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Mascov, Johann Jakob: Geschichte der Teutschen. Bd. 1. Leipzig, 1726.

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bis zu Anfang der Regierung Chlodovei.
Provintzen, ohne welche keine Armee einen Staat zu schützen zulänglich ist,
verlohren, musten empfinden, wie die Ungerechtigkeit ihre Erfinder endlich
selbst straffet, und die lang verachtete Seuffzer der Unterthanen rächet. Die
Begierde zum Kriege war dergestalt verschwunden, daß man vielmals fragen
möchte, wo die Römer hingekommen, die vormals einen grossen Theil der
Welt bezwungen. Viele der geschicktesten Köpffe wiedmeten sich der Kirchen:
viele wollten lieber den Reichthum ihrer Vorfahren in Ruhe verzehren. Die
Schwäche der Regierung unter Honorio und Valentinianio III., die öffteren
Abwechselungen nach des letztern Tod, die Eyffersucht der Nationen so sich
dabey geäussert, die Mißhelligkeit mit dem Griechischen Hofe, die Uneinigkeit
unter den Grossen, beförderten endlich den Fall des Käiserthums, der uns
nicht so, als man wohl vermuthen sollte, in der Historie erschrecket, weil man
ihn so lange vorher gesehen. Die Länder funden endlich selbst nachher bey
der neuen Herrschafft ihr bestes. Das äusserliche gute Ansehen der neuen
Ankömmlinge erweckte ein Vertrauen, das sich auch nachmals durch ihre
Sitten nicht betrogen fand. salvianvs sagt es den Römern unter die
Augen, daß die Teutschen in vielen Stücken Tugendhaffter wären, als sie;
und die Unterthanen es unter ihnen besser hätten, als unter der Römischen
Herrschafft, auch deswegen wünscheten, niemals wieder unter dieselbe zu
kommen5.

XLII. Wie nun die Einwohner von Jtalien, Gallien und Spanien,Und über die
Veränderun-
gen, so daher in
Europa ent-
standen.

nachdem sie mit diesen Fremden in ein Volck zusammen geschmoltzen, durch
solche Vermischung Blut und Temperament in etwas geändert; so ist es auch
in ihrer Verfassung, Gesetzen, Waffen, Sprachen, Kleidung und Sitten
geschehen. Die Römische Provintzen hatten bey den so öfftern Veränderun-
gen viele Drancksale auszustehen gehabt. Hatten grosse Verdienste bisweilen
den Weg zum Käiserlichen Thron, oder doch zu solchen Verwaltungen, de-
rer sich auch Könige nicht schämeten, den Weg bahnen können; so führten
hingegen die Teutschen ietzt die Freyheit ein, derer sich das gantze Volck zu

erfreuen
[Beginn Spaltensatz] nitatem ferre non possunt. Et quamuis ab his
ad quos confugiunt discrepent ritu, discrepent
lingua, ipso etiam, ut ita dicam, corporum at-
que induuiarum barbaricarum foedore dissentiant,
malunt tamen in barbaris pati cultum dissimilem,
quam in Romanis iniustitiam saeuientem
.
5 idem p. 95. Vbi enim, aut in quibus sunt,
nisi in Romanis tantum, haec mala? quorum in-
iustitia tanta, nisi nostra? Franci enim hoc scelus
nesciunt. Chuni ab his sceleribus immunes sunt.
Nihil horum est apud Wandalos, nihil horum
apud Gothos. Tam longe enim est, ut haec inter
Gothos barbari tolerent, ut ne Romani quidem,
qui inter eos uiuunt, ista patiantur. Itaque unum
[Spaltenumbruch] illic Romanorum omnium uotum est, ne unquam
eos necesse sit in ius transire Romanorum. Vna
& consentiens illic Romanae plebis oratio, ut li-
ceat eis uitam quam agunt agere cum barbaris.
Et miramur, si non uincuntur a nostris partibus
Gothi, cum malint apud eos esse quam apud nos
Romani. Itaque non solum transfugere ab eis ad
nos fratres nostri omnino nolunt; sed ut ad eos
confugiant; nos relinquunt. Et quidem mirari
possim quod hoc non omnes omnino facerent tribu-
tarii pauperes & egestuosi, nisi quod una tantum
causa est quare non faciunt, quia transferre illuc
resculas atque habitatiunculas suas, familiasque
non possunt
.

[Ende Spaltensatz]
§. XLII.
S s s 2

bis zu Anfang der Regierung Chlodovei.
Provintzen, ohne welche keine Armee einen Staat zu ſchuͤtzen zulaͤnglich iſt,
verlohren, muſten empfinden, wie die Ungerechtigkeit ihre Erfinder endlich
ſelbſt ſtraffet, und die lang verachtete Seuffzer der Unterthanen raͤchet. Die
Begierde zum Kriege war dergeſtalt verſchwunden, daß man vielmals fragen
moͤchte, wo die Roͤmer hingekommen, die vormals einen groſſen Theil der
Welt bezwungen. Viele der geſchickteſten Koͤpffe wiedmeten ſich der Kirchen:
viele wollten lieber den Reichthum ihrer Vorfahren in Ruhe verzehren. Die
Schwaͤche der Regierung unter Honorio und Valentinianio III., die oͤffteren
Abwechſelungen nach des letztern Tod, die Eyfferſucht der Nationen ſo ſich
dabey geaͤuſſert, die Mißhelligkeit mit dem Griechiſchen Hofe, die Uneinigkeit
unter den Groſſen, befoͤrderten endlich den Fall des Kaͤiſerthums, der uns
nicht ſo, als man wohl vermuthen ſollte, in der Hiſtorie erſchrecket, weil man
ihn ſo lange vorher geſehen. Die Laͤnder funden endlich ſelbſt nachher bey
der neuen Herrſchafft ihr beſtes. Das aͤuſſerliche gute Anſehen der neuen
Ankoͤmmlinge erweckte ein Vertrauen, das ſich auch nachmals durch ihre
Sitten nicht betrogen fand. salvianvs ſagt es den Roͤmern unter die
Augen, daß die Teutſchen in vielen Stuͤcken Tugendhaffter waͤren, als ſie;
und die Unterthanen es unter ihnen beſſer haͤtten, als unter der Roͤmiſchen
Herrſchafft, auch deswegen wuͤnſcheten, niemals wieder unter dieſelbe zu
kommen5.

XLII. Wie nun die Einwohner von Jtalien, Gallien und Spanien,Und uͤber die
Veraͤnderun-
gen, ſo daher in
Europa ent-
ſtanden.

nachdem ſie mit dieſen Fremden in ein Volck zuſammen geſchmoltzen, durch
ſolche Vermiſchung Blut und Temperament in etwas geaͤndert; ſo iſt es auch
in ihrer Verfaſſung, Geſetzen, Waffen, Sprachen, Kleidung und Sitten
geſchehen. Die Roͤmiſche Provintzen hatten bey den ſo oͤfftern Veraͤnderun-
gen viele Dranckſale auszuſtehen gehabt. Hatten groſſe Verdienſte bisweilen
den Weg zum Kaͤiſerlichen Thron, oder doch zu ſolchen Verwaltungen, de-
rer ſich auch Koͤnige nicht ſchaͤmeten, den Weg bahnen koͤnnen; ſo fuͤhrten
hingegen die Teutſchen ietzt die Freyheit ein, derer ſich das gantze Volck zu

erfreuen
[Beginn Spaltensatz] nitatem ferre non poſſunt. Et quamuis ab his
ad quos confugiunt diſcrepent ritu, diſcrepent
lingua, ipſo etiam, ut ita dicam, corporum at-
que induuiarum barbaricarum foedore diſſentiant,
malunt tamen in barbaris pati cultum diſſimilem,
quam in Romanis iniuſtitiam ſaeuientem
.
5 idem p. 95. Vbi enim, aut in quibus ſunt,
niſi in Romanis tantum, haec mala? quorum in-
iuſtitia tanta, niſi noſtra? Franci enim hoc ſcelus
neſciunt. Chuni ab his ſceleribus immunes ſunt.
Nihil horum eſt apud Wandalos, nihil horum
apud Gothos. Tam longe enim eſt, ut haec inter
Gothos barbari tolerent, ut ne Romani quidem,
qui inter eos uiuunt, iſta patiantur. Itaque unum
[Spaltenumbruch] illic Romanorum omnium uotum eſt, ne unquam
eos neceſſe ſit in ius tranſire Romanorum. Vna
& conſentiens illic Romanae plebis oratio, ut li-
ceat eis uitam quam agunt agere cum barbaris.
Et miramur, ſi non uincuntur a noſtris partibus
Gothi, cum malint apud eos eſſe quam apud nos
Romani. Itaque non ſolum transfugere ab eis ad
nos fratres noſtri omnino nolunt; ſed ut ad eos
confugiant; nos relinquunt. Et quidem mirari
poſſim quod hoc non omnes omnino facerent tribu-
tarii pauperes & egeſtuoſi, niſi quod una tantum
cauſa eſt quare non faciunt, quia transferre illuc
reſculas atque habitatiunculas ſuas, familiasque
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.

[Ende Spaltensatz]
§. XLII.
S ſ ſ 2
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[507/0541] bis zu Anfang der Regierung Chlodovei. Provintzen, ohne welche keine Armee einen Staat zu ſchuͤtzen zulaͤnglich iſt, verlohren, muſten empfinden, wie die Ungerechtigkeit ihre Erfinder endlich ſelbſt ſtraffet, und die lang verachtete Seuffzer der Unterthanen raͤchet. Die Begierde zum Kriege war dergeſtalt verſchwunden, daß man vielmals fragen moͤchte, wo die Roͤmer hingekommen, die vormals einen groſſen Theil der Welt bezwungen. Viele der geſchickteſten Koͤpffe wiedmeten ſich der Kirchen: viele wollten lieber den Reichthum ihrer Vorfahren in Ruhe verzehren. Die Schwaͤche der Regierung unter Honorio und Valentinianio III., die oͤffteren Abwechſelungen nach des letztern Tod, die Eyfferſucht der Nationen ſo ſich dabey geaͤuſſert, die Mißhelligkeit mit dem Griechiſchen Hofe, die Uneinigkeit unter den Groſſen, befoͤrderten endlich den Fall des Kaͤiſerthums, der uns nicht ſo, als man wohl vermuthen ſollte, in der Hiſtorie erſchrecket, weil man ihn ſo lange vorher geſehen. Die Laͤnder funden endlich ſelbſt nachher bey der neuen Herrſchafft ihr beſtes. Das aͤuſſerliche gute Anſehen der neuen Ankoͤmmlinge erweckte ein Vertrauen, das ſich auch nachmals durch ihre Sitten nicht betrogen fand. salvianvs ſagt es den Roͤmern unter die Augen, daß die Teutſchen in vielen Stuͤcken Tugendhaffter waͤren, als ſie 3; und die Unterthanen es unter ihnen beſſer haͤtten, als unter der Roͤmiſchen Herrſchafft 4, auch deswegen wuͤnſcheten, niemals wieder unter dieſelbe zu kommen 5. XLII. Wie nun die Einwohner von Jtalien, Gallien und Spanien, nachdem ſie mit dieſen Fremden in ein Volck zuſammen geſchmoltzen, durch ſolche Vermiſchung Blut und Temperament in etwas geaͤndert; ſo iſt es auch in ihrer Verfaſſung, Geſetzen, Waffen, Sprachen, Kleidung und Sitten geſchehen. Die Roͤmiſche Provintzen hatten bey den ſo oͤfftern Veraͤnderun- gen viele Dranckſale auszuſtehen gehabt. Hatten groſſe Verdienſte bisweilen den Weg zum Kaͤiſerlichen Thron, oder doch zu ſolchen Verwaltungen, de- rer ſich auch Koͤnige nicht ſchaͤmeten, den Weg bahnen koͤnnen; ſo fuͤhrten hingegen die Teutſchen ietzt die Freyheit ein, derer ſich das gantze Volck zu erfreuen Und uͤber die Veraͤnderun- gen, ſo daher in Europa ent- ſtanden. 3 4 nitatem ferre non poſſunt. Et quamuis ab his ad quos confugiunt diſcrepent ritu, diſcrepent lingua, ipſo etiam, ut ita dicam, corporum at- que induuiarum barbaricarum foedore diſſentiant, malunt tamen in barbaris pati cultum diſſimilem, quam in Romanis iniuſtitiam ſaeuientem. 5 idem p. 95. Vbi enim, aut in quibus ſunt, niſi in Romanis tantum, haec mala? quorum in- iuſtitia tanta, niſi noſtra? Franci enim hoc ſcelus neſciunt. Chuni ab his ſceleribus immunes ſunt. Nihil horum eſt apud Wandalos, nihil horum apud Gothos. Tam longe enim eſt, ut haec inter Gothos barbari tolerent, ut ne Romani quidem, qui inter eos uiuunt, iſta patiantur. Itaque unum illic Romanorum omnium uotum eſt, ne unquam eos neceſſe ſit in ius tranſire Romanorum. Vna & conſentiens illic Romanae plebis oratio, ut li- ceat eis uitam quam agunt agere cum barbaris. Et miramur, ſi non uincuntur a noſtris partibus Gothi, cum malint apud eos eſſe quam apud nos Romani. Itaque non ſolum transfugere ab eis ad nos fratres noſtri omnino nolunt; ſed ut ad eos confugiant; nos relinquunt. Et quidem mirari poſſim quod hoc non omnes omnino facerent tribu- tarii pauperes & egeſtuoſi, niſi quod una tantum cauſa eſt quare non faciunt, quia transferre illuc reſculas atque habitatiunculas ſuas, familiasque non poſſunt. §. XLII. S ſ ſ 2

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Zitationshilfe: Mascov, Johann Jakob: Geschichte der Teutschen. Bd. 1. Leipzig, 1726, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mascov_geschichte01_1726/541>, abgerufen am 25.11.2024.