüber nach Spandareh iſt nicht
weit, aber doch brach die Nacht bereits herein, als wir
dieſes große Kurdendorf erreichten. Es hat ſeinen Namen
von der großen Anzahl von Pappeln, die dort vor-
kommen; denn Spidar, Spindar und auch Spandar heißt
im Kurmangdſchi die Weißpappel. Wir fragten nach der
Wohnung des Kiajah, erhielten aber ſtatt einer Antwort
nur grimmige Blicke.
Ich hatte meine Frage türkiſch ausgeſprochen; jetzt
wiederholte ich ſie kurdiſch, indem ich nach dem Malkoe-
gund, welches Dorfälteſter bedeutet, fragte. Dies machte
die Leute augenblicklich willfähriger. Wir wurden vor
ein größeres Haus geführt, wo wir abſtiegen und ein-
traten. In einem der Räume wurde ein ſehr lautes Ge-
ſpräch geführt, das wir ſehr deutlich hören konnten. Ich
blieb ſtehen und horchte.
„Wer biſt du, du Hund, du Feigling?“ rief eine
zornige Stimme. „Ein Baſchi-Bozuk biſt du, der auf
einem Eſel reitet. Das iſt für dich eine Ehre, für den
Eſel aber eine Schande; denn er trägt einen Kerl, der
dümmer iſt, als er. Und du kommſt herbei, mich hier zu
vertreiben!“
„Wer biſt denn du, he?“ antwortete die Stimme
meines tapfern Ifra. „Du biſt ein Arnaute, ein Gurgel-
abſchneider, ein Spitzbube! Dein Maul ſieht aus wie das
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/133>, abgerufen am 23.12.2024.
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