Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

121/2 auf 12 Stunden reducirt, in Oestreich 1860 für Kin-
der zwischen 14 und 16 Jahren ditto auf 12 Stunden130). Welch
ein "Fortschritt seit 1770" würde Macaulay "mit Exultation"
aufjauchzen!

Das "Haus des Schreckens" für Paupers, wovon die Kapital-
seele 1770 noch träumte, erhob sich wenige Jahre später als riesiges
"Arbeitshaus" für die Manufakturarbeiter selbst. Es hiess Fabrik.
Und diessmal erblasste das Ideal vor der Wirklichkeit.

Nachdem das Kapital Jahrhunderte gebraucht, um den Arbeits-
tag
bis zu seinen normalen Maximalgrenzen und dann über diese
hinaus, bis zu den Grenzen des natürlichen Tags von 12
Stunden zu verlängern
131), erfolgte nun, seit der Geburt der gros-
sen Industrie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, eine lawinenartig
gewaltsame und masslose Ueberstürzung. Jede Schranke von Sitte und

130) Lobenswerth wären die Verordnungen der Herrn v. d. Heydt und Man-
teuffel
vom 18. August 1853 und 12. August 1854, wenn sie -- ausgeführt würden.
Belgien bewährt sich auch mit Bezug auf die Regulation des Arbeitstags als
bürgerlicher Musterstaat. Lord Howard de Welden, englischer Bevoll-
mächtigter in Brüssel, berichtet dem Foreign Office d. d. 12. Mai 1862: "Der
Minister Rogier erklärte mir, dass weder ein allgemeines Gesetz noch Lokalregu-
lationen die Kinderarbeit irgendwie beschränken; dass die Regierung sich während
der letzten 3 Jahre in jeder Sitzung mit dem Gedanken trug, den Kammern ein
Gesetz über den Gegenstand vorzulegen, dass sie aber stets ein unüberwindliches
Hinderniss fand an der eifersüchtigen Angst gegen irgend welche Gesetzgebung
im Widerspruch mit dem Prinzip vollkommener Freiheit der
Arbeit
"!
131) "Es ist sicher sehr bedauerlich, dass irgend eine Klasse von Personen
12 Stunden täglich sich abplacken muss. Rechnet man die Mahlzeiten zu und die
Zeit um zu und von der Werkstatt zu gehn, so beträgt diess in der That 14 von
den 24 Tagesstunden ... Abgesehn von der Gesundheit, wird Niemand, ich hoffe,
anstehn zuzugeben, dass vom moralischen Gesichtspunkt eine so gänzliche Ab-
sorption der Zeit der arbeitenden Klassen, ohne Unterlass, vom frühen Alter von
13 Jahren, und in den "freien" Industriezweigen selbst von viel früherem Alter an,
ausserordentlich schädlich und ein furchtbares Uebel ist. Im Interesse der öffent-
lichen Moral, für die Aufziehung einer tüchtigen Bevölkerung, und um der grossen
Masse des Volks einen vernünftigen Lebensgenuss zu verschaffen, muss darauf ge-
drungen werden, dass in allen Geschäftszweigen ein Theil jedes Arbeitstags reser-
virt werde für Erholung und Musse." (Leonhard Horner in: "Insp. of
Fact. Reports
. 31st Dec. 1841.")

12½ auf 12 Stunden reducirt, in Oestreich 1860 für Kin-
der zwischen 14 und 16 Jahren ditto auf 12 Stunden130). Welch
ein „Fortschritt seit 1770“ würde Macaulay „mit Exultation“
aufjauchzen!

Das „Haus des Schreckens“ für Paupers, wovon die Kapital-
seele 1770 noch träumte, erhob sich wenige Jahre später als riesiges
Arbeitshaus“ für die Manufakturarbeiter selbst. Es hiess Fabrik.
Und diessmal erblasste das Ideal vor der Wirklichkeit.

Nachdem das Kapital Jahrhunderte gebraucht, um den Arbeits-
tag
bis zu seinen normalen Maximalgrenzen und dann über diese
hinaus, bis zu den Grenzen des natürlichen Tags von 12
Stunden zu verlängern
131), erfolgte nun, seit der Geburt der gros-
sen Industrie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, eine lawinenartig
gewaltsame und masslose Ueberstürzung. Jede Schranke von Sitte und

130) Lobenswerth wären die Verordnungen der Herrn v. d. Heydt und Man-
teuffel
vom 18. August 1853 und 12. August 1854, wenn sie — ausgeführt würden.
Belgien bewährt sich auch mit Bezug auf die Regulation des Arbeitstags als
bürgerlicher Musterstaat. Lord Howard de Welden, englischer Bevoll-
mächtigter in Brüssel, berichtet dem Foreign Office d. d. 12. Mai 1862: „Der
Minister Rogier erklärte mir, dass weder ein allgemeines Gesetz noch Lokalregu-
lationen die Kinderarbeit irgendwie beschränken; dass die Regierung sich während
der letzten 3 Jahre in jeder Sitzung mit dem Gedanken trug, den Kammern ein
Gesetz über den Gegenstand vorzulegen, dass sie aber stets ein unüberwindliches
Hinderniss fand an der eifersüchtigen Angst gegen irgend welche Gesetzgebung
im Widerspruch mit dem Prinzip vollkommener Freiheit der
Arbeit
“!
131) „Es ist sicher sehr bedauerlich, dass irgend eine Klasse von Personen
12 Stunden täglich sich abplacken muss. Rechnet man die Mahlzeiten zu und die
Zeit um zu und von der Werkstatt zu gehn, so beträgt diess in der That 14 von
den 24 Tagesstunden … Abgesehn von der Gesundheit, wird Niemand, ich hoffe,
anstehn zuzugeben, dass vom moralischen Gesichtspunkt eine so gänzliche Ab-
sorption der Zeit der arbeitenden Klassen, ohne Unterlass, vom frühen Alter von
13 Jahren, und in den „freien“ Industriezweigen selbst von viel früherem Alter an,
ausserordentlich schädlich und ein furchtbares Uebel ist. Im Interesse der öffent-
lichen Moral, für die Aufziehung einer tüchtigen Bevölkerung, und um der grossen
Masse des Volks einen vernünftigen Lebensgenuss zu verschaffen, muss darauf ge-
drungen werden, dass in allen Geschäftszweigen ein Theil jedes Arbeitstags reser-
virt werde für Erholung und Musse.“ (Leonhard Horner in: „Insp. of
Fact. Reports
. 31st Dec. 1841.“)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0271" n="252"/>
12½ <hi rendition="#g">auf 12 Stunden reducirt</hi>, in <hi rendition="#g">Oestreich 1860</hi> für Kin-<lb/>
der zwischen 14 und 16 Jahren ditto <hi rendition="#g">auf 12 Stunden</hi><note place="foot" n="130)">Lobenswerth wären die Verordnungen der Herrn v. d. <hi rendition="#g">Heydt</hi> und <hi rendition="#g">Man-<lb/>
teuffel</hi> vom 18. August 1853 und 12. August 1854, wenn sie &#x2014; ausgeführt würden.<lb/><hi rendition="#g">Belgien</hi> bewährt sich auch mit Bezug auf die Regulation des Arbeitstags als<lb/><hi rendition="#g">bürgerlicher Musterstaat</hi>. Lord Howard de Welden, englischer Bevoll-<lb/>
mächtigter in Brüssel, berichtet dem Foreign Office d. d. 12. Mai 1862: &#x201E;Der<lb/>
Minister Rogier erklärte mir, dass weder ein allgemeines Gesetz noch Lokalregu-<lb/>
lationen die Kinderarbeit irgendwie beschränken; dass die Regierung sich während<lb/>
der letzten 3 Jahre in jeder Sitzung mit dem Gedanken trug, den Kammern ein<lb/>
Gesetz über den Gegenstand vorzulegen, dass sie aber stets ein unüberwindliches<lb/>
Hinderniss fand an der eifersüchtigen Angst gegen irgend welche Gesetzgebung<lb/><hi rendition="#g">im Widerspruch mit dem Prinzip vollkommener Freiheit der<lb/>
Arbeit</hi>&#x201C;!</note>. Welch<lb/>
ein &#x201E;<hi rendition="#g">Fortschritt seit 1770</hi>&#x201C; würde <hi rendition="#g">Macaulay</hi> &#x201E;mit Exultation&#x201C;<lb/>
aufjauchzen!</p><lb/>
              <p>Das &#x201E;<hi rendition="#g">Haus des Schreckens</hi>&#x201C; für Paupers, wovon die Kapital-<lb/>
seele 1770 noch träumte, erhob sich wenige Jahre später als riesiges<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Arbeitshaus</hi>&#x201C; für die Manufakturarbeiter selbst. Es hiess <hi rendition="#g">Fabrik</hi>.<lb/>
Und diessmal erblasste das Ideal vor der Wirklichkeit.</p><lb/>
              <p>Nachdem das Kapital Jahrhunderte gebraucht, um den <hi rendition="#g">Arbeits-<lb/>
tag</hi> bis zu seinen <hi rendition="#g">normalen Maximalgrenzen</hi> und dann über diese<lb/>
hinaus, <hi rendition="#g">bis zu den Grenzen des natürlichen Tags von 12<lb/>
Stunden zu verlängern</hi><note place="foot" n="131)">&#x201E;Es ist sicher sehr bedauerlich, dass irgend eine Klasse von Personen<lb/>
12 Stunden täglich sich abplacken muss. Rechnet man die Mahlzeiten zu und die<lb/>
Zeit um zu und von der Werkstatt zu gehn, so beträgt diess in der That 14 von<lb/>
den 24 Tagesstunden &#x2026; Abgesehn von der Gesundheit, wird Niemand, ich hoffe,<lb/>
anstehn zuzugeben, dass vom moralischen Gesichtspunkt eine so gänzliche Ab-<lb/>
sorption der Zeit der arbeitenden Klassen, ohne Unterlass, vom frühen Alter von<lb/>
13 Jahren, und in den &#x201E;freien&#x201C; Industriezweigen selbst von viel früherem Alter an,<lb/>
ausserordentlich schädlich und ein furchtbares Uebel ist. Im Interesse der öffent-<lb/>
lichen Moral, für die Aufziehung einer tüchtigen Bevölkerung, und um der grossen<lb/>
Masse des Volks einen vernünftigen Lebensgenuss zu verschaffen, muss darauf ge-<lb/>
drungen werden, dass in allen Geschäftszweigen ein Theil jedes Arbeitstags reser-<lb/>
virt werde für Erholung und Musse.&#x201C; (<hi rendition="#g">Leonhard Horner</hi> in: &#x201E;<hi rendition="#g">Insp. of<lb/>
Fact. Reports</hi>. 31<hi rendition="#g">st Dec</hi>. 1841.&#x201C;)</note>, erfolgte nun, seit der Geburt der gros-<lb/>
sen Industrie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, eine lawinenartig<lb/>
gewaltsame und masslose Ueberstürzung. Jede Schranke von Sitte und<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0271] 12½ auf 12 Stunden reducirt, in Oestreich 1860 für Kin- der zwischen 14 und 16 Jahren ditto auf 12 Stunden 130). Welch ein „Fortschritt seit 1770“ würde Macaulay „mit Exultation“ aufjauchzen! Das „Haus des Schreckens“ für Paupers, wovon die Kapital- seele 1770 noch träumte, erhob sich wenige Jahre später als riesiges „Arbeitshaus“ für die Manufakturarbeiter selbst. Es hiess Fabrik. Und diessmal erblasste das Ideal vor der Wirklichkeit. Nachdem das Kapital Jahrhunderte gebraucht, um den Arbeits- tag bis zu seinen normalen Maximalgrenzen und dann über diese hinaus, bis zu den Grenzen des natürlichen Tags von 12 Stunden zu verlängern 131), erfolgte nun, seit der Geburt der gros- sen Industrie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, eine lawinenartig gewaltsame und masslose Ueberstürzung. Jede Schranke von Sitte und 130) Lobenswerth wären die Verordnungen der Herrn v. d. Heydt und Man- teuffel vom 18. August 1853 und 12. August 1854, wenn sie — ausgeführt würden. Belgien bewährt sich auch mit Bezug auf die Regulation des Arbeitstags als bürgerlicher Musterstaat. Lord Howard de Welden, englischer Bevoll- mächtigter in Brüssel, berichtet dem Foreign Office d. d. 12. Mai 1862: „Der Minister Rogier erklärte mir, dass weder ein allgemeines Gesetz noch Lokalregu- lationen die Kinderarbeit irgendwie beschränken; dass die Regierung sich während der letzten 3 Jahre in jeder Sitzung mit dem Gedanken trug, den Kammern ein Gesetz über den Gegenstand vorzulegen, dass sie aber stets ein unüberwindliches Hinderniss fand an der eifersüchtigen Angst gegen irgend welche Gesetzgebung im Widerspruch mit dem Prinzip vollkommener Freiheit der Arbeit“! 131) „Es ist sicher sehr bedauerlich, dass irgend eine Klasse von Personen 12 Stunden täglich sich abplacken muss. Rechnet man die Mahlzeiten zu und die Zeit um zu und von der Werkstatt zu gehn, so beträgt diess in der That 14 von den 24 Tagesstunden … Abgesehn von der Gesundheit, wird Niemand, ich hoffe, anstehn zuzugeben, dass vom moralischen Gesichtspunkt eine so gänzliche Ab- sorption der Zeit der arbeitenden Klassen, ohne Unterlass, vom frühen Alter von 13 Jahren, und in den „freien“ Industriezweigen selbst von viel früherem Alter an, ausserordentlich schädlich und ein furchtbares Uebel ist. Im Interesse der öffent- lichen Moral, für die Aufziehung einer tüchtigen Bevölkerung, und um der grossen Masse des Volks einen vernünftigen Lebensgenuss zu verschaffen, muss darauf ge- drungen werden, dass in allen Geschäftszweigen ein Theil jedes Arbeitstags reser- virt werde für Erholung und Musse.“ (Leonhard Horner in: „Insp. of Fact. Reports. 31st Dec. 1841.“)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/271
Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/271>, abgerufen am 25.11.2024.