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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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gehabt werden, so wären Arbeitslöhne überflüssig"49). Wenn
aber die Arbeiter von der Luft leben könnten, so wären sie auch um
keinen Preis zu kaufen. Ihr Nichtskosten ist also eine Grenze
im mathematischen Sinn, stets unerreichbar, obgleich stets annäher-
bar. Es ist die beständige Tendenz des Kapitals sie auf diesen
nihilistischen Standpunkt herabzudrücken. Ein oft von mir citir-
ter Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, der Verfasser des "Essay
on Trade and Commerce
", verräth nur das innerste Seelenge-
heimniss des englischen Kapitals, wenn er es für die historische
Lebensaufgabe Englands
erklärt, den englischen Arbeitslohn auf
das französische und holländische Niveau herabzudrücken50). Er sagt
u. a. naiv: "Wenn aber unsre Armen (Kunstausdruck für Arbeiter)
luxuriös leben wollen ... muss ihre Arbeit natürlich theuer sein.
... Man betrachte nur die haarsträubende Masse von Ueber-
flüssigkeiten
("heap of superfluities"), die unsre Manufakturarbeiter
verzehren, als da sind Branntwein, Gin, Thee, Zucker, fremde Früchte,
starkes Bier, gedruckte Leinwand, Schnupf- und Rauchtabak u. s. w."51).
Er citirt die Schrift eines Fabrikanten von Northamptonshire, der mit him-
melwärts schielendem Blick jammert: "Arbeitist ein ganzes Drit-
theil wohlfeiler
in Frankreich als in England: denn die franzö-
sischen Armen arbeiten hart und fahren hart an Nahrung und Kleidung
und ihr Hauptkonsum sind Brod, Früchte, Kräuter, Wurzeln und getrock-
neter Fisch; denn sie essen sehr selten Fleisch, und wenn der Weizen
theuer ist, sehr wenig Brod"52). "Wozu," fährt der Essay man fort,

49) J. St. Mill: "Essays on some unsettled Questions of Polit.
Economy. Lond
. 1844", p. 90.
50) "An Essay on Trade and Commerce. Lond. 1770", p. 44.
Aehnlich brachte die Times vom December 1866 und Januar 1867 Herzenser-
giessungen englischer Minenbesitzer, worin der glückliche Zustand der belgi-
schen
Minenarbeiter geschildert ward, die nicht mehr verlangten und nicht mehr
erhielten, als strikt nöthig, um für ihre "masters" zu leben. Die belgischen Ar-
beiter dulden viel, aber als Musterarbeiter in der Times zu figuriren! Anfang
Februar 1867 antwortete der mit Pulver und Blei unterdrückte Strike der belgischen
Minenarbeiter (bei Marchienne).
51) l. c. p. 46.
52) Der Fabrikant von Northamptonshire begeht eine im Herzensdrang ent-
schuldbare pia fraus. Er vergleicht angeblich das Leben englischer und französi-

gehabt werden, so wären Arbeitslöhne überflüssig“49). Wenn
aber die Arbeiter von der Luft leben könnten, so wären sie auch um
keinen Preis zu kaufen. Ihr Nichtskosten ist also eine Grenze
im mathematischen Sinn, stets unerreichbar, obgleich stets annäher-
bar. Es ist die beständige Tendenz des Kapitals sie auf diesen
nihilistischen Standpunkt herabzudrücken. Ein oft von mir citir-
ter Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, der Verfasser des „Essay
on Trade and Commerce
“, verräth nur das innerste Seelenge-
heimniss des englischen Kapitals, wenn er es für die historische
Lebensaufgabe Englands
erklärt, den englischen Arbeitslohn auf
das französische und holländische Niveau herabzudrücken50). Er sagt
u. a. naiv: „Wenn aber unsre Armen (Kunstausdruck für Arbeiter)
luxuriös leben wollen … muss ihre Arbeit natürlich theuer sein.
… Man betrachte nur die haarsträubende Masse von Ueber-
flüssigkeiten
(„heap of superfluities“), die unsre Manufakturarbeiter
verzehren, als da sind Branntwein, Gin, Thee, Zucker, fremde Früchte,
starkes Bier, gedruckte Leinwand, Schnupf- und Rauchtabak u. s. w.“51).
Er citirt die Schrift eines Fabrikanten von Northamptonshire, der mit him-
melwärts schielendem Blick jammert: „Arbeitist ein ganzes Drit-
theil wohlfeiler
in Frankreich als in England: denn die franzö-
sischen Armen arbeiten hart und fahren hart an Nahrung und Kleidung
und ihr Hauptkonsum sind Brod, Früchte, Kräuter, Wurzeln und getrock-
neter Fisch; denn sie essen sehr selten Fleisch, und wenn der Weizen
theuer ist, sehr wenig Brod“52). „Wozu,“ fährt der Essay man fort,

49) J. St. Mill: „Essays on some unsettled Questions of Polit.
Economy. Lond
. 1844“, p. 90.
50)An Essay on Trade and Commerce. Lond. 1770“, p. 44.
Aehnlich brachte die Times vom December 1866 und Januar 1867 Herzenser-
giessungen englischer Minenbesitzer, worin der glückliche Zustand der belgi-
schen
Minenarbeiter geschildert ward, die nicht mehr verlangten und nicht mehr
erhielten, als strikt nöthig, um für ihre „masters“ zu leben. Die belgischen Ar-
beiter dulden viel, aber als Musterarbeiter in der Times zu figuriren! Anfang
Februar 1867 antwortete der mit Pulver und Blei unterdrückte Strike der belgischen
Minenarbeiter (bei Marchienne).
51) l. c. p. 46.
52) Der Fabrikant von Northamptonshire begeht eine im Herzensdrang ent-
schuldbare pia fraus. Er vergleicht angeblich das Leben englischer und französi-
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[586/0605] gehabt werden, so wären Arbeitslöhne überflüssig“ 49). Wenn aber die Arbeiter von der Luft leben könnten, so wären sie auch um keinen Preis zu kaufen. Ihr Nichtskosten ist also eine Grenze im mathematischen Sinn, stets unerreichbar, obgleich stets annäher- bar. Es ist die beständige Tendenz des Kapitals sie auf diesen nihilistischen Standpunkt herabzudrücken. Ein oft von mir citir- ter Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, der Verfasser des „Essay on Trade and Commerce“, verräth nur das innerste Seelenge- heimniss des englischen Kapitals, wenn er es für die historische Lebensaufgabe Englands erklärt, den englischen Arbeitslohn auf das französische und holländische Niveau herabzudrücken 50). Er sagt u. a. naiv: „Wenn aber unsre Armen (Kunstausdruck für Arbeiter) luxuriös leben wollen … muss ihre Arbeit natürlich theuer sein. … Man betrachte nur die haarsträubende Masse von Ueber- flüssigkeiten („heap of superfluities“), die unsre Manufakturarbeiter verzehren, als da sind Branntwein, Gin, Thee, Zucker, fremde Früchte, starkes Bier, gedruckte Leinwand, Schnupf- und Rauchtabak u. s. w.“ 51). Er citirt die Schrift eines Fabrikanten von Northamptonshire, der mit him- melwärts schielendem Blick jammert: „Arbeitist ein ganzes Drit- theil wohlfeiler in Frankreich als in England: denn die franzö- sischen Armen arbeiten hart und fahren hart an Nahrung und Kleidung und ihr Hauptkonsum sind Brod, Früchte, Kräuter, Wurzeln und getrock- neter Fisch; denn sie essen sehr selten Fleisch, und wenn der Weizen theuer ist, sehr wenig Brod“ 52). „Wozu,“ fährt der Essay man fort, 49) J. St. Mill: „Essays on some unsettled Questions of Polit. Economy. Lond. 1844“, p. 90. 50) „An Essay on Trade and Commerce. Lond. 1770“, p. 44. Aehnlich brachte die Times vom December 1866 und Januar 1867 Herzenser- giessungen englischer Minenbesitzer, worin der glückliche Zustand der belgi- schen Minenarbeiter geschildert ward, die nicht mehr verlangten und nicht mehr erhielten, als strikt nöthig, um für ihre „masters“ zu leben. Die belgischen Ar- beiter dulden viel, aber als Musterarbeiter in der Times zu figuriren! Anfang Februar 1867 antwortete der mit Pulver und Blei unterdrückte Strike der belgischen Minenarbeiter (bei Marchienne). 51) l. c. p. 46. 52) Der Fabrikant von Northamptonshire begeht eine im Herzensdrang ent- schuldbare pia fraus. Er vergleicht angeblich das Leben englischer und französi-

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/605>, abgerufen am 23.11.2024.