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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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"Erlaube, daß ich ihn dir vorlese!"

Ich las, aber nur bis zu der letzten Bemerkung,
welche meinen Verdacht so sehr erregt hatte. Doch da
fragte er:

"Ist dies alles? Steht weiter nichts da?"

"Noch zwei Zeilen. Höre sie!"

Ich las nun bis zu Ende und hielt dabei den Blick
halb auf ihn gerichtet. Nur einen kurzen Moment lang
öffneten sich seine Augen weiter als gewöhnlich, aber ich
wußte nun sicher, daß dieser Satz irgend eine uns unbe-
kannte Bedeutung habe.

"Dieser Brief gehört mir. Zeige ihn her!"

Bei diesen Worten griff er so schnell zu, daß ich
kaum Zeit behielt, meine Hand mit dem Papiere zurück-
zuziehen.

"Warum so eilig, Kaimakam?" fragte ich, ihn voll
ansehend. "Haben diese Zeilen etwas so sehr Wichtiges
zu bedeuten, daß du deine ganze Selbstbeherrschung ver-
lierst?"

"Nichts, gar nichts haben sie zu bedeuten; aber dieses
Schreiben ist doch mein!"

"Der Mutessarif hat es dem Bey gesandt, und auf
diesen allein kommt es an, ob er es dir geben oder dich
nur mit dem Inhalte bekannt machen will."

"Er hat es dir ja bereits gesagt, daß ich den Brief
erhalten soll!"

"Da dieses Papier dir so wichtig zu sein scheint,
trotzdem du seinen Inhalt bereits kennst, so wird er mir
erlauben, es zuvor einmal genau zu betrachten."

Mein Verdacht hatte sich noch mehr befestigt. An-
statt gehoben zu werden, war er bereits zu einer be-
stimmten Vermutung geworden. Ich hielt das Papier
mit seiner Fläche senkrecht zwischen das Auge und die

„Erlaube, daß ich ihn dir vorleſe!“

Ich las, aber nur bis zu der letzten Bemerkung,
welche meinen Verdacht ſo ſehr erregt hatte. Doch da
fragte er:

„Iſt dies alles? Steht weiter nichts da?“

„Noch zwei Zeilen. Höre ſie!“

Ich las nun bis zu Ende und hielt dabei den Blick
halb auf ihn gerichtet. Nur einen kurzen Moment lang
öffneten ſich ſeine Augen weiter als gewöhnlich, aber ich
wußte nun ſicher, daß dieſer Satz irgend eine uns unbe-
kannte Bedeutung habe.

„Dieſer Brief gehört mir. Zeige ihn her!“

Bei dieſen Worten griff er ſo ſchnell zu, daß ich
kaum Zeit behielt, meine Hand mit dem Papiere zurück-
zuziehen.

„Warum ſo eilig, Kaimakam?“ fragte ich, ihn voll
anſehend. „Haben dieſe Zeilen etwas ſo ſehr Wichtiges
zu bedeuten, daß du deine ganze Selbſtbeherrſchung ver-
lierſt?“

„Nichts, gar nichts haben ſie zu bedeuten; aber dieſes
Schreiben iſt doch mein!“

„Der Muteſſarif hat es dem Bey geſandt, und auf
dieſen allein kommt es an, ob er es dir geben oder dich
nur mit dem Inhalte bekannt machen will.“

„Er hat es dir ja bereits geſagt, daß ich den Brief
erhalten ſoll!“

„Da dieſes Papier dir ſo wichtig zu ſein ſcheint,
trotzdem du ſeinen Inhalt bereits kennſt, ſo wird er mir
erlauben, es zuvor einmal genau zu betrachten.“

Mein Verdacht hatte ſich noch mehr befeſtigt. An-
ſtatt gehoben zu werden, war er bereits zu einer be-
ſtimmten Vermutung geworden. Ich hielt das Papier
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[92/0106] „Erlaube, daß ich ihn dir vorleſe!“ Ich las, aber nur bis zu der letzten Bemerkung, welche meinen Verdacht ſo ſehr erregt hatte. Doch da fragte er: „Iſt dies alles? Steht weiter nichts da?“ „Noch zwei Zeilen. Höre ſie!“ Ich las nun bis zu Ende und hielt dabei den Blick halb auf ihn gerichtet. Nur einen kurzen Moment lang öffneten ſich ſeine Augen weiter als gewöhnlich, aber ich wußte nun ſicher, daß dieſer Satz irgend eine uns unbe- kannte Bedeutung habe. „Dieſer Brief gehört mir. Zeige ihn her!“ Bei dieſen Worten griff er ſo ſchnell zu, daß ich kaum Zeit behielt, meine Hand mit dem Papiere zurück- zuziehen. „Warum ſo eilig, Kaimakam?“ fragte ich, ihn voll anſehend. „Haben dieſe Zeilen etwas ſo ſehr Wichtiges zu bedeuten, daß du deine ganze Selbſtbeherrſchung ver- lierſt?“ „Nichts, gar nichts haben ſie zu bedeuten; aber dieſes Schreiben iſt doch mein!“ „Der Muteſſarif hat es dem Bey geſandt, und auf dieſen allein kommt es an, ob er es dir geben oder dich nur mit dem Inhalte bekannt machen will.“ „Er hat es dir ja bereits geſagt, daß ich den Brief erhalten ſoll!“ „Da dieſes Papier dir ſo wichtig zu ſein ſcheint, trotzdem du ſeinen Inhalt bereits kennſt, ſo wird er mir erlauben, es zuvor einmal genau zu betrachten.“ Mein Verdacht hatte ſich noch mehr befeſtigt. An- ſtatt gehoben zu werden, war er bereits zu einer be- ſtimmten Vermutung geworden. Ich hielt das Papier mit ſeiner Fläche ſenkrecht zwiſchen das Auge und die

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/106>, abgerufen am 22.11.2024.