Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

hindern. Der höhere Zinsfuss drückt dann eine künstliche Ver-
minderung der Zufuhr des Waarenkapitals aus.

Andrerseits kann die Nachfrage nach einem Artikel wachsen,
weil seine Zufuhr gewachsen ist und der Artikel unter seinem
Durchschnittspreis steht.

In diesem Fall kann die Nachfrage nach Leihkapital dieselbe
bleiben oder selbst fallen, weil mit derselben Geldsumme mehr
Waaren zu haben sind. Es könnte aber auch spekulative Vorrath-
bildung eintreten, theils zur Benutzung des günstigen Moments für
Produktionszwecke, theils in Erwartung späterer Preissteigerung.
In diesem Fall könnte die Nachfrage nach Leihkapital wachsen,
und der erhöhte Zinsfuss wäre so Ausdruck von Kapitalanlage in
überschüssiger Vorrathbildung von Elementen des produktiven Ka-
pitals. Wir betrachten hier nur die Nachfrage nach Leihkapital,
wie sie beeinflusst wird durch die Nachfrage und Zufuhr des
Waarenkapitals. Es ist schon früher auseinandergesetzt, wie der
wechselnde Stand des Reproduktionsprocesses in den Phasen des
industriellen Cyklus auf das Angebot von Leihkapital wirkt. Den
trivialen Satz, dass die Marktrate des Zinsfusses bestimmt ist durch
Zufuhr und Nachfrage von (Leih-) Kapital, wirft Overstone schlauer-
weise zusammen mit seiner eignen Annahme, wonach Leihkapital
identisch ist mit Kapital überhaupt, und sucht dadurch den
Wucherer in den einzigen Kapitalisten und sein Kapital in das
einzige Kapital zu verwandeln.

In Zeiten der Klemme ist die Nachfrage nach Leihkapital Nach-
frage nach Zahlungsmittel und weiter gar nichts; keineswegs Nach-
frage nach Geld als Kaufmittel. Der Zinsfuss kann dabei sehr hoch
gehn, einerlei ob reales Kapital -- produktives und Waarenkapital
-- im Uebermaß vorhanden oder knapp. Die Nachfrage nach
Zahlungsmitteln ist blosse Nachfrage nach Umsetzbarkeit in Geld,
soweit die Kaufleute und Producenten gute Sicherheiten bieten
können; sie ist Nachfrage nach Geldkapital, soweit dies nicht
der Fall ist, soweit also ein Vorschuss von Zahlungsmitteln ihnen
nicht nur die Geldform gibt, sondern das ihnen mangelnde
Aequivalent, in welcher Form es sei, zum Zahlen. Dies ist der
Punkt, wo beide Seiten der landläufigen Theorie bei Beurtheilung
der Krisen Recht und Unrecht haben. Die da sagen, dass bloss
Mangel an Zahlungsmitteln existirt, haben entweder bloss die Be-
sitzer von bona fide Sicherheiten im Auge, oder sind Narren, die
glauben, es sei die Pflicht und in der Macht einer Bank, durch
Papierzettel alle bankrotten Schwindler in zahlungsfähige solide

hindern. Der höhere Zinsfuss drückt dann eine künstliche Ver-
minderung der Zufuhr des Waarenkapitals aus.

Andrerseits kann die Nachfrage nach einem Artikel wachsen,
weil seine Zufuhr gewachsen ist und der Artikel unter seinem
Durchschnittspreis steht.

In diesem Fall kann die Nachfrage nach Leihkapital dieselbe
bleiben oder selbst fallen, weil mit derselben Geldsumme mehr
Waaren zu haben sind. Es könnte aber auch spekulative Vorrath-
bildung eintreten, theils zur Benutzung des günstigen Moments für
Produktionszwecke, theils in Erwartung späterer Preissteigerung.
In diesem Fall könnte die Nachfrage nach Leihkapital wachsen,
und der erhöhte Zinsfuss wäre so Ausdruck von Kapitalanlage in
überschüssiger Vorrathbildung von Elementen des produktiven Ka-
pitals. Wir betrachten hier nur die Nachfrage nach Leihkapital,
wie sie beeinflusst wird durch die Nachfrage und Zufuhr des
Waarenkapitals. Es ist schon früher auseinandergesetzt, wie der
wechselnde Stand des Reproduktionsprocesses in den Phasen des
industriellen Cyklus auf das Angebot von Leihkapital wirkt. Den
trivialen Satz, dass die Marktrate des Zinsfusses bestimmt ist durch
Zufuhr und Nachfrage von (Leih-) Kapital, wirft Overstone schlauer-
weise zusammen mit seiner eignen Annahme, wonach Leihkapital
identisch ist mit Kapital überhaupt, und sucht dadurch den
Wucherer in den einzigen Kapitalisten und sein Kapital in das
einzige Kapital zu verwandeln.

In Zeiten der Klemme ist die Nachfrage nach Leihkapital Nach-
frage nach Zahlungsmittel und weiter gar nichts; keineswegs Nach-
frage nach Geld als Kaufmittel. Der Zinsfuss kann dabei sehr hoch
gehn, einerlei ob reales Kapital — produktives und Waarenkapital
— im Uebermaß vorhanden oder knapp. Die Nachfrage nach
Zahlungsmitteln ist blosse Nachfrage nach Umsetzbarkeit in Geld,
soweit die Kaufleute und Producenten gute Sicherheiten bieten
können; sie ist Nachfrage nach Geldkapital, soweit dies nicht
der Fall ist, soweit also ein Vorschuss von Zahlungsmitteln ihnen
nicht nur die Geldform gibt, sondern das ihnen mangelnde
Aequivalent, in welcher Form es sei, zum Zahlen. Dies ist der
Punkt, wo beide Seiten der landläufigen Theorie bei Beurtheilung
der Krisen Recht und Unrecht haben. Die da sagen, dass bloss
Mangel an Zahlungsmitteln existirt, haben entweder bloss die Be-
sitzer von bona fide Sicherheiten im Auge, oder sind Narren, die
glauben, es sei die Pflicht und in der Macht einer Bank, durch
Papierzettel alle bankrotten Schwindler in zahlungsfähige solide

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0062" n="53"/>
hindern. Der höhere Zinsfuss drückt dann eine künstliche Ver-<lb/>
minderung der Zufuhr des Waarenkapitals aus.</p><lb/>
            <p>Andrerseits kann die Nachfrage nach einem Artikel wachsen,<lb/>
weil seine Zufuhr gewachsen ist und der Artikel unter seinem<lb/>
Durchschnittspreis steht.</p><lb/>
            <p>In diesem Fall kann die Nachfrage nach Leihkapital dieselbe<lb/>
bleiben oder selbst fallen, weil mit derselben Geldsumme mehr<lb/>
Waaren zu haben sind. Es könnte aber auch spekulative Vorrath-<lb/>
bildung eintreten, theils zur Benutzung des günstigen Moments für<lb/>
Produktionszwecke, theils in Erwartung späterer Preissteigerung.<lb/>
In diesem Fall könnte die Nachfrage nach Leihkapital wachsen,<lb/>
und der erhöhte Zinsfuss wäre so Ausdruck von Kapitalanlage in<lb/>
überschüssiger Vorrathbildung von Elementen des produktiven Ka-<lb/>
pitals. Wir betrachten hier nur die Nachfrage nach Leihkapital,<lb/>
wie sie beeinflusst wird durch die Nachfrage und Zufuhr des<lb/>
Waarenkapitals. Es ist schon früher auseinandergesetzt, wie der<lb/>
wechselnde Stand des Reproduktionsprocesses in den Phasen des<lb/>
industriellen Cyklus auf das Angebot von Leihkapital wirkt. Den<lb/>
trivialen Satz, dass die Marktrate des Zinsfusses bestimmt ist durch<lb/>
Zufuhr und Nachfrage von (Leih-) Kapital, wirft Overstone schlauer-<lb/>
weise zusammen mit seiner eignen Annahme, wonach Leihkapital<lb/>
identisch ist mit Kapital überhaupt, und sucht dadurch den<lb/>
Wucherer in den einzigen Kapitalisten und sein Kapital in das<lb/>
einzige Kapital zu verwandeln.</p><lb/>
            <p>In Zeiten der Klemme ist die Nachfrage nach Leihkapital Nach-<lb/>
frage nach Zahlungsmittel und weiter gar nichts; keineswegs Nach-<lb/>
frage nach Geld als Kaufmittel. Der Zinsfuss kann dabei sehr hoch<lb/>
gehn, einerlei ob reales Kapital &#x2014; produktives und Waarenkapital<lb/>
&#x2014; im Uebermaß vorhanden oder knapp. Die Nachfrage nach<lb/>
Zahlungsmitteln ist blosse Nachfrage nach Umsetzbarkeit in <hi rendition="#g">Geld</hi>,<lb/>
soweit die Kaufleute und Producenten gute Sicherheiten bieten<lb/>
können; sie ist Nachfrage nach <hi rendition="#g">Geldkapital</hi>, soweit dies nicht<lb/>
der Fall ist, soweit also ein Vorschuss von Zahlungsmitteln ihnen<lb/>
nicht nur die <hi rendition="#g">Geldform</hi> gibt, sondern das ihnen mangelnde<lb/><hi rendition="#g">Aequivalent</hi>, in welcher Form es sei, zum Zahlen. Dies ist der<lb/>
Punkt, wo beide Seiten der landläufigen Theorie bei Beurtheilung<lb/>
der Krisen Recht und Unrecht haben. Die da sagen, dass bloss<lb/>
Mangel an Zahlungsmitteln existirt, haben entweder bloss die Be-<lb/>
sitzer von bona fide Sicherheiten im Auge, oder sind Narren, die<lb/>
glauben, es sei die Pflicht und in der Macht einer Bank, durch<lb/>
Papierzettel alle bankrotten Schwindler in zahlungsfähige solide<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0062] hindern. Der höhere Zinsfuss drückt dann eine künstliche Ver- minderung der Zufuhr des Waarenkapitals aus. Andrerseits kann die Nachfrage nach einem Artikel wachsen, weil seine Zufuhr gewachsen ist und der Artikel unter seinem Durchschnittspreis steht. In diesem Fall kann die Nachfrage nach Leihkapital dieselbe bleiben oder selbst fallen, weil mit derselben Geldsumme mehr Waaren zu haben sind. Es könnte aber auch spekulative Vorrath- bildung eintreten, theils zur Benutzung des günstigen Moments für Produktionszwecke, theils in Erwartung späterer Preissteigerung. In diesem Fall könnte die Nachfrage nach Leihkapital wachsen, und der erhöhte Zinsfuss wäre so Ausdruck von Kapitalanlage in überschüssiger Vorrathbildung von Elementen des produktiven Ka- pitals. Wir betrachten hier nur die Nachfrage nach Leihkapital, wie sie beeinflusst wird durch die Nachfrage und Zufuhr des Waarenkapitals. Es ist schon früher auseinandergesetzt, wie der wechselnde Stand des Reproduktionsprocesses in den Phasen des industriellen Cyklus auf das Angebot von Leihkapital wirkt. Den trivialen Satz, dass die Marktrate des Zinsfusses bestimmt ist durch Zufuhr und Nachfrage von (Leih-) Kapital, wirft Overstone schlauer- weise zusammen mit seiner eignen Annahme, wonach Leihkapital identisch ist mit Kapital überhaupt, und sucht dadurch den Wucherer in den einzigen Kapitalisten und sein Kapital in das einzige Kapital zu verwandeln. In Zeiten der Klemme ist die Nachfrage nach Leihkapital Nach- frage nach Zahlungsmittel und weiter gar nichts; keineswegs Nach- frage nach Geld als Kaufmittel. Der Zinsfuss kann dabei sehr hoch gehn, einerlei ob reales Kapital — produktives und Waarenkapital — im Uebermaß vorhanden oder knapp. Die Nachfrage nach Zahlungsmitteln ist blosse Nachfrage nach Umsetzbarkeit in Geld, soweit die Kaufleute und Producenten gute Sicherheiten bieten können; sie ist Nachfrage nach Geldkapital, soweit dies nicht der Fall ist, soweit also ein Vorschuss von Zahlungsmitteln ihnen nicht nur die Geldform gibt, sondern das ihnen mangelnde Aequivalent, in welcher Form es sei, zum Zahlen. Dies ist der Punkt, wo beide Seiten der landläufigen Theorie bei Beurtheilung der Krisen Recht und Unrecht haben. Die da sagen, dass bloss Mangel an Zahlungsmitteln existirt, haben entweder bloss die Be- sitzer von bona fide Sicherheiten im Auge, oder sind Narren, die glauben, es sei die Pflicht und in der Macht einer Bank, durch Papierzettel alle bankrotten Schwindler in zahlungsfähige solide

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894/62
Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894/62>, abgerufen am 22.11.2024.