Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869.Die honette, heuchlerisch gemäßigte, tugendhaft gemeinplätzliche Sprache Die Burggrafen der Ordnungspartei täuschten sich keinen Augenblick Die honette, heuchleriſch gemäßigte, tugendhaft gemeinplätzliche Sprache Die Burggrafen der Ordnungspartei täuſchten ſich keinen Augenblick <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0065" n="53"/> <p>Die honette, heuchleriſch gemäßigte, tugendhaft gemeinplätzliche Sprache<lb/> der Bourgeoiſie offenbart ihren tiefſten Sinn im Munde des Selbſtherrſchers<lb/> der Geſellſchaft vom 10. Dezember und des Piknikhelden von St. Maur und<lb/> Satory.</p><lb/> <p>Die Burggrafen der Ordnungspartei täuſchten ſich keinen Augenblick<lb/> über das Vertrauen, das dieſe Herzenseröffnung verdiene. Ueber Eide waren<lb/> ſie längſt blaſirt, ſie zählten Veteranen, Virtuoſen des politiſchen Meineids<lb/> in ihrer Mitte, ſie hatten die Stelle über die Armee nicht überhört. Sie<lb/> bemerkten mit Unwillen, daß die Botſchaft in der weitſchweifigen Aufzählung<lb/> der jüngſt erlaſſenen Geſetze das wichtigſte Geſetz, das Wahlgeſetz, mit affek¬<lb/> tirtem Stillſchweigen überging und vielmehr im Falle der Nichtreviſion der<lb/> Verfaſſung die Wahl des Präſidenten für 1852 dem Volke anheimſtellte.<lb/> Das Wahlgeſetz war die Bleikugel an den Füßen der Ordnungspartei, die<lb/> ſie am Gehen verhinderte und nun gar am Stürmen! Zudem hatte Bona¬<lb/> parte durch die amtliche Auflöſung der Geſellſchaft vom 10. Dezember und<lb/> die Entlaſſung des Kriegsminiſters d'Hautpoul die Sündenböcke mit eigener<lb/> Hand auf dem Altar des Vaterlandes geopfert. Er hatte der erwarteten<lb/> Kolliſion die Spitze abgebrochen. Endlich ſuchte die Ordnungspartei ſelbſt<lb/> ängſtlich jeden entſcheidenden Conflikt mit der Exekutivgewalt zu umgehen,<lb/> abzuſchwächen, zu vertuſchen. Aus Furcht, die Eroberungen über die Revo¬<lb/> lution zu verlieren, ließen ſie ihren Rivalen die Früchte derſelben gewinnen.<lb/> „Frankreich verlangt vor allem Andern Ruhe.“ So rief die Ordnungspartei<lb/> der Revolution ſeit Februar zu, ſo rief Bonaparte's Botſchaft der Ordnungs¬<lb/> partei zu. „Frankreich verlangt vor Allem Ruhe.“ Bonaparte beging Hand¬<lb/> lungen, die auf Uſurpation hinzielten, aber die Ordnungspartei beging die<lb/> „Unruhe“ wenn ſie Lärm über dieſe Handlungen ſchlug und ſie hypochon¬<lb/> driſch auslegte. Die Würſte von Satory waren mausſtill, wenn Niemand<lb/> von ihnen ſprach. „Frankreich verlangt vor Allem Ruhe.“ Alſo verlangte<lb/> Bonaparte, daß man ihn ruhig gewähren laſſe, und die parlamentariſche Par¬<lb/> tei war von doppelter Furcht gelähmt, von der Furcht die revolutionäre Un¬<lb/> ruhe wieder heraufzubeſchwören, von der Furcht ſelbſt als der Unruhſtifter in<lb/> den Augen ihrer eignen Klaſſe, in den Augen der Bourgeoiſie zu erſcheinen.<lb/> Da Frankreich alſo vor allem Andern Ruhe verlangte, wagte die Ordnungs¬<lb/> partei nicht, nachdem Bonaparte in ſeiner Botſchaft „Frieden“ geſprochen<lb/> hatte, „Krieg“ zu antworten. Das Publikum, das ſich mit großen Skandal¬<lb/> ſcenen bei Eröffnung der Nationalverſammlung geſchmeichelt hatte, wurde in<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [53/0065]
Die honette, heuchleriſch gemäßigte, tugendhaft gemeinplätzliche Sprache
der Bourgeoiſie offenbart ihren tiefſten Sinn im Munde des Selbſtherrſchers
der Geſellſchaft vom 10. Dezember und des Piknikhelden von St. Maur und
Satory.
Die Burggrafen der Ordnungspartei täuſchten ſich keinen Augenblick
über das Vertrauen, das dieſe Herzenseröffnung verdiene. Ueber Eide waren
ſie längſt blaſirt, ſie zählten Veteranen, Virtuoſen des politiſchen Meineids
in ihrer Mitte, ſie hatten die Stelle über die Armee nicht überhört. Sie
bemerkten mit Unwillen, daß die Botſchaft in der weitſchweifigen Aufzählung
der jüngſt erlaſſenen Geſetze das wichtigſte Geſetz, das Wahlgeſetz, mit affek¬
tirtem Stillſchweigen überging und vielmehr im Falle der Nichtreviſion der
Verfaſſung die Wahl des Präſidenten für 1852 dem Volke anheimſtellte.
Das Wahlgeſetz war die Bleikugel an den Füßen der Ordnungspartei, die
ſie am Gehen verhinderte und nun gar am Stürmen! Zudem hatte Bona¬
parte durch die amtliche Auflöſung der Geſellſchaft vom 10. Dezember und
die Entlaſſung des Kriegsminiſters d'Hautpoul die Sündenböcke mit eigener
Hand auf dem Altar des Vaterlandes geopfert. Er hatte der erwarteten
Kolliſion die Spitze abgebrochen. Endlich ſuchte die Ordnungspartei ſelbſt
ängſtlich jeden entſcheidenden Conflikt mit der Exekutivgewalt zu umgehen,
abzuſchwächen, zu vertuſchen. Aus Furcht, die Eroberungen über die Revo¬
lution zu verlieren, ließen ſie ihren Rivalen die Früchte derſelben gewinnen.
„Frankreich verlangt vor allem Andern Ruhe.“ So rief die Ordnungspartei
der Revolution ſeit Februar zu, ſo rief Bonaparte's Botſchaft der Ordnungs¬
partei zu. „Frankreich verlangt vor Allem Ruhe.“ Bonaparte beging Hand¬
lungen, die auf Uſurpation hinzielten, aber die Ordnungspartei beging die
„Unruhe“ wenn ſie Lärm über dieſe Handlungen ſchlug und ſie hypochon¬
driſch auslegte. Die Würſte von Satory waren mausſtill, wenn Niemand
von ihnen ſprach. „Frankreich verlangt vor Allem Ruhe.“ Alſo verlangte
Bonaparte, daß man ihn ruhig gewähren laſſe, und die parlamentariſche Par¬
tei war von doppelter Furcht gelähmt, von der Furcht die revolutionäre Un¬
ruhe wieder heraufzubeſchwören, von der Furcht ſelbſt als der Unruhſtifter in
den Augen ihrer eignen Klaſſe, in den Augen der Bourgeoiſie zu erſcheinen.
Da Frankreich alſo vor allem Andern Ruhe verlangte, wagte die Ordnungs¬
partei nicht, nachdem Bonaparte in ſeiner Botſchaft „Frieden“ geſprochen
hatte, „Krieg“ zu antworten. Das Publikum, das ſich mit großen Skandal¬
ſcenen bei Eröffnung der Nationalverſammlung geſchmeichelt hatte, wurde in
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