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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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modernen Industrie, die Form eines durch kleinere Schwankungen unter-
brochnen zehnjährigen Cyklus von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Pro-
duktion unter Hochdruck, Krise und Stagnation, beruht auf der bestän-
digen Bildung, grösseren oder geringeren Absorption, und Wiederbildung
der industriellen Reservearmee oder Surpluspopulation. Ihrerseits rekru-
tiren die Wechselfälle des industriellen Cyklus die Surpluspopulation und
werden zu einem ihrer energischsten Reproduktionsagentien. Dieser
eigenthümliche Lebenslauf der modernen Industrie, der uns in keinem
früheren Zeitalter der Menschheit begegnet, war auch in der Kindheits-
periode der kapitalistischen Produktion unmöglich. Die Zusammensetzung
des Kapitals veränderte sich nur sehr allmälig. Seiner Accumulation ent-
sprach also im Ganzen verhältnissmässiges Wachsthum der Arbeitsnach-
frage. Langsam wie der Fortschritt seiner Accumulation, verglichen mit
der modernen Epoche, stiess er auf Naturschranken der exploitablen Arbei-
terbevölkerung, welche nur durch später zu erwähnende Gewaltmittel weg-
räumbar war. Die plötzliche und ruckweise Expansion der Produktionsleiter
ist die Voraussetzung ihrer plötzlichen Kontraktion; letztere ruft wieder
die erstere hervor, aber die erstere ist unmöglich ohne disponibles Men-
schenmaterial, ohne eine vom absoluten Wachsthum der Bevölkerung unab-
hängige Vermehrung von Arbeitern. Sie wird geschaffen durch
den einfachen Prozess, der einen Theil der Arbeiter beständig "freisetzt",
durch Methoden, welche die Anzahl der beschäftigten Arbeiter im Verhält-
niss zur vermehrten Produktion vermindern. Die ganze Bewegungsform
der modernen Industrie erwächst also aus der beständigen Verwandlung
eines Theils der Arbeiterbevölkerung in unbeschäftigte oder halbbeschäf-
tigte Hände. Die Oberflächlichkeit der politischen Oekonomie zeigt sich
u. a. darin, dass sie die Expansion und Kontraktion des Kredits, das
blosse Symptom der Wechselperioden des industriellen Cyklus, zu deren
Ursache macht. Ganz wie die Himmelskörper, sobald sie durch ersten
Stoss in eine bestimmte Bewegung geschleudert sind, dieselbe Bewegung
stets reproduciren, so die gesellschaftliche Produktion, sobald sie einmal
in jene Bewegung wechselnder Expansion und Kontraktion geworfen ist.
Wirkungen werden ihrerseits zu Ursachen und die Wechselfälle des ganzen
Prozesses, der seine eignen Bedingungen stets reproducirt, nehmen die
Form der Periodicität an. Ist letztere einmal konsolidirt, so begreift
selbst die politische Oekonomie die Produktion einer relativen, d. h. für

modernen Industrie, die Form eines durch kleinere Schwankungen unter-
brochnen zehnjährigen Cyklus von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Pro-
duktion unter Hochdruck, Krise und Stagnation, beruht auf der bestän-
digen Bildung, grösseren oder geringeren Absorption, und Wiederbildung
der industriellen Reservearmee oder Surpluspopulation. Ihrerseits rekru-
tiren die Wechselfälle des industriellen Cyklus die Surpluspopulation und
werden zu einem ihrer energischsten Reproduktionsagentien. Dieser
eigenthümliche Lebenslauf der modernen Industrie, der uns in keinem
früheren Zeitalter der Menschheit begegnet, war auch in der Kindheits-
periode der kapitalistischen Produktion unmöglich. Die Zusammensetzung
des Kapitals veränderte sich nur sehr allmälig. Seiner Accumulation ent-
sprach also im Ganzen verhältnissmässiges Wachsthum der Arbeitsnach-
frage. Langsam wie der Fortschritt seiner Accumulation, verglichen mit
der modernen Epoche, stiess er auf Naturschranken der exploitablen Arbei-
terbevölkerung, welche nur durch später zu erwähnende Gewaltmittel weg-
räumbar war. Die plötzliche und ruckweise Expansion der Produktionsleiter
ist die Voraussetzung ihrer plötzlichen Kontraktion; letztere ruft wieder
die erstere hervor, aber die erstere ist unmöglich ohne disponibles Men-
schenmaterial, ohne eine vom absoluten Wachsthum der Bevölkerung unab-
hängige Vermehrung von Arbeitern. Sie wird geschaffen durch
den einfachen Prozess, der einen Theil der Arbeiter beständig „freisetzt“,
durch Methoden, welche die Anzahl der beschäftigten Arbeiter im Verhält-
niss zur vermehrten Produktion vermindern. Die ganze Bewegungsform
der modernen Industrie erwächst also aus der beständigen Verwandlung
eines Theils der Arbeiterbevölkerung in unbeschäftigte oder halbbeschäf-
tigte Hände. Die Oberflächlichkeit der politischen Oekonomie zeigt sich
u. a. darin, dass sie die Expansion und Kontraktion des Kredits, das
blosse Symptom der Wechselperioden des industriellen Cyklus, zu deren
Ursache macht. Ganz wie die Himmelskörper, sobald sie durch ersten
Stoss in eine bestimmte Bewegung geschleudert sind, dieselbe Bewegung
stets reproduciren, so die gesellschaftliche Produktion, sobald sie einmal
in jene Bewegung wechselnder Expansion und Kontraktion geworfen ist.
Wirkungen werden ihrerseits zu Ursachen und die Wechselfälle des ganzen
Prozesses, der seine eignen Bedingungen stets reproducirt, nehmen die
Form der Periodicität an. Ist letztere einmal konsolidirt, so begreift
selbst die politische Oekonomie die Produktion einer relativen, d. h. für

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[619/0638] modernen Industrie, die Form eines durch kleinere Schwankungen unter- brochnen zehnjährigen Cyklus von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Pro- duktion unter Hochdruck, Krise und Stagnation, beruht auf der bestän- digen Bildung, grösseren oder geringeren Absorption, und Wiederbildung der industriellen Reservearmee oder Surpluspopulation. Ihrerseits rekru- tiren die Wechselfälle des industriellen Cyklus die Surpluspopulation und werden zu einem ihrer energischsten Reproduktionsagentien. Dieser eigenthümliche Lebenslauf der modernen Industrie, der uns in keinem früheren Zeitalter der Menschheit begegnet, war auch in der Kindheits- periode der kapitalistischen Produktion unmöglich. Die Zusammensetzung des Kapitals veränderte sich nur sehr allmälig. Seiner Accumulation ent- sprach also im Ganzen verhältnissmässiges Wachsthum der Arbeitsnach- frage. Langsam wie der Fortschritt seiner Accumulation, verglichen mit der modernen Epoche, stiess er auf Naturschranken der exploitablen Arbei- terbevölkerung, welche nur durch später zu erwähnende Gewaltmittel weg- räumbar war. Die plötzliche und ruckweise Expansion der Produktionsleiter ist die Voraussetzung ihrer plötzlichen Kontraktion; letztere ruft wieder die erstere hervor, aber die erstere ist unmöglich ohne disponibles Men- schenmaterial, ohne eine vom absoluten Wachsthum der Bevölkerung unab- hängige Vermehrung von Arbeitern. Sie wird geschaffen durch den einfachen Prozess, der einen Theil der Arbeiter beständig „freisetzt“, durch Methoden, welche die Anzahl der beschäftigten Arbeiter im Verhält- niss zur vermehrten Produktion vermindern. Die ganze Bewegungsform der modernen Industrie erwächst also aus der beständigen Verwandlung eines Theils der Arbeiterbevölkerung in unbeschäftigte oder halbbeschäf- tigte Hände. Die Oberflächlichkeit der politischen Oekonomie zeigt sich u. a. darin, dass sie die Expansion und Kontraktion des Kredits, das blosse Symptom der Wechselperioden des industriellen Cyklus, zu deren Ursache macht. Ganz wie die Himmelskörper, sobald sie durch ersten Stoss in eine bestimmte Bewegung geschleudert sind, dieselbe Bewegung stets reproduciren, so die gesellschaftliche Produktion, sobald sie einmal in jene Bewegung wechselnder Expansion und Kontraktion geworfen ist. Wirkungen werden ihrerseits zu Ursachen und die Wechselfälle des ganzen Prozesses, der seine eignen Bedingungen stets reproducirt, nehmen die Form der Periodicität an. Ist letztere einmal konsolidirt, so begreift selbst die politische Oekonomie die Produktion einer relativen, d. h. für

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/638>, abgerufen am 26.11.2024.