Manufakturen liessen jedoch neben sich den zerstreuten handwerksmässigen und Hausbetrieb als breite Grundlage fortbestehn. Die grosse Produktion von Mehrwerth in diesen Arbeitszweigen, zugleich mit der progressiven Verwohlfeilerung ihrer Artikel, war und ist hauptsächlich geschuldet dem Minimum des zu kümmerlicher Vegetation nöthigen Arbeitslohns, verbun- den mit dem Maximum menschenmöglicher Arbeitszeit. Es war eben die Wohlfeilheit des in Waare verwandelten Menschenschweisses und Menschen- bluts, welche den Absatzmarkt beständig erweiterte und täglich erweitert, für England namentlich auch den Kolonialmarkt, wo überdem englische Gewohnheit und Geschmack vorherrschen. Endlich trat ein Knotenpunkt ein. Die Grundlage der alten Methode, bloss brutale Ausbeutung des Ar- beitermaterials, mehr oder minder begleitet von systematisch entwickelter Arbeitstheilung, genügte dem wachsenden Markt und der noch rascher wachsenden Konkurrenz der Kapitalisten nicht länger. Die Stunde der Maschinerie schlug. Die entscheidend revolutionäre Maschine, welche die sämmtlichen zahllosen Zweige dieser Produktionssphäre, wie Putzmacherei, Schneiderei, Schusterei, Nätherei, Hutmacherei u. s. w. gleichmässig ergreift, ist die -- Nähmaschine.
Ihre unmittelbare Wirkung auf die Arbeiter ist ungefähr die aller Maschinerie, welche in der Periode der grossen Industrie neue Geschäfts- zweige erobert. Kinder im unreifsten Alter werden entfernt. Der Lohn der Maschinenarbeiter steigt verhältnissmässig zu dem der Hausar- beiter, wovon viele zu "den Aermsten der Armen" ("the poorest of the poor") gehören. Der Lohn der besser gestellten Handwerker, mit denen die Maschine konkurrirt, sinkt. Die neuen Maschinenarbeiter sind aus- schliesslich Mädchen und junge Frauen. Mit Hilfe der mechanischen Kraft vernichten sie das Monopol der männlichen Arbeit in schwererem Werk und verjagen aus leichterem Massen alter Weiber und unreifer Kinder. Die übermächtige Konkurrenz erschlägt die schwächsten Hand- arbeiter. Das gräuliche Wachsthum des Hungertods (death from starvation) in London während des letzten Decenniums läuft parallel mit der Ausdehnung der Maschinennäherei267). Die neuen Arbeiterinnen
267) Ein Beispiel. Am 26. Februar 1864 enthält der wöchentliche Sterblich- keitsbericht des Registrar General 5 Fälle von Hungertod. Am selben Tag berichtet die Times einen neuen Fall von Hungertod. Sechs Opfer des Hunger- tods in einer Woche!
Manufakturen liessen jedoch neben sich den zerstreuten handwerksmässigen und Hausbetrieb als breite Grundlage fortbestehn. Die grosse Produktion von Mehrwerth in diesen Arbeitszweigen, zugleich mit der progressiven Verwohlfeilerung ihrer Artikel, war und ist hauptsächlich geschuldet dem Minimum des zu kümmerlicher Vegetation nöthigen Arbeitslohns, verbun- den mit dem Maximum menschenmöglicher Arbeitszeit. Es war eben die Wohlfeilheit des in Waare verwandelten Menschenschweisses und Menschen- bluts, welche den Absatzmarkt beständig erweiterte und täglich erweitert, für England namentlich auch den Kolonialmarkt, wo überdem englische Gewohnheit und Geschmack vorherrschen. Endlich trat ein Knotenpunkt ein. Die Grundlage der alten Methode, bloss brutale Ausbeutung des Ar- beitermaterials, mehr oder minder begleitet von systematisch entwickelter Arbeitstheilung, genügte dem wachsenden Markt und der noch rascher wachsenden Konkurrenz der Kapitalisten nicht länger. Die Stunde der Maschinerie schlug. Die entscheidend revolutionäre Maschine, welche die sämmtlichen zahllosen Zweige dieser Produktionssphäre, wie Putzmacherei, Schneiderei, Schusterei, Nätherei, Hutmacherei u. s. w. gleichmässig ergreift, ist die — Nähmaschine.
Ihre unmittelbare Wirkung auf die Arbeiter ist ungefähr die aller Maschinerie, welche in der Periode der grossen Industrie neue Geschäfts- zweige erobert. Kinder im unreifsten Alter werden entfernt. Der Lohn der Maschinenarbeiter steigt verhältnissmässig zu dem der Hausar- beiter, wovon viele zu „den Aermsten der Armen“ („the poorest of the poor“) gehören. Der Lohn der besser gestellten Handwerker, mit denen die Maschine konkurrirt, sinkt. Die neuen Maschinenarbeiter sind aus- schliesslich Mädchen und junge Frauen. Mit Hilfe der mechanischen Kraft vernichten sie das Monopol der männlichen Arbeit in schwererem Werk und verjagen aus leichterem Massen alter Weiber und unreifer Kinder. Die übermächtige Konkurrenz erschlägt die schwächsten Hand- arbeiter. Das gräuliche Wachsthum des Hungertods (death from starvation) in London während des letzten Decenniums läuft parallel mit der Ausdehnung der Maschinennäherei267). Die neuen Arbeiterinnen
267) Ein Beispiel. Am 26. Februar 1864 enthält der wöchentliche Sterblich- keitsbericht des Registrar General 5 Fälle von Hungertod. Am selben Tag berichtet die Times einen neuen Fall von Hungertod. Sechs Opfer des Hunger- tods in einer Woche!
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0482"n="463"/>
Manufakturen liessen jedoch neben sich den zerstreuten handwerksmässigen<lb/>
und Hausbetrieb als breite Grundlage fortbestehn. Die grosse Produktion<lb/>
von Mehrwerth in diesen Arbeitszweigen, zugleich mit der progressiven<lb/>
Verwohlfeilerung ihrer Artikel, war und ist hauptsächlich geschuldet dem<lb/>
Minimum des zu kümmerlicher Vegetation nöthigen Arbeitslohns, verbun-<lb/>
den mit dem Maximum menschenmöglicher Arbeitszeit. Es war eben die<lb/>
Wohlfeilheit des in Waare verwandelten Menschenschweisses und Menschen-<lb/>
bluts, welche den Absatzmarkt beständig erweiterte und täglich erweitert,<lb/>
für England namentlich auch den Kolonialmarkt, wo überdem englische<lb/>
Gewohnheit und Geschmack vorherrschen. Endlich trat ein Knotenpunkt<lb/>
ein. Die Grundlage der alten Methode, bloss brutale Ausbeutung des Ar-<lb/>
beitermaterials, mehr oder minder begleitet von systematisch entwickelter<lb/>
Arbeitstheilung, genügte dem wachsenden Markt und der noch rascher<lb/>
wachsenden Konkurrenz der Kapitalisten nicht länger. Die Stunde der<lb/>
Maschinerie schlug. Die entscheidend <hirendition="#g">revolutionäre Maschine</hi>,<lb/>
welche die sämmtlichen zahllosen Zweige dieser Produktionssphäre, wie<lb/>
Putzmacherei, Schneiderei, Schusterei, Nätherei, Hutmacherei u. s. w.<lb/>
gleichmässig ergreift, ist die —<hirendition="#g">Nähmaschine</hi>.</p><lb/><p>Ihre unmittelbare Wirkung auf die Arbeiter ist ungefähr die aller<lb/>
Maschinerie, welche in der Periode der grossen Industrie neue Geschäfts-<lb/>
zweige erobert. Kinder im unreifsten Alter werden entfernt. Der Lohn<lb/>
der Maschinenarbeiter steigt verhältnissmässig zu dem der <hirendition="#g">Hausar-<lb/>
beiter</hi>, wovon viele zu „den Aermsten der Armen“ („the poorest of the<lb/>
poor“) gehören. Der Lohn der besser gestellten Handwerker, mit denen<lb/>
die Maschine konkurrirt, sinkt. Die neuen Maschinenarbeiter sind aus-<lb/>
schliesslich Mädchen und junge Frauen. Mit Hilfe der mechanischen<lb/>
Kraft vernichten sie das Monopol der männlichen Arbeit in schwererem<lb/>
Werk und verjagen aus leichterem Massen alter Weiber und unreifer<lb/>
Kinder. Die übermächtige Konkurrenz erschlägt die schwächsten Hand-<lb/>
arbeiter. Das gräuliche Wachsthum des <hirendition="#g">Hungertods</hi> (<hirendition="#g">death from<lb/>
starvation</hi>) in London während des letzten Decenniums läuft parallel<lb/>
mit der Ausdehnung der Maschinennäherei<noteplace="foot"n="267)">Ein Beispiel. Am 26. Februar 1864 enthält der wöchentliche Sterblich-<lb/>
keitsbericht des <hirendition="#g">Registrar General</hi> 5 Fälle von Hungertod. Am selben Tag<lb/>
berichtet die Times einen neuen Fall von Hungertod. Sechs Opfer des Hunger-<lb/>
tods in <hirendition="#g">einer</hi> Woche!</note>. Die neuen Arbeiterinnen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[463/0482]
Manufakturen liessen jedoch neben sich den zerstreuten handwerksmässigen
und Hausbetrieb als breite Grundlage fortbestehn. Die grosse Produktion
von Mehrwerth in diesen Arbeitszweigen, zugleich mit der progressiven
Verwohlfeilerung ihrer Artikel, war und ist hauptsächlich geschuldet dem
Minimum des zu kümmerlicher Vegetation nöthigen Arbeitslohns, verbun-
den mit dem Maximum menschenmöglicher Arbeitszeit. Es war eben die
Wohlfeilheit des in Waare verwandelten Menschenschweisses und Menschen-
bluts, welche den Absatzmarkt beständig erweiterte und täglich erweitert,
für England namentlich auch den Kolonialmarkt, wo überdem englische
Gewohnheit und Geschmack vorherrschen. Endlich trat ein Knotenpunkt
ein. Die Grundlage der alten Methode, bloss brutale Ausbeutung des Ar-
beitermaterials, mehr oder minder begleitet von systematisch entwickelter
Arbeitstheilung, genügte dem wachsenden Markt und der noch rascher
wachsenden Konkurrenz der Kapitalisten nicht länger. Die Stunde der
Maschinerie schlug. Die entscheidend revolutionäre Maschine,
welche die sämmtlichen zahllosen Zweige dieser Produktionssphäre, wie
Putzmacherei, Schneiderei, Schusterei, Nätherei, Hutmacherei u. s. w.
gleichmässig ergreift, ist die — Nähmaschine.
Ihre unmittelbare Wirkung auf die Arbeiter ist ungefähr die aller
Maschinerie, welche in der Periode der grossen Industrie neue Geschäfts-
zweige erobert. Kinder im unreifsten Alter werden entfernt. Der Lohn
der Maschinenarbeiter steigt verhältnissmässig zu dem der Hausar-
beiter, wovon viele zu „den Aermsten der Armen“ („the poorest of the
poor“) gehören. Der Lohn der besser gestellten Handwerker, mit denen
die Maschine konkurrirt, sinkt. Die neuen Maschinenarbeiter sind aus-
schliesslich Mädchen und junge Frauen. Mit Hilfe der mechanischen
Kraft vernichten sie das Monopol der männlichen Arbeit in schwererem
Werk und verjagen aus leichterem Massen alter Weiber und unreifer
Kinder. Die übermächtige Konkurrenz erschlägt die schwächsten Hand-
arbeiter. Das gräuliche Wachsthum des Hungertods (death from
starvation) in London während des letzten Decenniums läuft parallel
mit der Ausdehnung der Maschinennäherei 267). Die neuen Arbeiterinnen
267) Ein Beispiel. Am 26. Februar 1864 enthält der wöchentliche Sterblich-
keitsbericht des Registrar General 5 Fälle von Hungertod. Am selben Tag
berichtet die Times einen neuen Fall von Hungertod. Sechs Opfer des Hunger-
tods in einer Woche!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/482>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.