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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869.

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garnier ausgehend, worin den Offizieren empfohlen wurde, im Falle einer
Empörung den Verräthern in ihren eignen Reihen kein Quartier zu geben,
sie sofort zu erschießen und der Nationalversammlung die Truppen zu ver¬
weigern, wenn sie dieselben requiriren sollte. Am 3. Januar 1851 wurde
das Kabinet über diesen Tagesbefehl interpellirt. Es verlangt zur Prüfung
dieser Angelegenheit erst drei Monate, dann eine Woche, endlich nur vier und
zwanzig Stunden Bedenkzeit. Die Versammlung besteht auf sofortigem Auf¬
schlusse. Changarnier erhebt sich und erklärt, daß dieser Tagesbefehl nie
existirt habe. Er fügt hinzu, daß er sich stets beeilen werde, den Aufforde¬
rungen der Nationalversammlung nachzukommen, und daß sie in einem Kolli¬
sionsfalle auf ihn rechnen könne. Sie empfängt seine Erklärung mit unaus¬
sprechlichem Applaus und dekretirt ihm ein Vertrauensvotum. Sie dankt ab,
sie dekretirt ihre eigne Machtlosigkeit und die Allmacht der Armee, indem sie
sich unter die Privatprotektion eines Generals begibt, aber der General täuscht
sich, wenn er ihr gegen Bonaparte eine Macht zu Gebot stellt, die er nur als
Lehen von demselben Bonaparte hält, wenn er seinerseits Schutz von diesem
Parlamente, von seinem schutzbedürftigen Schützlinge erwartet. Aber Chan¬
garnier glaubt an die mysteriöse Macht, womit ihn die Bourgeoisie seit dem
29. Januar 1849 ausgestattet. Er hält sich für die dritte Gewalt neben
den beiden übrigen Staatsgewalten. Er theilt das Schicksal der übrigen
Helden oder vielmehr Heiligen dieser Epoche, deren Größe eben in der inter¬
essirten großen Meinung besteht, die ihre Partei von ihnen aufbringt, und
die in Alltagsfiguren zusammenfallen, sobald die Verhältnisse sie einladen
Wunder zu verrichten. Der Unglaube ist überhaupt der tödtliche Feind dieser
vermeinten Helden und wirklichen Heiligen. Daher ihre würdevoll-sittliche
Entrüstung über die enthusiasmusarmen Witzlinge und Spötter.

An demselben Abende wurden die Minister nach dem Elysee beschieden,
Bonaparte dringt auf die Absetzung Changarnier's, fünf Minister weigern
sich sie zu zeichnen, der Moniteur kündigt eine Ministerkrise an und die Ord¬
nungspresse droht mit der Bildung einer parlamentarischen Armee unter dem
Kommando Changarnier's. Die Partei der Ordnung hatte die konstitutio¬
nelle Befugniß zu diesem Schritte. Sie brauchte blos Changarnier zum Präsi¬
denten der Nationalversammlung zu ernennen und eine beliebige Truppen¬
masse zu ihrer Sicherheit zu requiriren. Sie konnte es um so sicherer, als
Changarnier noch wirklich an der Spitze der Armee und der Pariser National¬
garde stand, und nur darauf lauerte, mitsammt der Armee requirirt zu wer¬

garnier ausgehend, worin den Offizieren empfohlen wurde, im Falle einer
Empörung den Verräthern in ihren eignen Reihen kein Quartier zu geben,
ſie ſofort zu erſchießen und der Nationalverſammlung die Truppen zu ver¬
weigern, wenn ſie dieſelben requiriren ſollte. Am 3. Januar 1851 wurde
das Kabinet über dieſen Tagesbefehl interpellirt. Es verlangt zur Prüfung
dieſer Angelegenheit erſt drei Monate, dann eine Woche, endlich nur vier und
zwanzig Stunden Bedenkzeit. Die Verſammlung beſteht auf ſofortigem Auf¬
ſchluſſe. Changarnier erhebt ſich und erklärt, daß dieſer Tagesbefehl nie
exiſtirt habe. Er fügt hinzu, daß er ſich ſtets beeilen werde, den Aufforde¬
rungen der Nationalverſammlung nachzukommen, und daß ſie in einem Kolli¬
ſionsfalle auf ihn rechnen könne. Sie empfängt ſeine Erklärung mit unaus¬
ſprechlichem Applaus und dekretirt ihm ein Vertrauensvotum. Sie dankt ab,
ſie dekretirt ihre eigne Machtloſigkeit und die Allmacht der Armee, indem ſie
ſich unter die Privatprotektion eines Generals begibt, aber der General täuſcht
ſich, wenn er ihr gegen Bonaparte eine Macht zu Gebot ſtellt, die er nur als
Lehen von demſelben Bonaparte hält, wenn er ſeinerſeits Schutz von dieſem
Parlamente, von ſeinem ſchutzbedürftigen Schützlinge erwartet. Aber Chan¬
garnier glaubt an die myſteriöſe Macht, womit ihn die Bourgeoiſie ſeit dem
29. Januar 1849 ausgeſtattet. Er hält ſich für die dritte Gewalt neben
den beiden übrigen Staatsgewalten. Er theilt das Schickſal der übrigen
Helden oder vielmehr Heiligen dieſer Epoche, deren Größe eben in der inter¬
eſſirten großen Meinung beſteht, die ihre Partei von ihnen aufbringt, und
die in Alltagsfiguren zuſammenfallen, ſobald die Verhältniſſe ſie einladen
Wunder zu verrichten. Der Unglaube iſt überhaupt der tödtliche Feind dieſer
vermeinten Helden und wirklichen Heiligen. Daher ihre würdevoll-ſittliche
Entrüſtung über die enthuſiasmusarmen Witzlinge und Spötter.

An demſelben Abende wurden die Miniſter nach dem Elyſée beſchieden,
Bonaparte dringt auf die Abſetzung Changarnier's, fünf Miniſter weigern
ſich ſie zu zeichnen, der Moniteur kündigt eine Miniſterkriſe an und die Ord¬
nungspreſſe droht mit der Bildung einer parlamentariſchen Armee unter dem
Kommando Changarnier's. Die Partei der Ordnung hatte die konſtitutio¬
nelle Befugniß zu dieſem Schritte. Sie brauchte blos Changarnier zum Präſi¬
denten der Nationalverſammlung zu ernennen und eine beliebige Truppen¬
maſſe zu ihrer Sicherheit zu requiriren. Sie konnte es um ſo ſicherer, als
Changarnier noch wirklich an der Spitze der Armee und der Pariſer National¬
garde ſtand, und nur darauf lauerte, mitſammt der Armee requirirt zu wer¬

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[58/0070] garnier ausgehend, worin den Offizieren empfohlen wurde, im Falle einer Empörung den Verräthern in ihren eignen Reihen kein Quartier zu geben, ſie ſofort zu erſchießen und der Nationalverſammlung die Truppen zu ver¬ weigern, wenn ſie dieſelben requiriren ſollte. Am 3. Januar 1851 wurde das Kabinet über dieſen Tagesbefehl interpellirt. Es verlangt zur Prüfung dieſer Angelegenheit erſt drei Monate, dann eine Woche, endlich nur vier und zwanzig Stunden Bedenkzeit. Die Verſammlung beſteht auf ſofortigem Auf¬ ſchluſſe. Changarnier erhebt ſich und erklärt, daß dieſer Tagesbefehl nie exiſtirt habe. Er fügt hinzu, daß er ſich ſtets beeilen werde, den Aufforde¬ rungen der Nationalverſammlung nachzukommen, und daß ſie in einem Kolli¬ ſionsfalle auf ihn rechnen könne. Sie empfängt ſeine Erklärung mit unaus¬ ſprechlichem Applaus und dekretirt ihm ein Vertrauensvotum. Sie dankt ab, ſie dekretirt ihre eigne Machtloſigkeit und die Allmacht der Armee, indem ſie ſich unter die Privatprotektion eines Generals begibt, aber der General täuſcht ſich, wenn er ihr gegen Bonaparte eine Macht zu Gebot ſtellt, die er nur als Lehen von demſelben Bonaparte hält, wenn er ſeinerſeits Schutz von dieſem Parlamente, von ſeinem ſchutzbedürftigen Schützlinge erwartet. Aber Chan¬ garnier glaubt an die myſteriöſe Macht, womit ihn die Bourgeoiſie ſeit dem 29. Januar 1849 ausgeſtattet. Er hält ſich für die dritte Gewalt neben den beiden übrigen Staatsgewalten. Er theilt das Schickſal der übrigen Helden oder vielmehr Heiligen dieſer Epoche, deren Größe eben in der inter¬ eſſirten großen Meinung beſteht, die ihre Partei von ihnen aufbringt, und die in Alltagsfiguren zuſammenfallen, ſobald die Verhältniſſe ſie einladen Wunder zu verrichten. Der Unglaube iſt überhaupt der tödtliche Feind dieſer vermeinten Helden und wirklichen Heiligen. Daher ihre würdevoll-ſittliche Entrüſtung über die enthuſiasmusarmen Witzlinge und Spötter. An demſelben Abende wurden die Miniſter nach dem Elyſée beſchieden, Bonaparte dringt auf die Abſetzung Changarnier's, fünf Miniſter weigern ſich ſie zu zeichnen, der Moniteur kündigt eine Miniſterkriſe an und die Ord¬ nungspreſſe droht mit der Bildung einer parlamentariſchen Armee unter dem Kommando Changarnier's. Die Partei der Ordnung hatte die konſtitutio¬ nelle Befugniß zu dieſem Schritte. Sie brauchte blos Changarnier zum Präſi¬ denten der Nationalverſammlung zu ernennen und eine beliebige Truppen¬ maſſe zu ihrer Sicherheit zu requiriren. Sie konnte es um ſo ſicherer, als Changarnier noch wirklich an der Spitze der Armee und der Pariſer National¬ garde ſtand, und nur darauf lauerte, mitſammt der Armee requirirt zu wer¬

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/70>, abgerufen am 24.11.2024.