ten noch, als ich mich unter einem Baume in meinen Burnus wickelte, um den Schlaf zu suchen. Da oben stand die Urne mit den Gebeinen des "Heiligen". Dieser "Merd- es-Scheitan" war der Unterrichtetste unter allen seinen Glaubensgenossen, und dennoch hatte er den rechten Weg zur Wahrheit nicht finden können.
Wie glücklich sind jene zu preisen, deren Wiege be- reits an diesem Wege steht, und doch wie schwer wird es ihnen oft, dieses Glück zu erkennen und zu schätzen! Ich schloß die Augen, und es gelang mir endlich, einzuschla- fen; aber ich träumte von Fackelzügen und Salven, von Scheiterhaufen und Urnen, aus denen Gerippe stiegen, die mich, den Christen, mit Grinsen umtanzten. Sie wollten mich ergreifen; da aber erschien der Pir Kamek, wehrte sie von mir ab und sagte:
"Er hat ein heiliges Kitab, darinnen geschrieben steht: ,Oghuldschikler, sizi oranizde sewyn-iz -- Kindlein, liebet euch untereinander!'" -- -- --
ten noch, als ich mich unter einem Baume in meinen Burnus wickelte, um den Schlaf zu ſuchen. Da oben ſtand die Urne mit den Gebeinen des „Heiligen“. Dieſer „Merd- es-Scheïtan“ war der Unterrichtetſte unter allen ſeinen Glaubensgenoſſen, und dennoch hatte er den rechten Weg zur Wahrheit nicht finden können.
Wie glücklich ſind jene zu preiſen, deren Wiege be- reits an dieſem Wege ſteht, und doch wie ſchwer wird es ihnen oft, dieſes Glück zu erkennen und zu ſchätzen! Ich ſchloß die Augen, und es gelang mir endlich, einzuſchla- fen; aber ich träumte von Fackelzügen und Salven, von Scheiterhaufen und Urnen, aus denen Gerippe ſtiegen, die mich, den Chriſten, mit Grinſen umtanzten. Sie wollten mich ergreifen; da aber erſchien der Pir Kamek, wehrte ſie von mir ab und ſagte:
„Er hat ein heiliges Kitab, darinnen geſchrieben ſteht: ‚Oghuldſchikler, ſizi oranizde ſewyn-iz — Kindlein, liebet euch untereinander!‘“ — — —
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ten noch, als ich mich unter einem Baume in meinen
Burnus wickelte, um den Schlaf zu ſuchen. Da oben ſtand
die Urne mit den Gebeinen des „Heiligen“. Dieſer „Merd-
es-Scheïtan“ war der Unterrichtetſte unter allen ſeinen
Glaubensgenoſſen, und dennoch hatte er den rechten Weg
zur Wahrheit nicht finden können.
Wie glücklich ſind jene zu preiſen, deren Wiege be-
reits an dieſem Wege ſteht, und doch wie ſchwer wird es
ihnen oft, dieſes Glück zu erkennen und zu ſchätzen! Ich
ſchloß die Augen, und es gelang mir endlich, einzuſchla-
fen; aber ich träumte von Fackelzügen und Salven, von
Scheiterhaufen und Urnen, aus denen Gerippe ſtiegen, die
mich, den Chriſten, mit Grinſen umtanzten. Sie wollten
mich ergreifen; da aber erſchien der Pir Kamek, wehrte
ſie von mir ab und ſagte:
„Er hat ein heiliges Kitab, darinnen geſchrieben ſteht:
‚Oghuldſchikler, ſizi oranizde ſewyn-iz — Kindlein, liebet
euch untereinander!‘“ — — —
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/122>, abgerufen am 23.12.2024.
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