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Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894.

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Ein grosser Spekulant kann für 1 oder 2 Mill. Konsols verkaufen
und so das Geld aus dem Markt nehmen. Etwas Aehnliches ist vor
ganz kurzem geschehn, "es erzeugt eine äusserst heftige Klemme." --

4967. Die Noten sind dann allerdings unproduktiv. "Aber das
ist nichts, wenn es einen grossen Zweck bewirkt; sein grosser
Zweck ist die Fondspreise zu werfen, eine Geldklemme zu schaffen,
und das zu thun, hat er vollständig in seiner Gewalt." Ein Bei-
spiel: Eines Morgens war grosse Geldnachfrage auf der Fondsbörse;
niemand kannte die Ursache; jemand bot Chapman an, dieser solle
ihm 50000 £ zu 7 % leihen. Chapman war erstaunt, sein Zins-
fuss stand viel niedriger; er griff zu. Gleich darauf kam der
Mann wieder, nahm weitre 50000 £ zu 71/2 %, dann 100000 £
zu 8 %, und wollte noch mehr haben zu 81/2 %. Da bekam aber
selbst Chapmann Angst. Es stellte sich nachher heraus, dass
plötzlich eine bedeutende Summe Geldes dem Markt entzogen
worden war. Aber, sagt Chapman, "ich habe doch eine bedeutende
Summe zu 8 % ausgeliehen; weiter zu gehn hatte ich Angst; ich
wusste nicht, was kommen würde."

Man muss nie vergessen, dass obgleich ziemlich beständig 19 bis
20 Mill. Noten angeblich in der Hand des Publikums sind, doch
einerseits der Theil dieser Noten, der wirklich cirkulirt, und andrer-
seits der, der unbeschäftigt als Reserve bei den Banken liegt,
gegeneinander beständig und bedeutend variirt. Ist diese Reserve
gross, also die wirkliche Cirkulation niedrig, so heisst das vom
Standpunkt des Geldmarkts, dass die Cirkulation voll (the circu-
lation is full, money is plentiful) ist; ist die Reserve klein, also
die wirkliche Cirkulation voll, so nennt der Geldmarkt sie niedrig;
(the circulation is low, money is scarce) nämlich der Theil hat
einen niedrigen Betrag, der unbeschäftigtes Leihkapital vorstellt.
Wirkliche, von den Phasen des industriellen Cyklus unabhängige
Expansion oder Kontraktion der Cirkulation -- sodass aber der
Betrag, den das Publikum braucht, derselbe bleibt -- findet nur
aus technischen Gründen statt, z. B. an den Zahlungsterminen der
Steuern oder der Zinsen der Staatsschuld. Bei Steuerzahlung
fliessen Noten und Gold in die Bank von England über das ge-
wöhnliche Maß, und kontrahiren faktisch die Cirkulation, ohne
Rücksicht auf das Bedürfniss für letztre. Umgekehrt wenn die
Dividenden der Staatsschuld ausgezahlt werden. Im ersten Fall
werden Anleihen bei der Bank gemacht um Cirkulationsmittel zu
erhalten. Im letztren Fall sinkt der Zinsfuss bei den Privatbanken
wegen des momentanen Wachsens ihrer Reserven. Es hat dies

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Ein grosser Spekulant kann für 1 oder 2 Mill. Konsols verkaufen
und so das Geld aus dem Markt nehmen. Etwas Aehnliches ist vor
ganz kurzem geschehn, „es erzeugt eine äusserst heftige Klemme.“ —

4967. Die Noten sind dann allerdings unproduktiv. „Aber das
ist nichts, wenn es einen grossen Zweck bewirkt; sein grosser
Zweck ist die Fondspreise zu werfen, eine Geldklemme zu schaffen,
und das zu thun, hat er vollständig in seiner Gewalt.“ Ein Bei-
spiel: Eines Morgens war grosse Geldnachfrage auf der Fondsbörse;
niemand kannte die Ursache; jemand bot Chapman an, dieser solle
ihm 50000 £ zu 7 % leihen. Chapman war erstaunt, sein Zins-
fuss stand viel niedriger; er griff zu. Gleich darauf kam der
Mann wieder, nahm weitre 50000 £ zu 7½ %, dann 100000 £
zu 8 %, und wollte noch mehr haben zu 8½ %. Da bekam aber
selbst Chapmann Angst. Es stellte sich nachher heraus, dass
plötzlich eine bedeutende Summe Geldes dem Markt entzogen
worden war. Aber, sagt Chapman, „ich habe doch eine bedeutende
Summe zu 8 % ausgeliehen; weiter zu gehn hatte ich Angst; ich
wusste nicht, was kommen würde.“

Man muss nie vergessen, dass obgleich ziemlich beständig 19 bis
20 Mill. Noten angeblich in der Hand des Publikums sind, doch
einerseits der Theil dieser Noten, der wirklich cirkulirt, und andrer-
seits der, der unbeschäftigt als Reserve bei den Banken liegt,
gegeneinander beständig und bedeutend variirt. Ist diese Reserve
gross, also die wirkliche Cirkulation niedrig, so heisst das vom
Standpunkt des Geldmarkts, dass die Cirkulation voll (the circu-
lation is full, money is plentiful) ist; ist die Reserve klein, also
die wirkliche Cirkulation voll, so nennt der Geldmarkt sie niedrig;
(the circulation is low, money is scarce) nämlich der Theil hat
einen niedrigen Betrag, der unbeschäftigtes Leihkapital vorstellt.
Wirkliche, von den Phasen des industriellen Cyklus unabhängige
Expansion oder Kontraktion der Cirkulation — sodass aber der
Betrag, den das Publikum braucht, derselbe bleibt — findet nur
aus technischen Gründen statt, z. B. an den Zahlungsterminen der
Steuern oder der Zinsen der Staatsschuld. Bei Steuerzahlung
fliessen Noten und Gold in die Bank von England über das ge-
wöhnliche Maß, und kontrahiren faktisch die Cirkulation, ohne
Rücksicht auf das Bedürfniss für letztre. Umgekehrt wenn die
Dividenden der Staatsschuld ausgezahlt werden. Im ersten Fall
werden Anleihen bei der Bank gemacht um Cirkulationsmittel zu
erhalten. Im letztren Fall sinkt der Zinsfuss bei den Privatbanken
wegen des momentanen Wachsens ihrer Reserven. Es hat dies

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[67/0076] Ein grosser Spekulant kann für 1 oder 2 Mill. Konsols verkaufen und so das Geld aus dem Markt nehmen. Etwas Aehnliches ist vor ganz kurzem geschehn, „es erzeugt eine äusserst heftige Klemme.“ — 4967. Die Noten sind dann allerdings unproduktiv. „Aber das ist nichts, wenn es einen grossen Zweck bewirkt; sein grosser Zweck ist die Fondspreise zu werfen, eine Geldklemme zu schaffen, und das zu thun, hat er vollständig in seiner Gewalt.“ Ein Bei- spiel: Eines Morgens war grosse Geldnachfrage auf der Fondsbörse; niemand kannte die Ursache; jemand bot Chapman an, dieser solle ihm 50000 £ zu 7 % leihen. Chapman war erstaunt, sein Zins- fuss stand viel niedriger; er griff zu. Gleich darauf kam der Mann wieder, nahm weitre 50000 £ zu 7½ %, dann 100000 £ zu 8 %, und wollte noch mehr haben zu 8½ %. Da bekam aber selbst Chapmann Angst. Es stellte sich nachher heraus, dass plötzlich eine bedeutende Summe Geldes dem Markt entzogen worden war. Aber, sagt Chapman, „ich habe doch eine bedeutende Summe zu 8 % ausgeliehen; weiter zu gehn hatte ich Angst; ich wusste nicht, was kommen würde.“ Man muss nie vergessen, dass obgleich ziemlich beständig 19 bis 20 Mill. Noten angeblich in der Hand des Publikums sind, doch einerseits der Theil dieser Noten, der wirklich cirkulirt, und andrer- seits der, der unbeschäftigt als Reserve bei den Banken liegt, gegeneinander beständig und bedeutend variirt. Ist diese Reserve gross, also die wirkliche Cirkulation niedrig, so heisst das vom Standpunkt des Geldmarkts, dass die Cirkulation voll (the circu- lation is full, money is plentiful) ist; ist die Reserve klein, also die wirkliche Cirkulation voll, so nennt der Geldmarkt sie niedrig; (the circulation is low, money is scarce) nämlich der Theil hat einen niedrigen Betrag, der unbeschäftigtes Leihkapital vorstellt. Wirkliche, von den Phasen des industriellen Cyklus unabhängige Expansion oder Kontraktion der Cirkulation — sodass aber der Betrag, den das Publikum braucht, derselbe bleibt — findet nur aus technischen Gründen statt, z. B. an den Zahlungsterminen der Steuern oder der Zinsen der Staatsschuld. Bei Steuerzahlung fliessen Noten und Gold in die Bank von England über das ge- wöhnliche Maß, und kontrahiren faktisch die Cirkulation, ohne Rücksicht auf das Bedürfniss für letztre. Umgekehrt wenn die Dividenden der Staatsschuld ausgezahlt werden. Im ersten Fall werden Anleihen bei der Bank gemacht um Cirkulationsmittel zu erhalten. Im letztren Fall sinkt der Zinsfuss bei den Privatbanken wegen des momentanen Wachsens ihrer Reserven. Es hat dies 5*

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894/76>, abgerufen am 23.11.2024.