30 Fuss herauf und über eine Entfernung von 210 Fuss. "Es ist un- möglich für ein Kind durch das Fegfeuer einer Ziegelei zu passiren ohne grosse moralische Degradation. . . . Die nichtswürdige Sprache, die sie vom zartesten Alter an zu hören bekommen, die unfläthigen, unanständigen und schamlosen Gewohnheiten, unter denen sie unwissend und verwildert aufwachsen, machen sie für die spätere Lebenszeit gesetzlos, verworfen, liederlich. . . . Eine furchtbare Quelle der Demoralisation ist die Art der Wohnlichkeit. Jeder moulder (der eigentlich geschickte Arbeiter und Chef einer Arbeiterg ruppe) liefert seiner Bande von 7 Personen Logis und Tisch in seiner Hütte oder cottage. Ob zu seiner Familie gehörig oder nicht, Männer, Jungen, Mädchen schlafen in der Hütte. Diese besteht gewöhnlich aus 2, nur ausnahmsweis aus 3 Zimmern, alle auf dem Erdge- schoss, mit wenig Ventilation. Die Körper sind so erschöpft durch die grosse Transpiration während des Tags, dass weder Gesundheitsregeln, Reinlichkeit noch Anstand irgendwie beobachtet werden. Viele dieser Hütten sind wahre Modelle von Unordnung, Schmutz und Staub. . . . Das grösste Uebel des Systems, welches junge Mädchen zu dieser Art Arbeit verwendet, besteht darin, dass es sie in der Regel von Kindheit an für ihr ganzes späteres Leben an das verworfenste Gesindel festkettet. Sie wer- den rohe, bösmäulige Buben ("rough, foul-mouthed boys"), bevor die Natur sie gelehrt hat, dass sie Weiber sind. Gekleidet in wenige schmutzige Lumpen, die Beine weit über das Knie entblösst, Haar und Gesicht mit Dreck beschmiert, lernen sie alle Gefühle der Bescheidenheit und der Scham mit Verachtung behandeln. Während der Essenszeit lie- gen sie auf den Feldern ausgestreckt oder gucken den Jungen zu, die in einem benachbarten Kanal baden. Ist ihr schweres Tagwerk endlich voll- bracht, so ziehn sie bessere Kleider an und begleiten die Männer in Bier- kneipen." Dass die grösste Versoffenheit von Kindesbeinen an in dieser ganzen Klasse herrscht, ist nur naturgemäss. "Das Schlimmste ist, dass die Ziegelmacher an sich selbst verzweifeln. Sie könnten, sagte einer der Besseren zum Kaplan von Southallfields, ebensowohl versuchen den Teufel zu erheben und zu bessern als einen Ziegler, mein Herr!" ("You might as well try to raise and improve the devil as a brickie, Sir!")254)
254) "Child. Empl. Comm. V. Report. 1866", XVI, n. 86--97 und p. 130, n. 39--71. Vgl. auch ib. III. Rep. 1864, p. 48, 56.
30 Fuss herauf und über eine Entfernung von 210 Fuss. „Es ist un- möglich für ein Kind durch das Fegfeuer einer Ziegelei zu passiren ohne grosse moralische Degradation. . . . Die nichtswürdige Sprache, die sie vom zartesten Alter an zu hören bekommen, die unfläthigen, unanständigen und schamlosen Gewohnheiten, unter denen sie unwissend und verwildert aufwachsen, machen sie für die spätere Lebenszeit gesetzlos, verworfen, liederlich. . . . Eine furchtbare Quelle der Demoralisation ist die Art der Wohnlichkeit. Jeder moulder (der eigentlich geschickte Arbeiter und Chef einer Arbeiterg ruppe) liefert seiner Bande von 7 Personen Logis und Tisch in seiner Hütte oder cottage. Ob zu seiner Familie gehörig oder nicht, Männer, Jungen, Mädchen schlafen in der Hütte. Diese besteht gewöhnlich aus 2, nur ausnahmsweis aus 3 Zimmern, alle auf dem Erdge- schoss, mit wenig Ventilation. Die Körper sind so erschöpft durch die grosse Transpiration während des Tags, dass weder Gesundheitsregeln, Reinlichkeit noch Anstand irgendwie beobachtet werden. Viele dieser Hütten sind wahre Modelle von Unordnung, Schmutz und Staub. . . . Das grösste Uebel des Systems, welches junge Mädchen zu dieser Art Arbeit verwendet, besteht darin, dass es sie in der Regel von Kindheit an für ihr ganzes späteres Leben an das verworfenste Gesindel festkettet. Sie wer- den rohe, bösmäulige Buben („rough, foul-mouthed boys“), bevor die Natur sie gelehrt hat, dass sie Weiber sind. Gekleidet in wenige schmutzige Lumpen, die Beine weit über das Knie entblösst, Haar und Gesicht mit Dreck beschmiert, lernen sie alle Gefühle der Bescheidenheit und der Scham mit Verachtung behandeln. Während der Essenszeit lie- gen sie auf den Feldern ausgestreckt oder gucken den Jungen zu, die in einem benachbarten Kanal baden. Ist ihr schweres Tagwerk endlich voll- bracht, so ziehn sie bessere Kleider an und begleiten die Männer in Bier- kneipen.“ Dass die grösste Versoffenheit von Kindesbeinen an in dieser ganzen Klasse herrscht, ist nur naturgemäss. „Das Schlimmste ist, dass die Ziegelmacher an sich selbst verzweifeln. Sie könnten, sagte einer der Besseren zum Kaplan von Southallfields, ebensowohl versuchen den Teufel zu erheben und zu bessern als einen Ziegler, mein Herr!“ („You might as well try to raise and improve the devil as a brickie, Sir!“)254)
254) „Child. Empl. Comm. V. Report. 1866“, XVI, n. 86—97 und p. 130, n. 39—71. Vgl. auch ib. III. Rep. 1864, p. 48, 56.
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30 Fuss herauf und über eine Entfernung von 210 Fuss. „Es ist un-
möglich für ein Kind durch das Fegfeuer einer Ziegelei zu passiren ohne
grosse moralische Degradation. . . . Die nichtswürdige Sprache, die sie
vom zartesten Alter an zu hören bekommen, die unfläthigen, unanständigen
und schamlosen Gewohnheiten, unter denen sie unwissend und verwildert
aufwachsen, machen sie für die spätere Lebenszeit gesetzlos, verworfen,
liederlich. . . . Eine furchtbare Quelle der Demoralisation ist die Art der
Wohnlichkeit. Jeder moulder (der eigentlich geschickte Arbeiter und
Chef einer Arbeiterg ruppe) liefert seiner Bande von 7 Personen Logis und
Tisch in seiner Hütte oder cottage. Ob zu seiner Familie gehörig oder
nicht, Männer, Jungen, Mädchen schlafen in der Hütte. Diese besteht
gewöhnlich aus 2, nur ausnahmsweis aus 3 Zimmern, alle auf dem Erdge-
schoss, mit wenig Ventilation. Die Körper sind so erschöpft durch die
grosse Transpiration während des Tags, dass weder Gesundheitsregeln,
Reinlichkeit noch Anstand irgendwie beobachtet werden. Viele dieser
Hütten sind wahre Modelle von Unordnung, Schmutz und Staub. . . . Das
grösste Uebel des Systems, welches junge Mädchen zu dieser Art Arbeit
verwendet, besteht darin, dass es sie in der Regel von Kindheit an für ihr
ganzes späteres Leben an das verworfenste Gesindel festkettet. Sie wer-
den rohe, bösmäulige Buben („rough, foul-mouthed boys“), bevor die
Natur sie gelehrt hat, dass sie Weiber sind. Gekleidet in wenige
schmutzige Lumpen, die Beine weit über das Knie entblösst, Haar und
Gesicht mit Dreck beschmiert, lernen sie alle Gefühle der Bescheidenheit
und der Scham mit Verachtung behandeln. Während der Essenszeit lie-
gen sie auf den Feldern ausgestreckt oder gucken den Jungen zu, die in
einem benachbarten Kanal baden. Ist ihr schweres Tagwerk endlich voll-
bracht, so ziehn sie bessere Kleider an und begleiten die Männer in Bier-
kneipen.“ Dass die grösste Versoffenheit von Kindesbeinen an in dieser
ganzen Klasse herrscht, ist nur naturgemäss. „Das Schlimmste ist, dass
die Ziegelmacher an sich selbst verzweifeln. Sie könnten, sagte einer der
Besseren zum Kaplan von Southallfields, ebensowohl versuchen den Teufel
zu erheben und zu bessern als einen Ziegler, mein Herr!“ („You might as
well try to raise and improve the devil as a brickie, Sir!“) 254)
254) „Child. Empl. Comm. V. Report. 1866“, XVI, n. 86—97 und
p. 130, n. 39—71. Vgl. auch ib. III. Rep. 1864, p. 48, 56.
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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/474>, abgerufen am 22.11.2024.
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